Ein ganz normaler Jobwechsel
Er ist jung, gut ausgebildet und motiviert: Als Christoph Morstein eine neue berufliche Herausforderung bei Fritsch Elektronik in Achern sucht, müssen erst ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Und alle packen mit an.
„Bei mir war immer alles ganz normal: normaler Kindergarten, normale Schule – nur bei der Berufsschule musste ich ausweichen auf eine barrierefreie“, erzählt Industriekaufmann Christoph Morstein. Wegen einer Spastik bewegt er sich im Rollstuhl fort. Das ist für ihn auch ganz normal.
Zunächst arbeitete der 26-Jährige einige Jahre in seinem Ausbildungsbetrieb. Doch dann beschloss er: Es ist Zeit für einen Wechsel. Christoph Morstein fand im Internet einen örtlichen Personaldienstleister, den er mit der Suche nach einer interessanten neuen Stelle beauftragte. „Ich konnte nicht jede Firma selbst auf Barrierefreiheit testen“, erklärt er dazu. Denn ein wesentliches Kriterium war, dass er den neuen Arbeitsplatz auch mit seinem Rollstuhl und seinem behinderungsgerechten Auto erreicht kann.
Der Dienstleister schlug Fritsch Elektronik in Achern vor. Das Unternehmen, einer der bundesweit führenden Fertigungsdienstleister für elektronische Komponenten, zeigte großes Interesse an dem Industriekaufmann. Das aus mehreren Gebäuden bestehende Firmengelände wartete allerdings mit ein paar Hindernissen für Rollstuhlfahrer auf. Christoph Morstein amüsiert sich über seine kleine Irrfahrt beim Vorstellungstermin: Er hatte auf der falschen Seite geparkt. „Ich bin fast komplett ums Gebäude herumgerollt.“ So viel zum Auftakt.
Und nach dem allseitig erfreulich verlaufenen Gespräch? „Habe ich auf dem Parkplatz einen Stunt hingelegt“, sagt Morstein grinsend. Der junge Rollstuhlfahrer hatte eine Bodenwelle nicht richtig eingeschätzt und landete auf dem Rücken „wie ein Käfer“, so seine Beschreibung. „Aber da kamen gleich Leute angerannt und haben mir geholfen.“
„Bei mir war immer alles ganz normal: normaler Kindergarten, normale Schule – nur bei der Berufsschule musste ich ausweichen auf eine barrierefreie.“
Die Barrieren müssen weg
Die Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer insgesamt war bei Fritsch noch ausbaufähig. Der Zutritt zum Gebäude war für Morstein nur über einen Umweg möglich. Und das Team, in das er einsteigen sollte, hatte sein Großraumbüro im ersten Stock. Es gab zwar einen Aufzug, der war aber nur für Lasten zugelassen, nicht für Personen. Für Personalleiterin Simone Homburg waren das Hindernisse, die es überwinden galt. „Das gibt´s doch nicht, dass wir ihn nicht hochkriegen“, dachte sie sich und wandte sich an das KVJS-Integrationsamt.
Das Integrationsamt schickte Karl-Heinz Baumert vom Technischen Beratungsdient (TBD). Der erfahrene Berater empfahl nach gründlicher Prüfung ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Um Morstein den Umweg zu seinem Dienstgebäude zu ersparen, wurde ein für ihn ein reservierter Parkplatz im Hof in der Nähe des Wareneingangs eingerichtet. Beim Wareneingang gab es bereits eine Rampe, die der Rollstuhlfahrer nutzen kann.
Um Christoph Morstein einen selbstständigen Zugang in das Gebäude zu ermöglichen, wurde das große Rolltor mit einem neuen Antrieb und mit einer Fernbedienung ausgestattet, so dass er das Tor jederzeit selbstständig öffnen und schließen kann. Innerhalb des Gebäudes stellte eine Brandschutztür ein Hindernis dar, für die durch eine Feststellanlage mit Rauchmelder eine Lösung gefunden wurde. Der Lastenaufzug vom Erdgeschoss in das Obergeschoss wurde zum Personenaufzug umgebaut. Davon profitiert nun auch eine gehbehinderte Kollegin. Zudem wurde eine Toilette umgebaut und dadurch rollstuhltauglich. Verschiedene Türgriffe wurden so angebracht, dass sie auch vom Rollstuhl gut zu bedienen sind. Dabei konnte Morstein seine eigenen praktischen Erfahrungen einbringen.
Pragmatische Lösungen
Der Umbau des Lastenaufzugs verzögerte sich allerdings zunächst. Die Lösung: „Unser Gesellschafter Herr Dr. Baumgärtner hatte mal gesagt, dass man Herrn Morstein zur Not in sein Büro setzen könnte“, so Simone Homburg. Also gab es in den ersten beiden Monaten eine Bürogemeinschaft mit der Geschäftsleitung. „War für die Einarbeitung gar nicht so schlecht“, kommentiert der damals frisch gebackene Fritsch-Mitarbeiter. Sein „Stunt“ vom Vorstellungstag hatte übrigens Eindruck gemacht: „Das ist doch der vom Parkplatz“, erkannten ihn einige Neu-Kollegen zu seiner Erheiterung wieder.
Eine praktische Lösung gab es auch für ein anderes Problem: Wie sollte der neue Mitarbeiter im Falle eines Brandes aus dem ersten Stock evakuiert werden? Der vorgeschlagene Evakuierungsstuhl kam für Morstein nicht in Frage: „Dann bin ich ohne Rollstuhl auf dem Hof und komme nicht weiter!“ Aber wozu gibt es findige Kollegen? Die hausgemachte Lösung bestand in einem soliden Metallstab, der vorne unter den Rollstuhl geschoben wird und an den links und rechts je eine Person anpacken kann, Zusammen mit den hinteren Rollstuhlgriffen entstand so eine Evakuierungs-„Sänfte“ - offiziell abgenommen von der Feuerwehr und der Fachkraft für Arbeitssicherheit.
Dank seiner Eigeninitiative, einem engagierten Arbeitgeber und Unterstützung durch das KVJS-Integrationsamt ist Christoph Morstein mit seiner Mischung aus Kompetenz, Pragmatismus und Humor genau da, wo er hinwollte: Am richtigen Platz.
Text: Monika Kleusch
Zur Sache: Die Expertenmeinung
Zur Sache: Die Expertenmeinung
Karl-Heinz Baumert ist der zuständige Experte des Technischen Beratungsdienstes (TBD) beim KVJS-Integrationsamt
„Wenn die erforderliche Qualifikation vorhanden ist, ein Handicap durch geeignete Anpassungen kompensiert werden kann und die Atmosphäre im Team stimmt, steht einem erfolgreichen Arbeitsverhältnis nichts mehr im Wege. So war das im Fall von Christoph Morstein.
Übrigens ist es eine der schönsten Aufgaben des Technischen Beratungsdienstes, an der Neuschaffung eines Arbeitsplatzes für einen Menschen mit Einschränkungen mitzuwirken. Im vorliegenden Fall sind es doch nur die Mobilitätseinschränkungen, die Herr Morstein von jedem anderen Bewerber unterscheiden. Diese konnten durch mehrere geeignete bauliche Maßnahmen ausgeglichen werden.
Wenn wie im vorliegenden Fall noch keine Erfahrungen mit Rollstuhlfahrern vorliegt, braucht es Mut zu Veränderungen. Die Fritsch Elektronik GmbH hat es gewagt und die Beseitigung von Barrieren hat von der Planung bis zur vollständigen Abwicklung perfekt geklappt. Ein durchweg positives Beispiel, das Schule machen sollte.
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