Blaulicht auf einem Einsatzfahrzeug bei Nacht

Blaulichtorganisationen und Inklusion: Schauen, was geht

Menschen mit Behinderung arbeiten selbstverständlich auch bei Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten. Dabei gibt es allerdings einiges zu beachten, da die Einsatzfähigkeit ein wichtiges Kriterium ist. Ein Überblick.

Einen Straftäter festnehmen, wenn man blind ist. Bei einem Brand das Feuer bekämpfen, wenn man im Rollstuhl sitzt. Einen Schwerverletzten nach einem Unfall medizinisch versorgen, wenn man gehörlos ist. Nicht möglich? Doch, aber halt anders, wie die Praxis zeigt. So kann ein blinder Mensch in der Auswertung von Tonaufnahmen entscheidende polizeiliche Ermittlungsarbeit leisten, eine erfahrene Feuerwehrkraft, die nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt, kann bei Brandschutz- und Einsatzplanung ihr Fachwissen einbringen. Und mit Cochlea-Implantaten und damit kombinierbarem Stethoskop kann auch ein gehörloser Mensch als Notfallsanitäter arbeiten.

Bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst gibt es zahlreiche Aufgaben, die auch von Menschen mit Behinderungen übernommen werden können. Das gilt sowohl für Menschen, die sich trotz Behinderung für einen Blaulichtberuf bewerben wollen, als auch für Einsatzkräfte, denen im Laufe ihrer Dienstzeit durch einen Unfall oder eine Krankheit eine Behinderung widerfährt.

Diensttauglichkeit ist entscheidendes Kriterium

Für alle Blaulichtberufe gilt: Entscheidendes Kriterium, ob man bei der Polizei, der Feuerwehr oder dem Rettungsdienst als aktive Einsatzkraft arbeiten kann, ist die Einsatz- bzw. Diensttauglichkeit, die auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Tauglichkeit muss arbeitsmedizinisch bestätigt werden – unabhängig davon, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht. Ist diese Einsatzfähigkeit nicht oder nur teilweise vorhanden, kann es für die Betroffenen aber alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bei den Blaulichtorganisationen geben.

Die Entscheidung, ob und, wenn ja, wie eine Beschäftigung in diesen Berufsfeldern möglich ist, muss im Einzelfall getroffen werden. Grundsätzlich nimmt der Gesetzgeber die Blaulichtorganisationen aber genau wie alle anderen Arbeitgeber in die Pflicht, Menschen mit Behinderung die gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben zu ermöglichen. So gilt auch für diese Organisationen die gesetzlich vorgeschriebene Schwerbehindertenquote nach § 154 SGB IX, die Arbeitgeber mit mehr als 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Schwerbehinderung oder ihnen Gleichgestellten zu besetzen. Andernfalls muss eine Ausgleichsabgabe gezahlt werden. Und auch die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) verpflichtet die Vertragsstaaten in Artikel 27, Menschen mit Behinderung den Zugang zum Arbeitsmarkt, in dem sie ihr Arbeitsfeld frei wählen können, zu ermöglichen und dies durch entsprechende Gesetzgebung sicherzustellen. In Deutschland ist das Gesetz zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention 2009 in Kraft getreten. Doch wie lässt sich Inklusion in der Praxis bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst umsetzen?

Polizei in NRW: 5.000 Beschäftigte mit Behinderung

Bei der Polizei NRW arbeiten 5.000 Beschäftigte mit Behinderungen. Das sind sieben Prozent und damit deutlich mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtquote.

Dabei sind die Einsatzmöglichkeiten für Beschäftigte mit Behinderung vielfältig. So kann der Polizeihauptkommissar Detlef Lammers, der nach einem privaten Unfall querschnittsgelähmt ist, durch einen Stellenwechsel und einen Arbeitsplatz, der an seine Bedürfnisse angepasst ist, weiterhin Führungsaufgaben übernehmen. Die örtliche Fachstelle für Menschen mit Behinderung im Beruf hat die Anschaffung eines elektrischen Stehrollstuhls für den Hauptkommissar im Rahmen von § 26 SchwbAV gefördert. Der Stehrollstuhl ermöglicht es Lammers sich während der Arbeit zwischendurch hinzustellen. Zwei Vorteile: Er kann seine versehrte Wirbelsäule entlasten und reicht ohne Hilfe an Aktenordner in oberen Regalen.

