Inklusive Kaffeebude

Das signcafe in Köln bietet nicht nur Arbeitsplätze für Gehörlose, sondern auch Raum für gegenseitigen Austausch von Hörenden und Gehörlosen beziehungsweise Schwerhörigen. Mit einigen technischen Hilfsmitteln und der Unterstützung des LVR-Inklusionsamtes ging das Konzept der inklusiven Kaffeebude auf Erfolgskurs.

In einem Café stehen sich eine junge Frau und ein junger Mann gegenüber. Die Frau versucht, in Gebärdensprache zu bestellen..

Service war bisher tabu

In der Gastronomie sind Menschen mit Behinderungen besonders häufig beschäftigt. Allerdings nicht im Service: „Sie verschwinden immer in der Küche“, berichtet Angela Herbig aus ihrer beruflichen Praxis. Die studierte Sozialpädagogin hat über 15 Jahre in einer karitativen Einrichtung mit Gehörlosen gearbeitet, bevor sie sich mit einer Kollegin 2010 selbstständig machte. Ihr erstes Unternehmen signcom bietet verschiedene Formen des betreuten Wohnens für gehörlose und schwerhörige Menschen an. Im November 2023 erfüllte sie sich schließlich den langgehegten Traum, ein Café zu eröffnen. Es ist ein ganz besonderes Café, dessen Name Programm ist: Im signcafe wird überwiegend mit Zeichen (englisch = sign), genauer gesagt in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) kommuniziert. Dies liegt zum einen daran, dass zwei der insgesamt neun Angestellten gehörlos beziehungsweise schwerhörig sind. Zum anderen ist das signcafe bewusst als Ort der Begegnung und des Austauschs gedacht.

Ein ganz besonderes Café

Das Konzept der inklusiven Kaffeebude läuft in der Praxis richtig gut: Viele Gäste kommen, weil sie sich hier mit anderen Gehörlosen oder Schwerhörigen treffen und austauschen können. Hörende Gäste wiederum reizt es, in die Welt der Gehörlosen und Schwerhörigen hineinzuschnuppern und selbst Gebärden zu erlernen. Immer wieder wird Angela Herbig nach Grundkursen in Gebärdensprache gefragt. Das wiederum gefällt den gehörlosen und schwerhörigen Gästen, die es sehr zu schätzen wissen, im signcafé in Gebärdensprache angesprochen und bedient zu werden. „Das ist für uns viel einfacher als in anderen Restaurants oder Cafés“, sagt Stammgast Giorgi Kikadze aus Köln. „Den Service in Gebärdensprache und dass wir hier im Café auch andere Gehörlose oder Schwerhörige treffen, genießen wir sehr.“

Ein junger Mann mit schwarzem T-Shirt und dunklen Haaren steht hinter der Theke eines Cafés und unterhält sich in Gebärdensprache mit einer Kundin.

Speisekarte mit Bildern und Videos

Dass die Kommunikation einfacher ist, findet auch Zeredesit Omar, einer der beiden gehörlosen Angestellten. „Ich arbeite wirklich gern hier, weil die Verständigung so gut klappt“, sagt Omar in Gebärdensprache und fügt hinzu: „Wenn sich auch die Kunden der Gebärdensprache bedienen, ist die Kommunikation auf Augenhöhe. Die Verständigung läuft dann viel besser. Es passieren auch weniger Fehler!“

Zeredesit Omar war vorher in einem inklusiven Café in Bonn beschäftigt. Dort durfte der 36-Jährige aber nur in der Küche arbeiten – aufgrund vermeintlicher Verständigungsprobleme mit den Gästen. Hier im signcafe gibt es Speisekarten mit Fotos. Wer die Gebärdensprache nicht beherrscht, kann einfach auf das Bild in der Karte zeigen oder eine eigens für das Café erstellte App benutzen. Nach dem Scannen eines QR-Codes öffnet sich auf dem mobilen Gerät die Speisekarte. Ein Klick auf das betreffende Bild startet ein Video mit der passenden Gebärde für das gewählte Produkt. Die Gäste können dieses Video dem Servicepersonal entweder vorspielen oder mit den jeweiligen Gebärden selbst bestellen. Vielen gelingt das.

