Fahrkosten nach dem DRV-Recht
Hallo zusammen,Michael Karpf hat geschrieben: ↑Sonntag 26. März 2023, 19:49 Es gibt eine weitere Entscheidung. Das LSG Sachsen hat mit Urteil vom 14.10.2022 - L 1 KR 320/20 - die GKV mit umfangreicher Begründung verurteilt, der Rehabilitandin Wegstreckenentschodigung in Höhe von 672,00 EUR zu zahlen für Fahrten zur Arbeitsstelle während ihrer StW.
die vom LSG verurteilte GKV hat den Antrag auf Fahrkosten nachweislich „verschlampt“, hat jedoch jahrelang behauptet, keinen entspr. Antrag erhalten zu haben. Das SG Chemnitz 18.05.2020 - S 36 KR 717/19, hat per Gerichtsbescheid den völlig abenteuerlichen und komplett irrelevanten Rechtssatz aufgestellt, dass keine Fahrtkosten zu erstatten seien, weil kein „fristgerechter Antrag vor Beginn der Maßnahme“ nachweisbar sei. Das LSG Sachsen, 14.10.2022 - L 1 KR 320/20, hat im Ergebnis zwar zutreffend Fahrtkosten (Wegstreckenentschädigung) zuerkannt und die rechtswidrigen Bescheide der GKV zu Recht aufgehoben, seine Begründung erscheint m.E. aber teils ziemlich „abenteuerlich“. Man darf gespannt sein, ob die verurteilte GKV in Revision geht oder die Frist verstreichen lässt. Dieses LSG Sachsen meinte, dass die GKV alle Anträge an die (eigentlich) zuständige DRV hätte weiterleiten müssen - statt selbst zu entscheiden. Folgt man dieser Ansicht, wäre die DRV für die Genehmigung der StW und Fahrkosten zuständig gewesen mit Übergangsgeld und eben nicht diese GKV für die Anträge der arbeitsunfähigen Krankenschwester. „Revision“ wurde vom LSG zugelassen wegen „grundsätzlicher Bedeutung“. Offenbar hat sich das Sozialgericht Chemnitz am Fehlurteil (Teilablehnung) des SG Düsseldorf vom 12.09.2016, S 9 KR 632/15, orientiert. Gruß Jada Wasi
Ermessensentscheidung ab 9/2022?
• Damit ist auch folgendes Konstrukt der DRV-Bund vom Tisch, wonach eine Fahrkostenerstattung allenfalls als Ermessensleistung in Betracht komme: „Daher können Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle gegebenenfalls nur im Rahmen einer Ermessenentscheidung nach § 31 SGB VI erstattet werden. Auf Abschnitt 2 dieser GRA und auf die GRA zu § 31 SGB VI, Abschnitt 2.2.3.2 sei hingewiesen.“
• Von einer derartigen (gesetzlichen) Rechtsänderung seit 01.09.2022 ist mir nichts bekannt. Zudem „ignoriert“ diese DRV die 4-jährige Verjährung laut § 45 SGB I: „Der Antrag auf Erstattung von Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle bei einer stufenweisen Wiedereingliederung muss bis zum Abschluss der stufenweisen Wiedereingliederung (einschließlich letzten Tag der SWE) gestellt werden“ Willkür mE auch insoweit, als diese GKV Antrag vor Beginn der StW verlangt, die DRV hingegen vor Ablauf der StW. Da macht wohl jeder med. Rehaträger was er will – und Aufsicht schaut nur zu?
• Vergl. auch LSG MV, 28.05.2020, L 6 KR 100/15, Rn. 66, wonach richtig „gebundener Anspruch“ anstatt Ermessen. Ebenso Siegfried Wurm, in Schell, SGB IX, § 44 Rn. 4a – wonach die Stufenweise Wiedereingliederung „selbst als eigenständige Rehabilitationsleistung zu verstehen ist“.
