Benachteiligung nach § 15 AGG?

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Gaylord
Beiträge: 2
Registriert: Mittwoch 5. Februar 2025, 20:08

Benachteiligung nach § 15 AGG?

Beitrag von Gaylord »

Hallo zusammen,

ich bin SBV bei einer Kommune und die Personaler haben eine ganz tolle Idee, um Bewerbungen auf eine neue Stelle auf eine übersichtlichere Anzahl zu reduzieren. Dazu habe sie sich das "konstitutive Anforderungsprofil" und die "zwingenden Kriterien" ausgedacht. Kurz soll bei einer neuen Ausschreibung glasklar die geforderte Ausbildung als zwingendes Kriterium genannt werden und ähnliche Berufe nicht mehr zugelassen werden. In meinen Augen ein verständlicher Ansatz zur Arbeitsreduktion und Effizienzsteigerung.

Jetzt wurde an mich folgende Frage eines Schwerbehinderten Mitarbeiters herangetragen, der keine Verwaltungsausbildung hat, sondern Diplombauingenieur ist.

Für 2025 ist eine Neubesetzung in seinem Dezernat geplant. Es soll ein Architekt gefunden werden. Um das "konstitutive Anforderungsprofil" umzusetzen wird derzeit die Formulierung "Die formale Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung ist ein Studienabschluss als Diplomarchitekt" favorisiert. Diplombauingenieure würden nach dem Verständnis der Vorgesetzten so nicht im weiteren Verfahren berücksichtigt werden und nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Andere Kommunen schreiben regelmäßig und auch aktuell entweder einen Architekten oder Bauingenieur für die zu besetzenden Stellen aus, da sich beide Berufe in ihren Tätigkeiten kaum unterscheiden. Jetzt ist die Frage, wenn ein schwerbehinderter Bauingenieur auf diese Stelle bewerben würde und nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden würde, ob dies schon eine Benachteiligung nach § 15 AGG begründet.

Die "offensichtliche Uneignung" ist meines Erachtens nicht gegeben, sonst würden andere Kommunen, Landkreise, das Land und der Bund nicht regelmäßig beide Berufe in den Verfahren zulassen. Und wenn das Indiz der Benachteiligung gegeben ist, hätte dann eine Klage auf Entschädigung (die berühmten "drei Gehälter") Aussicht auf Erfolg? Weil wenn ja, würde ich mit diesem Hinweis an die Dienststelle herantreten und auf die Gefahr hinweisen.

Vielen Dank.
matthias.günther
Beiträge: 291
Registriert: Mittwoch 2. Mai 2012, 14:41

Re: Benachteiligung nach § 15 AGG?

Beitrag von matthias.günther »

Hallo,

nachdem die Rechtsprechung regelmäßig die Nichteinladung als eng anzusehenden Ausnahmefall sieht, nämlich dann wenn ein Bewerber die geforderte Qualifikation "unzweifelhaft" nicht erfüllen kann und auch keine vergleichbaren Kenntnisse und Fertigkeiten hat, könnte der nicht eingeladene Bewerber durchaus gute Karten haben, wenn er den Rechtsweg beschreitet. Dass dieser von den dergestalt benachteiligten Bewerbern rege und sehr oft erfolgreich genutzt wird, um gegen "unwillige" öffentliche Arbeitgeber vorzugehen, sollte doch Grund genug für eine Einladung sein. Die Alternative: "Lernen durch Schmerzen". Denn gerade die Einladung zum Vorstellungsgespräch soll dem Menschen mit Behinderung Gelegenheit geben, etwaige Zweifel in diesem Gespräch ausräumen zu können. Eine derart strenge Vorauswahl würde diesem Ziel und der besonderen Verpflichtung der öffentlichen Arbeitgeber zur Förderung der Einstellung von Menschen mit Behinderung mMn erkennbar zuwiderlaufen. Zumal eine solche Klage auf Schadensersatz für einen nicht eingeladenen Bewerber keine allzu hohe "moralische" Hürde darstellt.
Dazu u. a.:
"Nur durch eine weite Auslegung des § 165 Satz 3 SGB IX wird es dem Arbeitgeber ermöglicht, sich ein "umfassendes Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung des schwerbehinderten Bewerbers" zu machen und dadurch etwaige Vorbehalte abzubauen. Der öffentliche Arbeitgeber kommt - bei einem mehrstufigen Auswahlprozess - mit der Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers allein zu dem auf der ersten Stufe stattfindenden Vorstellungsgespräch seiner Verpflichtung nur dann nach, wenn er sich bereits aufgrund dieses Vorstellungsgesprächs einen umfassenden Eindruck darüber verschaffen kann, ob der Bewerber über die fachliche und persönliche Eignung für die Stelle verfügt. Dieses Verständnis ist zudem unter Betrachtung von Art. 5 S. 1 RL 2000/78/EG und Art. 5 III UN-BRK geboten, da nur so die Gleichbehandlung gewährleistet und die Diskriminierung verhindert werden kann (BAG, NZA 2021, 200 (204)."