Niedrigschwelliges Lernangebot

Die meisten Gäste haben großen Spaß daran, etwas Neues zu lernen, die Sprachbarriere zu überwinden und mit dem gehörlosen beziehungsweise schwerhörigem Servicepersonal in direkten Kontakt zu kommen. So zum Beispiel Meret Coenen. Die junge Frau wohnt in der Nachbarshaft und ist schon häufig an dem noch jungen Café vorbeigelaufen. Weil es mit seiner Kombination aus hell gekalkten Wänden, der Naturholztheke und Tischen mit pastellfarbigen Stühlen in verschiedenen Naturtönen so ansprechend eingerichtet ist, wollte sie es schon länger einmal ausprobieren. „Ich bin wirklich begeistert von dem Café und dem Konzept der inklusiven Kaffeebude. Die Zeichen werden einem hier beigebracht, allerdings ganz niederschwellig – man braucht keine Angst zu haben, etwas falsch zu machen. Mit der bebilderten Speisekarte und der App war es ganz einfach zu bestellen“, resümiert die 26-Jährige.

Ich bin ganz begeistert von dem Konzept der inklusiven Kaffeebude. Die Zeichen werden einem ganz niederschwellig beigebracht und man muss keine Angst haben, etwas falsch zu machen.
Mehret Coenen, Kundin

Perfekter Milchschaum dank barrierefreier Technik

Nicht nur beim Bestellvorgang, auch beim Zubereiten von Cappuccino und Co. war es erforderlich, Barrieren zu überwinden: zum Beispiel beim Milchaufschäumen. Die meisten Baristas entscheiden nach Gehör, wann die richtige Festigkeit des Schaums erreicht ist. Bei einem bestimmten Zischlaut stoppen sie das Gerät manuell. Im signcafe übernimmt eine intelligente Maschine die Entscheidung. Sie stoppt den heißen Wasserdampf automatisch, wenn der Milchschaum fest genug ist. Beim Toaster wiederum lässt sich die Zeit voreinstellen: Wenn das Gericht fertig ist leuchtet ein optisches Signal auf. Auch die Spülmaschine zeigt durch ein Lichtsignal an, dass sie bereit zum Ausräumen ist. Diese und einige weitere Geräte sind zwar keine Sonderanfertigungen, werden aber in geringeren Stückzahlen hergestellt als die herkömmlichen Varianten und sind damit deutlich teurer als diese – ganz abgesehen von den ohnehin schon hohen Kosten für die standardmäßige Ausstattung des Cafés – allem voran für die original italienische Kaffeemaschine. Umso größer waren die Freude und Erleichterung bei Angela Herbig und ihrer Mitgründerin Joanna Prasal, als das LVR-Inklusionsamt die Förderung für die zusätzlich erforderlichen Geräte zur Kaffeebereitung, für die Beleuchtung über der Theke und für die Ausstattung der Räume mit Schallschutz übernahm. Schallschutz für Gehörlose und Schwerhörige? Ja – unbedingt! Denn Zeredesit Omar hat eine sogenannte Resthörigkeit. In dem Fall ist es besonders wichtig, Störgeräusche und Nachhall zu minimieren. Diffuser Schall verschlechtert die Sprachverständlichkeit erheblich, so dass der junge Barista zum Beispiel nicht orten könnte, woher ein Zuruf kommt. Auch der Technische Beratungsdienst (TBD) des LVR-Inklusionsamtes sah den Schallschutz als notwendig und angemessen an und gab grünes Licht für die Förderung dieser Investition.

