Neuwahl nach erfolgreicher Wahlanfechtung

jada.wasi
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Neuwahl nach der erfolgreichen Anfechtung (lediglich) der Wahl der Vertrauensperson ?

Beitrag von jada.wasi »

Hohmann online hat geschrieben:Ungültigkeit der Wahl der SBV bewirkt nicht „von vornherein“ die Ungültigkeit der Wahl der stellvertretenden Mitglieder (a.A. OVG Rhein­land-Pfalz, Beschl. vom 14.12.1988, 4 A 3/88)
[Wiegand/Hoh­mann, SchwbVWO, Einl. Rn. 48]
Ministerialrat a.D. Hohmann ist voll zuzustimmen - entgegen den BIH-Wahlbroschüren 2014 und 2018 (weil_insoweit wahlrechtlich so nicht begründbar)

Über unanfechtbare und damit bestandskräftige Stelli-Wahlen ist es den Gerichten natürlich verwehrt – eine Sachentscheidung zu treffen. Vgl. entsprechend bspw BVerwG, 11.03.2010, 7 B 36/09 mit Orientierungssatz bezüglich „gesicherter Rechtsposition“ bei Fristablauf.

Vgl. Prof. Düwell, LPK-SGB IX, § 177 Rn. 95, wonach insoweit hier „die für die Betriebsratswahl geltenden Grundsätze nicht übertragbar“ sind auf SBV-Wahlen. Offenbar hat sich dieses aber nicht überall bei allen Arbeitsrichtern rumgesprochen - obwohl sehr nahe­liegend schon auf den ersten Blick, wenn man zum Beispiel nur einen Blick etwa auf die Nummer 5 des amtlichen Wahl­ausschreibens, bzw. Stimmzettel für beide „getrennte“ Wahlen wirft - wonach „getrennt“ vorgeschlagen, abgestimmt sowie ausgezählt wird:
Wer ausschließlich als Stellvertr. kandidiert – kann niemals als VP gewählt werden – sowie umgekehrt, da_eben unterschiedliche Wahlen. Siehe dazu auch kritisch Diskussion 2018 zum OVG Rhein­land-Pfalz (Koblenz), 14.12.1988 – 4 A 3/88, und auch hier;

a.A. differenziert, fundiert, kompakt, verständl. und erschöpfend dargestellt OVG NRW, 06.04.2004, 1 A 4778/03.PVL, Rn. 53, wonach zwar die Nichtigkeit der Wahl einer VP (ex tunc) automatisch immer auch Un­wirksamkeit der Wahl (aller) Stellvertreter bewirkt – jedoch nicht bloße Anfechtung (ex nunc) der Wahl einer_VP (Umkehrschluss aus OVG NRW 2004 - da zeitweilig das Amt „wirksam bestanden hat“, daher zwingend nachgerückt wird - entgegen nicht näher begründeten Einzelmeinungen im Schrifttum). Eine Akzessorietät wie bei der deklaratorischen Nichtig­keitsfeststellung gibt es also nicht bei Anfechtung, sondern Kausalität, so zu Recht OVG NRW 2004:
OVG NRW 2004 hat geschrieben:Ein Nachrücken gemäß § 94 Abs. 7 Satz 4 SGB IX findet nicht statt, da das Amt der Vertrauensperson zu keinem Zeitpunkt wirksam bestanden hat, also nicht (nur) vorzeitig endete.
Wahlrecht und Wahlordnungsrecht
Das Wahlrecht ist leider teils verwirrend normiert, da vielfach von „Wahl“ (Einzahl), jedoch andernorts und BAG richtig von „Wahlen“ (Mehrzahl) die Rede ist, als gäbe es diese Besonderheit „in zwei getrennten Wahl­gängen“ im SBV-Wahlrecht nicht - im Gegensatz etwa zum BetrVG. Zu der „verunglückten“ Normtechnik aus dem letzten Jahrhundert, sowie dem SchwbG insoweit unverändert entnommene Normierung vgl. z. B. schon kritisch Diskussion 2014. Zu verbreiteten Defiziten im Wahlrecht und damit teils überfordert. Bundesrichtern vgl Düwell, LPK-SGB IX, § 177 Rn. 93. Gruß Jada Wasi
jada.wasi
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Gesetzestext missverständlich und zweideutig

Beitrag von jada.wasi »