Vielleicht hat noch jemand weitere Ideen/Anregungen?

VG aus dem Integrationsamt
jada.wasi
Beiträge: 442
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

Re: Benachteiligung nach § 15 AGG?

Beitrag von jada.wasi »

Gaylord hat geschrieben: Mittwoch 5. Februar 2025, 20:39 "Die formale Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung ist ein Studienabschluss als Diplomarchitekt"
Hallo zusammen,

was zwingend maßgeblich ist, wird im Anforderungsprofil (Stellenausschreibung) festgelegt laut Rspr.

Grundsätzlich ist im öffentlichen Dienst die jeweils amtliche Stellenausschreibung das Maß aller Dinge. Wenn also als zwingende Voraussetzung ein solcher Studienabschluss „Diplomarchitekt“ verlangt wird, dann ist das wohl nicht zu beanstanden, da mE nicht willkürlich. Willkürlich wäre zB – wenn etwa von einer Putzfrau fließendes Deutsch in Wort und Schrift verlangt würde laut Fachschrifttum – weil klar überzogenes Anforderungsprofil.

Gaylord hat geschrieben: Mittwoch 5. Februar 2025, 20:39 Andere Kommunen schreiben regelmäßig entweder einen Architekten oder Bauingenieur aus, da sich beide Berufe in ihren Tätigkeiten kaum unterscheiden.
Was hier andere Kommunen machen ist nicht bindend:
Zum Unterschied von Architekt und Bauingenieur siehe bspw. hier sowie evt. auch dieses YouTube-Video 2021, Thema: Bauingenieur und Architektur? Gruß Jada Wasi
Gaylord
Beiträge: 2
Registriert: Mittwoch 5. Februar 2025, 20:08

Re: Benachteiligung nach § 15 AGG?

Beitrag von Gaylord »

Vielen Dank erstmal, beides denkbare Ansätze.

Die Haupttätigkeit soll sich auf die Leistungsphasen 1-9 der HOAI beschränken, je nach Studienschwerpunkt / Vertiefungsrichtung beider Studienrichtungen kann sowohl der Architekt als auch der Bauingenieur das Eine besser oder weniger gut in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden erfüllen. Auch spielt eine entsprechende Berufserfahrung auch gewiss eine Rolle. Die nächste Frage, die sich mir nun aufdrängt ist, ob "...ein Bewerber die geforderte Qualifikation "unzweifelhaft" nicht erfüllen kann..." hier also Abschluss als Architekt als Qualifikationsmerkmal ausreicht diese ""Unzweifelhaftigkeit" festzustellen, wenn er einen Abschluss als Bauingenieur hat? Und wenn er z.B. 15+Jahre Berufserfahrung in den Leistungsphasen 1-9 nachweisen kann?
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