Ohne den LVR und die finanzielle Unterstützung hätten wir es nicht geschafft!
Angela Herbig, Gründerin und Mitinhaberin, signcafe Köln

LVR-Förderleistungen ermöglichen inklusive Gründung

Neben den sogenannten investiven Leistungen wie dem Schallschutz kamen auch behinderungsbedingte Leistungen dazu, nämlich eine Einstellungsprämie und eine Weiterbildung zum Barista. „Wir konnten hier in diesem Fall ein schönes Paket schnüren mit Leistungen von etwas über 46.000 Euro,“ sagt Simone Zimmer vom LVR-Inklusionsamt. Zwei Abteilungen des LVR und der TBD arbeiteten bei der Förderung zusammen und bündelten die Leistungen. Für Angela Herbig war dies ein entscheidender Beitrag zur Gründung der Inklusiven Kaffeebude. „Ohne die Unterstützung des LVR hätten wir es nicht geschafft“, betont die 57-Jährige und strahlt mit Zeredesit Omar um die Wette, der per Gebärdensprache ausdrückt, wie cool er die Arbeit im signcafe findet. 

Wenn die Gäste auch die Gebärdensprache nutzen, ist das eine Begegnung auf Augenhöhe. Das macht vieles einfacher und es ist sehr angenehm, so zu arbeiten.
Zeredesit Omar, Mitarbeiter

Bildergalerie

In der Kuchentheke eines Kaffees steht eine weiße längliche Platte mit Zitronenblechkuchen.

Zu einem richtigen Café gehört natürlich auch Kuchen. | © Rupert Oberhäuser

Zwei Frauen stehen Arm in Arm rechts von der Theke eines Cafés. Die Geschäftspartnerin legen lächelnd die Köpfe aneinander..

Die Idee zum signcafe hatten die beiden Sozialarbeiterinnen Joanna Prasal (li.) und Angela Herbig. | © Rupert Oberhäuser

An einer weißen Wand hängt ein schwarzer Rahmen mit einem Poster. Darauf sind die Buchstaben der Gebärdensprache von A bis Z zu sehen.

Wer die Gebärdensprache wirklich lernen will, kann hier mit dem Alphabet anfangen. | © Rupert Oberhäuser

Eine Frau mit rotblonden Locken und schwarzem T-Shirt füllt den Kolben einer großen Kaffeemaschine mit Bohnen auf.

Beim Kaffee gibt es eine Auswahl an verschieden Bohnen. | © Rupert Oberhäuser

Unwiderstehlich lecker, der Cappuccino mit automatisch gestopptem Milchschaum. | © Rupert Oberhäuser

Zu einem richtigen Café gehört natürlich auch Kuchen. | © Rupert Oberhäuser

Die Idee zum signcafe hatten die beiden Sozialarbeiterinnen Joanna Prasal (li.) und Angela Herbig. | © Rupert Oberhäuser

Wer die Gebärdensprache wirklich lernen will, kann hier mit dem Alphabet anfangen. | © Rupert Oberhäuser

Beim Kaffee gibt es eine Auswahl an verschieden Bohnen. | © Rupert Oberhäuser

Unwiderstehlich lecker, der Cappuccino mit automatisch gestopptem Milchschaum. | © Rupert Oberhäuser

An wen können sich interessierte Arbeitgeber wenden?

Arbeitgeber, die einen oder mehrere Menschen mit Behinderung ausbilden, einstellen oder im Betrieb weiterbeschäftigen möchten, können sich jederzeit an das LVR-Inklusionsamt wenden. Ebenso einfach geht es über die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA). Sie fungieren als Lotsen durch die verschiedenen Leistungen und Rehabilitationsträger. Die Leistungen der EAA werden aus der Ausgleichsabgabe finanziert und sind für ratsuchende Arbeitgeber kostenfrei. Die Fachberater*innen der EAA unterliegen der Schweigepflicht.

Die nächstgelegene EAA finden Sie über diesen Link: eaa-rheinland.de

 

 

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