Der Polizeihauptkommissar Marco Herschbach konnte nach einem Verkehrsunfall, dem 13 Operationen und Rehas folgten, den Streifendienst nicht mehr ausüben. Er wechselte daraufhin in die Einsatzleitstelle seiner Kreispolizeibehörde und ist dort seit 2022 stellvertretender Leiter des neuen Verkehrsunfallaufnahmeteams. Dieses Team ist bei schweren Verkehrsunfällen mit Todesopfern für die Spurensicherung und Unfallrekonstruktion zuständig.

Interessante berufliche Perspektiven

Wer mit einer Behinderung zur Polizei möchte, hat ebenfalls durchaus interessante Jobmöglichkeiten, wie das Beispiel der 44-jährigen Verwaltungsfachangestellten Julia Hahn zeigt, die seit 2019 in einer Kreispolizeibehörde in NRW arbeitet. Sie kam bereits mit einer schweren Sehbehinderung zur Welt, mittlerweile ist sie nahezu erblindet. In ihrem Job verschriftlicht sie unter anderem für die Kriminalpolizei Tonprotokolle von Vernehmungen.

Und aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke zu machen – dies gelang Nathalie Broschinski, die mit einer Autismus-Spektrum-Störung mit Inselbegabung lebt. Sie arbeitet seit 2020 als Super-Recognizerin beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf. Hier ist sie für die Auswertung von Bildmaterial mit kinderpornografischen Inhalten zuständig und ist dabei schneller als das digitale System des LKA. Denn: Sie unterscheidet aufgrund ihrer Autismus-Spektrum-Störung nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem und kann so kleinste Details wie zum Beispiel den Ausschnitt eines Teppichmusters wiedererkennen. Gleichzeitig belastet sie das verstörende Material nicht so stark wie andere Kollegen.

„Diese Leute sind ein echter Gewinn für Nordrhein-Westfalen. Sie an uns zu binden, liegt im Interesse des Landes und das ist nicht nur eine Frage der Inklusion, sondern vor allem ein Weg, hoch motivierte und qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen“, erklärt NRW-Innenminister Herbert Reul. Er setzt sich in seinem Bundesland gezielt für mehr Inklusion in Landesbetrieben ein.

Neu gefasste Richtlinie

So trat zum 1. Januar 2024 in Nordrhein-Westfalen eine Überarbeitung der Richtlinie zur Durchführung der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung im öffentlichen Dienst im Land Nordrhein-Westfalen in Kraft. „Im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie wurden in einem engen und konstruktiven Austausch mit den Schwerbehindertenvertretungen und der AGSV (Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehindertenvertretungen der Länder) bedeutsame Neuerungen eingeführt“, erklärt Erika Ullmann-Biller, Hauptschwerbehindertenvertretung der Polizei in NRW. Die Neufassung enthält unter anderem weitergehende Ausführungen und Handlungsempfehlungen zur Rolle der Inklusionsbeauftragten sowie die ausdrückliche Forderung der Aktivierung von innerbehördlichen Inklusionsteams. „Die neu gefasste Richtlinie hat erstmals eine Geltungsdauer von zehn Jahren. Damit haben alle Akteure nun für eine geraume Zeit Rechts- und Handlungssicherheit in Sachen Teilhabe und Inklusion im Land NRW“, sagt Ullmann-Biller.
 

Berufsfeuerwehr der Stadt Frankfurt: Vielfältige und inklusive Organisation

„Im Einsatzbereich zählt die Einsatzfähigkeit, aber gleichzeitig versteht sich die Feuerwehr als vielfältige und inklusive Organisation. Und in allen Tätigkeitsbereichen, in denen die strengen gesetzlichen Regeln für die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht gelten, sind wir offen für alle Bewerber. Und egal ob mit oder ohne Behinderung, wer dann auf die Stelle passt, kann bei uns sein berufliches Zuhause finden“, erklärt Florian Pfeifer, zuständig für Personalrechtsfragen im Fachbereich Grundsatz und Lage bei der Stadt Frankfurt.

Zu den gesetzlich vorgeschriebenen gesundheitlichen Voraussetzungen zählt zum Beispiel die Atemschutztauglichkeit. „Bewerberinnen und Bewerber müssen diese Voraussetzung erfüllen. Da führt kein Weg dran vorbei, wenn man bei der Berufsfeuerwehr als aktive Einsatzkraft arbeiten will“, sagt Pfeifer. Sind die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, gebe es aber auch bei der Berufsfeuerwehr vielfältige unterstützende Tätigkeiten, zeigt Pfeifer mögliche Alternativen auf. Dazu zählen beispielsweise eine Laufbahn in der Verwaltung, in der IT- oder Technikabteilung oder in den verschiedenen Werkstätten der Berufsfeuerwehr. Diese Arbeitsfelder kommen auch für Kolleginnen und Kollegen infrage, die durch einen Unfall oder eine Erkrankung nicht mehr einsatzfähig sind. Man versuche in solchen Fällen immer für den Betroffenen eine gute Lösung zu finden, sagt Pfeifer.

