Voll einsatzfähig
Nach einem Motorradunfall hat Polizist Alexander Butz die härteste Zeit seines Lebens. Erst eine auf dem Papier nicht notwendige Unterschenkelamputation verändert alles. Nun ist Butz Schwerbehindertenvertretung bei den Einsatzkräften der Polizei Baden-Württemberg und kooperiert mit dem KVJS-Inklusions- und Integrationsamt. Eine echte Erfolgsgeschichte.
Vor 15 Jahren ist der damals 26-jährige Polizist Alexander Butz mit dem Motorrad zwischen Hockenheim und Speyer unterwegs. Auf der Landstraße steht ein Pkw auf der Abbiegespur mit dem Blinker nach links. Butz hat Vorfahrt, aber im letzten Augenblick zieht das Auto nach links. Mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h fährt Butz ungebremst in den Pkw. Sein Motorrad stellt sich auf und Butz wird mehr als 70 Meter durch die Luft geschleudert. Der Polizist landet in einem Feld, ist bei Bewusstsein und realisiert sofort, dass mit seinem Fuß etwas nicht stimmt. In dieser Situation läuft bei ihm ein bekanntes Programm ab: Er informiert den Rettungsdienst, die Polizei und ruft zu Hause an. „Der 65-jährige Pkw-Fahrer hatte sich vorher noch mit der Schwiegermutter auf dem Rücksitz unterhalten und ist dann einfach losgefahren“, schildert Butz die Unfallumstände.
Eine lange Leidenszeit beginnt
In fünf Operationen innerhalb von vier Wochen wird der abgetrennte Fuß wieder an den Unterschenkel genäht. Allerdings musste der Fuß im Sprunggelenk versteift werden. Die Gelenkversteifung wird in der Fachsprache als Arthrodese bezeichnet. Deswegen trug Butz auch zunächst sogenannte Arthrodesenstiefel, weil ein Abrollen des Fußes nicht mehr möglich war.
Der ambitionierte Motorradfahrer aus Germersheim in der Südpfalz ist seit 2001 im Polizeidienst bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit – einer Sparte also, bei der es auch einmal robuster zugeht. „Die körperlichen Voraussetzungen hatten damals eine große Rolle gespielt, weil körperliche Fitness die Basis dafür ist, um auch in Situationen, die es erfordern, Zwangsmittel einzusetzen.“
Neben dem Motorradfahren war die zweite Leidenschaft des sportlichen Polizisten das Handballspiel. „Ich habe mir nach dem Unfall einen Spezialstiefel bauen lassen – das funktionierte allerdings eher schlecht als recht“, sagt er. Ohne Sprunggelenk zu laufen, das sei so, als ob man nur auf der Ferse rennt, erzählt er. „Es lässt sich über das Knie und die Hüfte ein wenig korrigieren, ergibt aber kein rundes Gangbild und macht auch wenig Spaß“, erläutert Butz.
Psychologisches Gutachten und weitere Herausforderungen
Mitte 2010 brechen bei einer belastenden Übung innerhalb der Versteifung verschiedene Schrauben. „Knochen mahlten auf Knochen – das waren irrsinnige Schmerzen“, erzählt Butz. Nach einer erneuten Operation leidet er nun zusätzlich an einem CRPS (engl. für Complex Regional Pain Syndrom = komplexes regionales Schmerzsyndrom). Die Ursache des CRPS ist bis heute nicht vollständig geklärt. Fakt ist allerdings, dass das erkrankte Fußgelenk anschwoll und er unerträgliche Schmerzen hatte. „Bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit Ibuprofen und ähnlichen leichteren Schmerzmitteln immer alles abdecken – das funktionierte dann nicht mehr“, sagt er. Durch den Einfluss von starken Schmerzmitteln sinkt seine Lebensqualität rapide. „Ich war abhängig von zehn Medikamenten und tief im Bewusstsein eingetrübt, teilweise lief mir nur noch der Sabber aus dem Mund“, erzählt Butz.
In dieser Zeit reift in Butz der Gedanke einer Amputation des lädierten Fußes. Aber so einfach war das nicht, denn der Fuß war – zumindest auf dem Papier – funktionsfähig und gut durchblutet. Damit war eine Amputation eigentlich nicht „nötig“ und der Polizeibeamte musste zunächst ein psychologisches Gutachten vorlegen.
„Die härtesten Wochen meines Lebens“
Eine weitere Herausforderung: Aufgrund der hohen Schmerzmitteldosen muss Butz noch vor der Operation einen Entzug machen. Das DRK-Schmerzzentrum in Mainz empfahl einen zwölfwöchigen Entzug in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik. Da der OP-Termin zur Amputation aber bereits in vier Wochen war, entscheidet der Polizeibeamte sich für das „Tal der Tränen“, wie ihm die Ärzte den verkürzten kalten Entzug beschrieben hatten. „Der Entzug waren die härtesten Wochen meines Lebens“, erinnert er sich. Tagelang kann er nicht schlafen, hat Krämpfe, schwitzt und friert gleichzeitig.
Am 10. Juni 2011 wird der Fuß schließlich amputiert. Bereits Anfang November kann Butz mit der neuen Prothese zwei Stunden Handball spielen. Seit dem 1. Januar 2012 arbeitet er wieder uneingeschränkt und vollschichtig im Polizeidienst. Der unterschenkelamputierte Beamte ist bis dato Deutschlands einziger amputierter Mitarbeiter, der uneingeschränkt dienstfähig ist.