Fazit
Das LSG Sachsen hat sich demnach zu Recht nicht an o.g. GRA-Verwaltungsvorschriften DRV orientiert unter anderem zur vorgeblichen Ermessensentscheidung. Die beigeladene DRV hat sich zu diesem Punkt „ausgeschwiegen“, vielmehr pauschal behauptet: „Die stufenweise Wiedereingliederung stelle keine eigenständige Leistung zur medizinischen Rehabilitation dar, sondern erfolge im Zusammenspiel mit einer bereits abgeschlossenen Hauptleistung.“ Daher sind auch solche „Experten-Antworten“ wie hier vom 08.11.2022 m.E. betont kritisch zu hinterfragen; auch DRV-Formular G0835 „Antrag auf Erstattung von Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle anlässlich einer stufenweisen Wiedereingliederung“, weil es auf „außergewöhnliche Belastung“ nicht ankommt nach LSG Sachsen und LSG MV und SG Neuruppin vom 26.01.2017, S 22 R 127/14 (rechtskräftig) und SG Berlin, 29.11.2018, S 4 R 1970/18 – daher ist Frage hierzu nicht nötig und somit von vornherein unzulässig. Dieses ist aus meiner Sicht zudem grobe Verletzung des Datenschutzes, nicht erforderliche Daten zu erheben (laut Stand 12/2021) „Ohne Erstattung der Kosten ist die Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung gefährdet, weil …“ Wer hat sich so einen bürokratischen Unfug nur ausgedacht mit erfundenen Vorgaben wie Frist sowie außergewöhnlicher Belastung? Da versagt die Aufsicht!
„Ursprüngliche Differenzen GKV und DRV“
Zum Zickzackkurs der Deutschen Rentenversicherung
Zur damaligen „Praxis“ der DRV bei StW berichtete die AOK BY 2018: »In den Jahren 2008 und 2009 hat das Bundessozialgericht höchstrichterlich, gefestigt und gleichlautend in mehreren Verfahren (29.1.2008 - Az.: B 5a/5 R 26/07 R. 5.2.2009 - Az.: B 13 R 27/08 R. 20.10.2009 - Az.: B 5 R 22/08 R) zuungunsten der DRV entschieden. Diese BSG-Urteile wurden vonseiten der DRV nicht anerkannt, sondern als Einzelfälle beurteilt. Da auch keine Verzichtserklärungen auf die Einrede der Verjährung abgegeben wurden, musste in einer unglaublichen Vielzahl an entsprechenden Fällen Klage eingereicht werden. Erst auf „Hinweise“ der zuständigen Ministerien und der Gerichte hat sich die DRV zu Verhandlungen über eine Vereinbarung für Fälle ab dem Jahr 2001 bereit erklärt.« (Seite 480). Ebenso akzeptiert DRV weiterhin u.a. nicht das rkr. Urteil des LSG Sachsen, 14.10.2022 - L 1 KR 320/20, dass im Grundsatz Anspruch statt bloßes Ermessen der DRV. Hier ist Rechtsaufsicht im BAS bzw. in den Ministerien gefordert, endlich einzugreifen statt „abzutauchen“: Das ist erneut unfassbar, da wiederum weit über den Einzelfall hinausgehend.
DRV-Formular G0835 zur StW
NB: Da diese GKV offenbar den Antrag auf StW sowie auf Fahrkosten nicht fristgerecht an die DRV weitergeleitet hat, dürfte die GKV wegen ihrer „Schusseligkeit“ wohl auf ihren gesamten Kosten sitzenbleiben, also „Lehrgeld“ zahlen, es sei denn, zwischen GKV und DRV gibts eine Vereinbarung über die Erstattung? (§ 16 Abs. 4 SGB IX) - ohne Gewähr! Demnach vermutlich „Vermögensschaden“ für diese GKV (z.B. Krankengeld statt richtig Übergangsgeld; Stufenplan; Fahrkosten) wegen Fristversäumnis der beklagten GKV.
Vgl. ausführlich Dittmann, Anm. A18-2021, Nr. IV. 4 und 5, reha-recht.de, zu LSG MV, 28.05.2020 – L 6 KR 100/15 – wonach die rkr. verurteilte GKV (wohl) gleichfalls an die vorrangig zuständige DRV hätte weiterleiten müssen.
Die beigeladene DRV wurde daher zu Recht nicht verurteilt nach § 75 SGG - obwohl eigentlich zuständig - sondern die eigentlich unzuständige GKV, da von ihr nicht weitergeleitet an den nach Ansicht des LSG Sachsen zuständigen DRV-Träger.