Hallo zusammen,

der § 177 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SGB IX greift dann, wenn Wahl der VP erfolgreich angefochten wurde und keine Stellvertretung gewählt wurde: Denn „die Wahl“ als solche gibt es nicht – sondern regelmäßig mehrere Wahlen. Eine solche einzelne Wahl gibts nur im atyp. Sonderfall, wenn nur eine VP - ohne Stellvertretung - gewählt wurde. Demnach ist die Nr. 2 mehrdeutig, da regelmäßig mehrere Wahlen und eben nicht nur „die“ eine „Wahl“, wie klargestellt seit BAG, 29.07.2009 - 7 ABR 91/07 – entgegen allen Vorinstanzen. Dem ist klar zuzustimmen: Es gibt keinen logischen Grund, dass bei wirksamer ➔Kündigung der VP nachgerückt wird, nicht aber etwa bei wirksamer Anfechtung (nur) der VP-Wahl oder z. B. bei bestandskräftiger Amtsenthebung durch Integrationsamt bzw. per Gerichtsbeschluss. Vgl. dazu Düwell LPK-SGB IX, § 177 Rn. 8 ➔Rn. 100: In allen drei Fällen geht es gleichermaßen um das „Erlöschen“ des Amts. Eine ent­spre­chen­de Klarstellung im BTHG 2016 wurde versäumt. Man darf gespannt sein, wie die Rspr. damit umgeht in Kenntnis von OVG NRW 2004, sowie Grundsatzrevision BAG 2009, zuletzt bestätigt durch BAG, 21.03.2018 - 7 ABR 29/16, Rn. 26, zum SchwbG, Stand 1991 („nicht um eine einheitliche, sondern um zwei getrennte Wahlen“). Dieses OVG NRW 2004 hat einzig und alleine deshalb das Nachrücken der Stell­vertretung zu Recht verneint, weil die VP niemals zu keinem Zeitpunkt wirksam im Amt gewesen war (im Gegensatz zu einer Anfechtung) Was mit „die Wahl“ genau gemeint ist – darüber schweigt Gesetzgeber.

:!: Wird trotz Nachrückung neu gewählt, dann wäre diese VP-Neuwahl nichtig! Vgl sinngemäß BAG vom 11.04.1978 – 6 ABR 22/77 – zur Nichtigkeit einer BR-Zwischenwahl für „Münchener Bezirk“ wegen rein willkürlicher Zwischenwahl im Januar 1976 – unter Aufhebung aller Vorinstanzen – die die Nichtigkeit verkannt haben trotz offensichtlicher Nichtigkeit.

:?: Ob und ggf was sich der Gesetzgeber dabei nur gedacht hat, Ungleiches gleich zu behandeln sowie widersprüchlich zu § 177 Abs. 7 Satz 4 SGB IX zum Nachrücken, obwohl sich Neuwahl und Nachrücken bekanntlich kategorisch ausschließen …

Soweit „federführendes“ Bundesministerium vormals mit Verweis auf frühere verwaltungsgerichtliche RSpr. meinte, dass mit der wirksamen Anfechtung der Wahl (nur) der VP stets auch die Ämter (aller) Stellvertreter enden würden und folglich „neu zu wählen“ sei - auch falls nicht gesondert angefochten und demnach un­an­fecht­bar - so ist dieses offensichtlich unvereinbar mit zwischenzeitlicher ständ. BAG-Rspr zum SGB IX und vormaligem SchwbG; das letzte Wort hat nun mal das BAG bei der „abschließenden Auslegung“ – nicht das Bundes­so­zial­minis­te­rium. Ebenso zu Recht nun BIH-Wahlbroschüre 2022, Kap. 3.4, Seite 51, und Seite 88. Gruß Jada Wasi


BIH-Wahlbroschüre 2022, Kapitel 3.4, Seite 51
BIH-Wahlbroschüre 2022, Kapitel 3.4, Seite 51
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jada.wasi
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LAG Köln, 17.11.2023 - 9 TaBV 31/23

Beitrag von jada.wasi »

Hohmann online hat geschrieben:Ungültigkeit der Wahl der SBV bewirkt nicht „von vornherein“ die Ungültigkeit der Wahl der stellvertretenden Mitglieder (a.A. OVG Rhein­land-Pfalz, Beschl. vom 14.12.1988, 4 A 3/88)
[Wiegand/Hoh­mann, SchwbVWO, Einl. Rn. 48]
NEU: Ebenso LAG Köln, 17.11.2023 - 9 TaBV 31/23 - wonach die erfolgreiche Anfechtung nur der Wahl der Vertrauensperson nicht zwingend Unwirksamkeit der Stellvertreter-Wahl bewirkt (Rn. 38) Denn Wahlen, die nicht angefochten wurden und demnach unanfechtbar sind_wie hier, können nicht für ungültig erklärt werden gemäß BAG.

Dem ist klar zuzustimmen entgegen Teilen der früheren verwaltungs- und arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung - sowie Teilen der Literatur – welche das völlig unkritisch kommentierten 👎 Gruß Jada Wasi

Anfechtungsausschlussgründe?
Ledigl. am Rande sei erwähnt, dass im Wahlausschreiben kein Hinweis aufzunehmen ist, dass die Anfechtung durch die Wahlberechtigten wegen einer unrichtigen Wählerliste ausgeschlossen sei, wenn nicht zuvor aus selbem Grund ordnungsgemäßer Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt worden sei (Rn.12), weil es in § 5 SchwbVWO keine solche Hinweispflicht gibt. Derartige Anfechtungsausschlüsse gibts m.E. nicht für SBV-Wahl entgegen LAG Hessen, 13.11.2023 – 16 TaBV 72/23 (anhängig BAG – 7 ABR 36/23, Termin: 23.10.2024)
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