Neue Stressfaktoren, neue Süchte
Die Digitalisierung verändert gewohnte Abläufe und Routinen. Hier sind Arbeitgeber und Führungskräfte umso mehr gefordert, aufmerksam zu sein und die Kommunikation zu suchen, erklärt Präventionsexpertin Martina Methe vom LWL.
ZB im Gespräch mit ...
Martina MetheMartina Methe ist beim LWL-Inklusionsamt Arbeit beschäftigt. Die Gesundheitswissenschaftlerin und Sozialarbeiterin leitet dort den Präventionsfachdienst Sucht und Psyche. Sie plädiert für ein Umdenken im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM): Führungskräfte müssen für psychische Belastungen sensibilisiert und hier auch präventiv tätig werden.
Über ein Jahr mobiles Arbeiten: Welche Herausforderungen haben sich für Unternehmen und Beschäftigte beim Thema Prävention ergeben?
Die Corona-Pandemie stellt eine Art Stresstest für die Unternehmen dar. Die Umstellungen und Anpassungen – vor allem beim Thema „mobiles Arbeiten“– sind enorm gewesen. In den Monaten der Pandemie wurde besonders deutlich, wo die gesundheitlichen Herausforderungen der Digitalisierung der Arbeitswelt liegen: Belastungen für die Beschäftigten werden größer – ohne den gewohnten Arbeitsplatz, neue Arbeitszeiten, neue Technik, Entgrenzung von Privatleben und beruflicher Tätigkeit. Und diese neuen Belastungen fördern Ängste und Unsicherheiten. Das führt dazu, dass bei manchen die psychische Belastung deutlich zunimmt. Teilweise kompensieren sie das mit dem erhöhten Konsum von Suchtmitteln.
Heißt das, die Pandemie fördert Suchterkrankungen?
Das ist schwer zu sagen. Studien zufolge ist der Konsum von Alkohol und Tabak zu Beginn der Pandemie deutlich angestiegen. Ich persönlich glaube außerdem, dass das Internet-Gaming in Zukunft noch eine viel größere Rolle spielen wird – auch bedingt durch das Homeoffice und Smartphones.
Was können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber tun?
Generell, und nicht nur auf Suchtprävention bezogen, bin ich der Auffassung, dass unsere herkömmlichen Mechanismen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) im Zuge des mobilen Arbeitens nicht ausreichend greifen. Der Sitzball für den Beschäftigten mit Rückenproblemen oder der Kicker im Pausenraum – das ist schön, hilft aber nicht bei neuen Stressfaktoren. Digitale Prozesse erfordern neue Ansätze und Mechanismen im BGM. Sie gehören auf die Ebene der Entscheiderinnen und Entscheider, weil die Beschäftigten gerade in Digitalisierungsprozessen das wesentlichste Gut einer Organisation sind.
Das heißt, das gesamte Unternehmen sollte Führung und Kommunikation auf das Prinzip einer Kultur der Prävention ausrichten?
Ja, das glaube ich. Psychische Erkrankungen nehmen drastisch zu und sind Hauptursache für Frühverrentung. 25 Prozent der Beschäftigten gehen mit durchschnittlich 51,3 Jahren in Frührente – und Hauptursache sind psychische Erkrankungen. Daher ist es nicht falsch, aber längst nicht mehr ausreichend, nur auf die körperlichen Themen zu achten.
Welche Maßnahmen können Arbeitgeber daraus ableiten?
Ein wichtiger Punkt für die Beschäftigten ist: Welchen Einflussbereich habe ich, wie transparent ist die Organisation für mich, wie wertgeschätzt fühle ich mich in der Organisation? Führungsprozesse sollten genau darauf einzahlen. Kommunikation ist dabei ein wichtiger Faktor – zum Beispiel durch regelmäßige Meetings, klare Regeln zur Erreichbarkeit, die alle kennen, oder Einzelgespräche, um zu erfahren, wie es den Beschäftigten gerade geht und was sie belastet. Dafür müssen Führungskräfte besonders geschult werden. Das ist alles nicht neu – trifft aber aktuell verschärft zu.
Was ist denn durch die Pandemie anders?
Die Distanz ist durch mobiles Arbeiten größer geworden. Das ist erstmal kontraproduktiv. Je näher nämlich die Führungskraft an den Beschäftigten „dran ist“ und je besser die Beziehung zu den Mitarbeitern, desto besser können Probleme angesprochen werden. Nähe entsteht durch Gespräche, aber auch durch Führungsverhalten. Deshalb sind Chefinnen und Chefs gefordert, transparent und berechenbar zu sein. Auf der anderen Seite müssen Führungskräfte aber auch individuell die Stärken und Schwächen der Beschäftigten kennen und diese auch benennen. Nicht nur in Pandemiezeiten gilt: Wertschätzung ist wichtig, Nähe ist wichtig, Kontakt ist wichtig.
Nicht nur in Pandemiezeiten gilt: Wertschätzung ist wichtig, Nähe ist wichtig, Kontakt ist wichtig.
Internet-Gaming als Sucht immer bedeutender
Internet-Gaming als nicht stoffgebundene Sucht wird in den letzten Jahren immer relevanter. Unter den Onlinespielen haben Online-Rollenspiele ein besonderes Suchtrisiko, da sie das klassische Computerspiel mit einer sozialen Komponente verbinden. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung eine internetbezogene Suchterkrankung hat, dazu gehört auch das Online-Gaming.
Die Anzeichen sind ähnlich wie bei stofflichen Süchten: Kontrollverlust, es werden negative Konsequenzen in Kauf genommen, der Bezug zur Realität geht verloren. Wenn Sie bei sich Tendenzen vermuten, so sollten Sie mit einer Suchtberatungsstelle darüber sprechen.
Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) finden Sie weiterführunde Informationen zu den Suchtberatungsstellen:
BZgA > Suchtprobleme