Ein wichtiger Baustein
Hilft die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Homeoffice der Inklusion? Eine aktuelle IW-Studie zum Thema beantwortet diese Frage. Ein Interview mit Andrea Kurtenacker vom Institut der Deutschen Wirtschaft.
Das IW hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die Menschen mit Behinderungen im Homeoffice zum Thema hat. Worum geht es hier?
Hilft die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Homeoffice der Inklusion? Das war die Hauptfrage, die sich die Autorinnen gestellt haben. Dabei haben sie den Fokus nicht nur auf Deutschland gelegt, sondern haben über den Tellerrand hinausgeschaut und dabei auch angelsächsische Studien mit in den Blick genommen.
Gab es überraschende Ergebnisse?
Es fällt auf, dass einige Länder weiter sind als wir. Eine OECD-Studie fand heraus, dass sich 34 Prozent aller Berufe von Menschen mit Behinderungen überhaupt für das Homeoffice eignen. Zum Vergleich: Bei Berufen von Menschen ohne Behinderungen lag der Wert bei 39 Prozent. Das gab bereits einen Hinweis darauf, dass Menschen mit Behinderungen vermehrt auch bestimmte Tätigkeitsfelder besetzen: Gartenbetrieb, Landschaftspflege oder Gastronomie. Die eignen sich natürlich nicht für das Homeoffice. Ein weiteres Ergebnis: Beschäftigte in Führungspositionen arbeiten häufiger von zu Hause als Menschen ohne Führungskompetenz. Ein Zeichen dafür, dass Menschen mit Behinderungen seltener als Führungskräfte arbeiten. Und: der generelle Zugang und das Verständnis von digitaler Kommunikationstechnologie ist Voraussetzung für das Homeoffice – dazu gehört auch für Menschen mit Behinderungen die Nutzung entsprechender barrierefreier Hard- und Software.
Sie sprachen davon, dass 34 Prozent aller Berufe, die von Menschen mit Behinderungen ausgeübt werden, für das Homeoffice geeignet sind – das ist eine ganze Menge. Welche Chance birgt Homeoffice für die Menschen mit Behinderungen in diesen Berufssparten?
Für viele Menschen mit Behinderungen ist die Möglichkeit des Homeoffice der Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt. Vor allem für mobilitätseingeschränkte Menschen entfällt der Arbeitsweg, das Pendeln zum Arbeitsplatz. In Absprache mit dem Arbeitgeber kann die Arbeitszeit zudem viel individueller und flexibler gestaltet werden, abhängig von der Art der Behinderung. Auch können evtl. Arzt-, Therapie- und Rehabesuche in einen Arbeitstag integriert werden, ohne dass der ganze Tag freigenommen wird.
Zeigen die betrachteten Studien auch Risiken bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Homeoffice?
Wenn Beschäftigte immer von zu Hause arbeiten, gibt es – wie auch bei Mitarbeitern ohne Behinderungen – wenig Kontakt zu Vorgesetzten und Teammitgliedern. Abhängig von der individuellen Resilienz kann es zur sozialen Isolation kommen – das ist ein Risiko. Zudem muss der Arbeitsplatz im Homeoffice auch barrierefrei gestaltet sein. In diesem Bereich sind die Bedarfe unterschiedlich und müssen an die jeweiligen Einschränkungen angepasst werden. Auch können Beschäftigte mit Behinderungen ihre Arbeitsmittel nicht immer einfach mit ins häusliche Büro nehmen. Hier müssten auch Fördermöglichkeiten evtl. erweitert werden. Unterstützen können hier die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber, die kennen sich gut aus.
Wir sprachen jetzt über die Risiken und Vorteile des Homeoffice für Beschäftigte mit Behinderungen. Gibt es neben dem Arbeitsplatz zu Hause oder dem Büro in der Firma noch weitere Ideen?
In Kanada und in Skandinavien wird das Modell der sogenannten „third places“ schon vorgelebt. Das sind soziale Begegnungsstätten außerhalb des familiären und beruflichen Umfelds, wie Bibliotheken oder Gemeindezentren, die mit überschaubaren Umbaumaßnahmen auch für Beschäftigte mit Behinderungen als „Coworking Space“ genutzt werden können. Man sieht in den „Third Places“ noch große Potenziale für alle, die nicht im Homeoffice arbeiten wollen, sozialen Austausch suchen, aber auch das Pendeln zum Standort des Arbeitgebers vermeiden wollen.
Müssten sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern? Gibt es dazu neue Überlegungen?
§ 164 SGB IX sieht bereits vor, dass Menschen mit Schwerbehinderung gegenüber ihrem Arbeitgeber unter anderem einen Anspruch auf behinderungsgerechte Arbeitsorganisation haben, also unter Umständen auch auf Homeoffice, soweit dies für den Arbeitgeber zumutbar ist. Diskutiert wird allerdings, ob Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet werden können, allen Beschäftigten ein Recht auf Telearbeit einzuräumen. Die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeit- und Arbeitsortformen sollten in einer agilen und digitalen Arbeitswelt gestärkt werden, aber die Arbeitgeber sollten gemeinsam mit ihren Beschäftigten entscheiden können, was individuell und im betrieblichen Kontext sinnvoll ist. Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten funktioniert bei beidseitiger Freiwilligkeit.
Kommen wir vielleicht noch einmal zum Titel der Studie: Hilft die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Homeoffice der Inklusion? Gibt es darauf jetzt eine Antwort?
Homeoffice ist kein Allheilmittel, aber gut geplant und begleitet kann es ein wichtiger Baustein für die berufliche Teilhabe sein. Zahlreiche Studien haben ergeben, dass eine Kombination aus Homeoffice und Präsenzzeiten im Betrieb optimal ist, bei der die Vor- und Nachteile beider Arbeitsformen gut ausbalanciert sind. Am Ende hängt dies aber immer von den Bedingungen im spezifischen Einzelfall ab.
Zur Person: Andrea Kurtenacker ist Leiterin des Clusters Berufliche Teilhabe und Inklusion beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. und REHADAT.
Die Studie
Menschen mit Behinderungen im Homeoffice – Erleichterung für die Inklusion? ist eine Studie des IW Köln. Autorinnen sind Christiane Flüter-Hoffman und Patricia Traub.
Die Studie betrachtet Homeoffice im Kontext der beruflichen Teilhabe, erfasst den Ist-Zustand und zeigt Chancen und Risiken. Sie stellt die Situation in Deutschland derjenigen in einigen ausgewählten angelsächsischen Ländern gegenüber, zum Beispiel zum Konzept der „third places“.
Informationen für Arbeitgeber
Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, für die Telearbeit eine gute Option wäre?
Hier beraten die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber oder Ihr zuständiger Integrationsfachdienst. Diese finden Sie unkompliziert über die Kontaktdatenbank der BIH.
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