Und diese müsse nicht immer direkt ein Laufbahnwechsel beispielsweise in den Verwaltungsbereich sein. „Denn viele Feuerwehrleute möchten auch nach Verlust der Einsatzfähigkeit nah bei der Truppe bleiben“, weiß Pfeifer. Dann könne beispielsweise die Arbeit beim vorbeugenden Brandschutz oder der Wechsel in einen technischen Bereich eine Alternative sein, bei der die Betroffenen ihr Fachwissen und ihre bisherige berufliche Erfahrung gut einbringen könnten. Ein konkretes Beispiel: Ein Kollege, der nach einem Motorradunfall im Rollstuhl sitzt, wechselte in die Atemschutzwerkstatt.

Malteserhilfsdienst in NRW: Berufliche Chancen für alle Menschen

Und auch beim Rettungsdienst können Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz finden. So bietet beispielsweise der Malteserhilfsdienst (MHD) grundsätzlich erst mal alle seine Angebote in den Rettungsdienstschulen für alle Menschen an, betont Patrick Pöhler, Pressesprecher der Malteser in Köln: „Gleichzeitig geben wir schon sehr früh Hinweise, an welcher Stelle, im Kurs oder später im Beruf, eine körperliche Einschränkung Herausforderungen mit sich bringen kann.“ Um Menschen mit Behinderung bestmöglich zu unterstützen, kümmert sich bei den Maltesern seit Neuestem ein verbundweit tätiger Inklusionsbeauftragter um deren Anliegen. Zusätzlich gibt es seit September einen neuen E-Learning-Kurs mit Grundwissen zum Thema Inklusion, der für den gesamten Verband zur Verfügung steht. Und im Rahmen eines Strategieprozesses hat der MDH erste Ideen gesammelt, wie Inklusion noch weiter im Arbeitsalltag beim Rettungsdienst integriert werden kann.

Wie bei Polizei und Feuerwehr ist die Voraussetzung für die Arbeit als Rettungs- oder Notfallsanitäter die gesundheitliche Eignung. Diese wird im Rahmen einer arbeitsmedizinischen Untersuchung festgestellt. Und das bedeutet auch, dass man auch mit einer Schwerbehinderung als Notfall- oder Rettungssanitäter arbeiten kann, wenn durch die Behinderung die Einsatztauglichkeit nicht beeinträchtigt ist, berichtet Ralf Bischoni aus eigener Erfahrung. Der heutige Leiter Rettungsdienst bei den Maltesern in NRW war selbst durch mehrere Hauterkrankungen zwischenzeitlich schwerbehindert. Da diese Schwerbehinderung nicht seine Einsatzfähigkeit beeinträchtigte, konnte der gelernte Krankenpfleger und Notfallsanitäter trotzdem seinen Beruf weiter ausüben. „Die Organisation hat dabei die ganze Zeit auch hinter mir gestanden und mir den Rücken gestärkt“, erzählt Bischoni.

Gezielte Unterstützung

Der Notfallsanitäter ist in seiner Funktion beim MHD für 100 Rettungswachen und rund 2.500 Mitarbeiter zuständig. Ihm ist es besonders wichtig, dass Kolleginnen und Kollegen, die durch einen Unfall oder eine Erkrankung nicht mehr einsatzfähig sind, gezielt unterstützt werden, um wieder arbeitsfähig zu werden. „Unser Ziel ist es erst mal, die Betroffenen weiter beim Rettungsdienst zu beschäftigen. Ist das nicht möglich, dann in einem anderen Tätigkeitsbereich innerhalb unserer Organisation.“ Vor allem gesundheitliche Defizite, die zunächst die Einsatzfähigkeit einschränken, können häufig durch technische Hilfsmittel oder medizinische Eingriffe kompensiert werden. „Sind gesundheitliche Einschränkungen durch solche Maßnahmen behebbar, wird das von uns unterstützt“, betont Bischoni: „In unserem Beruf helfen wir Menschen. Da ist es für uns selbstverständlich, diese Sichtweise auch nach innen zu leben.“

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