Michael Karpf hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Mai 2024, 11:51
§ 177 Abs. 7 Satz 3 SGB IX erfasst als
vorzeitiges Ausscheiden
abschließend
1. Niederlegung des Wahlamtes,
2. Ausscheiden aus Arbeitsverhältnis …
3. Verlust der Wählbarkeit.
Hallo zusammen,
darüber lässt sich hier trefflich streiten. Davon erfasst ist jedenfalls z.B. auch der „Tod“ einer VP, auch wenn nicht eigens „ausdrücklich“ erwähnt. Dass auch Amt einer VP „vorzeitig erlischt“, wenn ihre angefocht. Wahl erfolgreich gerichtlich rechtskr. für ungültig erklärt wird, auch das ist Binsenweisheit sowie Selbstverständlichkeit gemäß den Gesetzen der Logik. Auch
Widerspruchsausschuss zum Erlöschen des Amts. Nur bei der seltenen Nichtigkeit der Wahl der VP gibts kein Nachrücken, da dann rückwirkend von vornherein
alle Wahlen unwirksam wären, diese also folglich rechtlich niemals existiert hätten – d.h. zu keinem Augenblick im Gegensatz zur Anfechtung, bei welcher es bekanntlich keine Rückwirkung gibt; ausführl.
OVG NRW, 07.04.2004, 1 A 4778/03.PVL, wonach Amtszeit nicht nur vorzeitig endete, da sie nie begonnen hat zu Laufen. Vgl. dazu ausführlich schon
Diskussion 2018 zu dem obiter dictum des OVG NRW 2004.
BIH hat geschrieben:„
Vorzeitig“ im Sinne des § 177 Absatz 7 Satz 3 SGB IX meint das Erlöschen des Amts der SBV vor Ablauf von vier Jahren.
[BIH-Wahlbroschüre 2022, Kap. 3.2, Seite 48]
Was anderes würde allenfalls dann gelten, wenn man rein hypothetisch z.B. mal dem
LAG Rheinland-Pfalz (Koblenz), 1.4.2008 - 3 TaBV 1/08, folgen würde, wonach Anfechtung nur der Wahl der VP automatisch auch Wahlen sämtlicher
Stellvertreter erfassen würde (auch ohne gesonderten Anfechtungsantrag für einen oder für mehrere oder für alle Stellvertreter). Dieses LAG hat verkannt, dass die Wahlen der
stellvertretenden Bezirksvertrauenspersonen nicht zur Entscheidung anstanden, da Anfechtung insoweit zurückgenommen wurde. Einer solchen „Auslegung“ hat schon BAG u.a. am 20.1.2010, 7 ABR 39/08, Gründe B.II.3,
Rn. 19, insoweit klar widersprochen, weil „voneinander unabhängige Wahlen“ (Mehrzahl), also rechtlich nicht bloß eine einzige „Wahl“: Genau das wird
grob irreführend suggeriert vom Wortlaut des
§ 177 Abs 5 Satz 2 Nr. 2 SGB IX per Einzahl („die Wahl“); anders die Grundsatzentscheidung des
BAG, 29.07.2009 – 7 ABR 91/07 – wonach „mehrere Wahlen“: Folglich muss diese Norm
BAG-konform so ausgelegt werden, dass Neuwahl nur dann zulässig ist, wenn alle Wahlen erfolgreich rkr. angefochten wurden und daher Nachrücken unmöglich wird;
a.A. wohl
FKS-SGB IX, 3. Auflage 2015 § 94 Rn. 33, aber ohne Begründung und zudem auch keinerlei Belege, wonach kein Nachrücken; Schubert in Knittel, SGB IX, § 177 Rn. 237 mit Verweis auf Gün in FKS-SGB IX und Adlhoch, allerdings jeweils ohne Berücksichtigung der einschlägigen BAG-Rechtsprechung 2009,
Rn. 22, zur getrennten Wahl von Vertrauensperson und Stellvertretung. Laut Schubert sei laut dem „Sinn und Zweck“ der Wahlanfechtung allein die für ungültig erklärte Wahl der Vertrauensperson „zu wiederholen“, obwohl das SBV-Wahlrecht – keine Wiederholungswahl – vorsieht im Gegensatz etwa zu PR-Wahlen (vgl.
Diskussion 2016).
Vor allem aber irrt Schubert, soweit er in Rn. 82 meint, dass es beim Fehlbeschluss bezüglich Stellvertretung des OVG Rheinland-Pfalz, 14.12.1988, 4 A 3/88, ZBR 1989, 182, um den
„Fall der Nichtigkeit“ aufgrund Teilnahme eines nicht Wahlberechtigten an der BSBV-Wahl gegangen sei, bei der zwischen zwei Kandidaten ein Unterschied von nur einer Stimme bestand: Da gings gerade nicht um rückwirkende Nichtigkeit, sondern um bloße Anfechtung für die Zukunft. Eine Nichtigkeitsfeststellung wurde weder beantragt noch festgestellt und ist ganz offensichtlich nicht feststellbar
Fehlerhafte Wählerliste führt regelmäßig gerade nicht zur Nichtigkeit nach ständiger RSpr. – sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit – und das auch nur, soweit kausal für die Wahlergebnisse – wofür ohnehin jegliche „Feststellung“ bezüglich Stelli-Wahlergebnisse fehlt.
