Illustration von Justitia

Urteil: Anhörung ist mehr als Unterrichten

Eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung geht über das bloße Unterrichten hinaus. Anhörung bedeutet, dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben sowie diese Äußerung entgegenzunehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Für eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin genügt es nicht, der Schwerbehindertenvertretung lediglich das an den Personalrat oder Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben zur Kenntnisnahme zuzuleiten.  LArbG Rostock, 7. März 2023; Az: 5 Sa 127/22

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit, insbesondere über die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Die 1985 geborene schwerbehinderte Klägerin nahm am 01.09.2021 bei der beklagten Stadt eine Vollzeitbeschäftigung auf. Sie ist seit dem 01.12.2021 durchgängig arbeitsunfähig.

Mit Schreiben vom 08.02.2022 beantragte die beklagte Arbeitgeberin beim Personalrat die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin. Sie teilte dem Personalrat die Sozialdaten der Klägerin sowie die in Aussicht genommene Kündigungsfrist mit. Zur Begründung der Kündigung verwies sie auf die nach Einschätzung des unmittelbaren Vorgesetzten bislang nicht feststellbare fachliche Eignung der Klägerin.

Der Schwerbehindertenvertretung übersandte die Beklagte ebenfalls am 08.02.2022 dieses Schreiben an den Personalrat als Anlage mit einem Anschreiben, in dem lediglich auf die Anlage verwiesen wurde. Der Personalrat stimmte der Kündigung in seiner Sitzung am 16.02.2022, an der auch der Schwerbehindertenvertreter teilnahm, nicht zu. Zur Begründung verwies er auf die seiner Ansicht nach nicht rechtzeitige Einbindung der Schwerbehindertenvertretung und regte eine Verlängerung der Probezeit an, insbesondere im Hinblick auf die positive Einschätzung der Klägerin im Bewerbungsverfahren im Vergleich zu anderen Mitbewerbern. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022.

Die ohne eine solche Beteiligung [der SBV] ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Menschen sei unwirksam (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage der Klägerin wegen fehlender Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung statt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht führte aus, der Arbeitgeber habe nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die ohne eine solche Beteiligung ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Menschen sei unwirksam (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Mit dem Schreiben an die Schwerbehindertenvertretung habe die beklagte Arbeitgeberin diese weder hinreichend über den Kündigungsgrund unterrichtet, noch habe sie sie ordnungsgemäß angehört. Die Unterrichtung müsse die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Dieser müsse den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen will, so umfassend beschreiben, dass sich die Schwerbehindertenvertretung ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben.

Die Anhörung gehe über das bloße Unterrichten hinaus. Anhörung bedeute, dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben sowie diese Äußerung entgegenzunehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Der Angehörte muss erkennen können, dass ihm ermöglicht wird, etwas vorzubringen oder eine Stellungnahme abzugeben, die bei der Entscheidungsfindung zumindest bedacht wird.

Das Schreiben der Beklagten vom 08.02.2022 an die Schwerbehindertenvertretung enthalte lediglich eine Information zu dem laufenden Beteiligungsverfahren beim Personalrat. Weder aus Wortlaut noch Sinn und Zweck lasse sich entnehmen, dass die Schwerbehindertenvertretung Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung erhalte und ein eigenständiges Beteiligungsverfahren gegenüber der Schwerbehindertenvertretung eingeleitet werden sollte.

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