Heute balanciert Butz mit seiner Prothese auf einem Schwebebalken, fährt mit dem Mountainbike Downhill und geht in seinem neuen Hobby auf – dem Bergsteigen. Einschränkungen habe er lediglich, wenn er die Prothese ausziehe: „Aber das passiert nur einmal täglich, wenn ich ins Bett gehe“, sagt er.
Neue Aufgaben für den Polizisten
Im November 2022 wird Alexander Butz zur Vertrauensperson der Menschen mit Schwerbehinderung im „Polizeipräsidium Einsatz“ mit seiner Zentrale in Göppingen gewählt. Er ist von seiner Arbeit freigestellt und hat sein Büro nun in Bruchsal. Für den Polizisten ist sein Amt als Schwerbehindertenvertretung, kurz SBV, eine Möglichkeit, neben der Arbeit für die Menschen mit Behinderung auch der Dienststelle etwas zurückgeben zu können.
Das Polizeipräsidium Einsatz vereint alle Spezialeinheiten und Spezialkräfte des Landes Baden-Württemberg, darunter mobile Einsatzkommandos, Hubschrauber-, Hunde- und Reiterstaffel, Wasserschutzpolizei und die Einsatzhundertschaften. „Das sind alles Einheiten, die einer hohen körperlichen Belastung ausgesetzt sind“, sagt SBV-Mann Butz. Deshalb sei auch die Behinderungsquote in seinem Polizeipräsidium vergleichsweise hoch.
Sein Wunsch und Ansatz als SBV ist es, für die betroffenen Menschen mit Behinderung und die jeweiligen Dienststellen die beste Lösung für beide Seiten zu finden. „Denn machen wir uns nichts vor, alle Tätigkeiten in den sogenannten Einsatzberufen sind körperlich fordernd. Wenn keine hundertprozentige Einsatzfähigkeit vorliegt, tut man weder den Betroffenen noch den Kolleginnen und Kollegen einen Gefallen mit einem Einsatz“, erklärt er.
"Man hat es einfach mit Profis zu tun!"
Vor allem in den Einsatzberufen habe man es nicht nur mit Übungen, sondern auch mit Ernstlagen zu tun. Allerdings gebe es viele Möglichkeiten für körperlich eingeschränkte Personen, weiter die Uniform zu tragen. So müssten Menschen mit Behinderung nicht unbedingt in der ersten Reihe bei einer Demonstration eingesetzt werden, sie könnten auch in der Seitenstraße die Aufklärungsdrohne bedienen. In seiner täglichen Arbeit wünscht sich Alexander Butz manchmal einen frühzeitigeren Einbezug in Entscheidungen. Teilweise werde er vor vollendete Tatsachen gestellt, die er nur abnicken soll – Ärger sei dann programmiert, wenn zum Beispiel wichtige PDF-Dateien nicht barrierefrei gestaltet sind und noch einmal nachgebessert werden müssen.
Zum KVJS-Integrationsamt in Karlsruhe pflegt Butz in seiner Position als SBV gute Beziehungen. „Man hat es einfach mit Profis zu tun“, betont er. Wenn er Rat und Infos in seiner täglichen Arbeit sucht, gibt es immer prompte Antworten. Auch in zum Teil belastenden Präventionsverfahren, in denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Mitarbeitenden mit Behinderung Thema sein kann. Aber bislang habe man sehr oft einvernehmliche Lösungen finden können. „Ich stehe immer in einem engen und vertrauensvollen Verhältnis zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des KVJS-Integrationsamtes“, sagt er. Dazu tragen auch die inspirierenden, spannenden und lebhaften Schulungen bei, die Butz in seiner Funktion als SBV beim KVJS-Integrationsamt besucht. Er stelle immer wieder fest, dass sich die Fachleute im KVJS-Integrationsamt aufgrund ihrer breiten Expertise ein gutes Konzept überlegt haben, sagt Butz.
"Wenn man merkt, da hat jemand Bock auf Inklusion, dann klappt die Zusammenarbeit."
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SBV – ein wichtiger Job nicht nur in Einsatzberufen
Die Schwerbehindertenvertretung ist ein wichtiges Ehrenamt, das Beschäftigte mit Schwerbehinderung stärkt und vertritt. Mehr Infos dazu finden Sie auf den Seiten der BIH, genauer auf der Themenseite "SBV".
Weitere Artikel dieser Ausgabe
- Editorial
- Inklusion und Blaulichtberufe, geht das?
- Titel: Voll einsatzfähig
- Podcast: Inklusion geht überall
- Einfach mal ausprobieren – bei der freiwilligen Feuerwehr
- Herzenssache: Interview mit Dr. Veronika Wolter
- Kurz notiert …
- Vom Leben gezeichnet
- Aktuelles Urteil: Schulungskosten müssen übernommen werden
- Aktuelles Urteil: GSBV darf an Betriebsversammlung teilnehmen
- Aktuelles Urteil: Wiedereingliederung im Eilverfahren
- Ausblick
Schlagworte:
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Integrationsamt/Inklusionsamt
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Aus der Praxis