BESTANDSKRAFT
An einer unanfechtbaren Wahl darf sich ein LAG nicht „vergreifen“: Macht ein Gericht das dennoch (nur) in den „Entscheidungsgründen“ wie dieses LAG Koblenz 2008, erwachsen sie m.E. ohnehin nicht in Rechtskraft, sondern sind vielmehr wohl insoweit prozessrechtlich unbeachtlich
Daher darf mE nicht am Gesetzeswortlaut („die Wahl mit Erfolg angefochten“) klebend des § 177 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 SGB IX regelm. keine Neuwahl gestartet werden, solange Stellvertretung „existiert“. Anders noch Cramer 1998 zum
SchwbG, dass erfolgr. Anfechtung der Wahl [der VP] stets
„auch das Amt des Stellvertreters“ erfasse; das ist
2-fach falsch, da es
1. alleine Sache der Wahlberechtigten ist lt.
BAG, darüber zu befinden – ob und welche fehlerhaften Wahlen diese anfechten und welche nicht, weil
2. bloße Anfechtung der Wahl der VP gerade nicht „auch das Amt des
_Stellvertreters erfasst“ laut BAG – und
3. umgekehrt entgegen Fehlbeschluss des LAG München 2007 – weil
keine einheitliche Wahl. Es kann wohlerwogene Gründe geben,
lediglich eine und nicht alle fehlerhaften Wahlen anzufechten; das haben Arbeitsgerichte zu respektieren, dürfen also nicht wie das LAG Rheinland-Pfalz 2008 in
seiner Begründung anderweitiges feststellen – wonach
„die_Wahl insgesamt für ungültig zu erklären“ sei – im Bereich des „Sanitätsführungskommandos“: Ist weite Überschreitung der Befugnisse dieses LAG und grob irreführend, derartige Feststellungen zu treffen, wenn Stelliwahlen nicht angefochten, da
Beschränkung der Anfechtung auf „Wahl der Bezirksvertrauensperson“ - demnach Stelliwahlen
längst unanfechtbar waren - also
_selbstverständlich nicht einfach
„insgesamt“ für ungültig
_erklärt werden durften – an dem Willen der anfechtenden Vertrauenspersonen vorbei. Vgl. schon
Ulrich Römer und
hier und
hier zu Bestandskraft und Nachrücken zu
dpolg-bayer. Ferner
Ministerialrat a.D.
Hohmann 2014 hat geschrieben:…Ungültigkeit der Wahl der SBV
bewirkt nicht „von vornherein“ die Ungültigkeit der Wahl der stellvertretenden Mitglieder (a.A.
OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. vom 14.12.1988, 4 A 3/88)
[Wiegand/Hohmann, SchwbVWO, Einl. Rn. 48]
Wollte man hier von der Variante VP-Neuwahl ausgehen, würde das zwangsläufig vertretungslose Zeit bedeuten bis zur Neuwahl, denn ohne die Existenz von einer VP läuft bekanntlich nichts. Vertretung ginge nur dann, wenn nach
Fried die 1. Stellvertretung „vorübergehend“ nachrücken würde. Ein solches nur zeitweiliges Nachrücken ist aber kategorisch ausgeschlossen mangels Rechtsgrundlage.
Wiederholungswahl ist (entgegen Fried – wonach Wahl
„zu wiederholen“ sei) ohnehin dem Wahlrecht im SGB IX fremd und völlig sinn- und zweckfrei für SBV-Wahlen, da strukturell unterschiedlich bspw. zur PR-Wahl. Demnach keine
_Neuwahl der VP bei isolierter Anfechtung laut BIH-Wahlbroschüre 2022,
Seite 88, sondern Nachrücken bei bestandskräftiger Wahl der Stellvertretung – auch wenn diese gleichfalls fehlerbehaftet sein sollte – jedoch nicht fristgerecht angefochten wurde: Zu dem SBV-Wahlrecht gehört es frei auszuwählen, welche fehlerhaften Wahlen angefochten werden – und welche nicht: Das dürfen die Arbeitsrichter nicht vereiteln und nicht den Wählerwillen aushebeln wie vormals
LAG Koblenz 2008 lt. BAG. SBV-Wahlen sind nie eine „Listenwahl“ (wie z.B. für PR-Wahl zugelassen), sondern ausschl. reine „Personenwahlen“. Dieser Begriff „Wiederholungswahl“ kommt zudem im Schwerbehindertenrecht an keiner Stelle vor, also frei erfundenes Konstrukt
von Fried. Anfechtung der Wahl einer
_VP ersetzt und umfasst nicht die Anfechtung der Stelliwahlen nach Ansicht des BAG.
Ich bin gespannt, ob es auch andere Meinungen gibt.
UMFRAGE
Gibt‘s noch andere Meinungen dazu, gern auch neuere Fachliteratur - evtl. auch anhängige Gerichtsverfahren? Wie
_wird das andernorts praktiziert? Danke Jada Wasi