Gewagt und gewonnen
Tippen. Telefonieren. Computerarbeit. Für einen Bürojob sind funktionsfähige Hände essenziell wichtig. Aber was ist, wenn eine Person keine hat? Gängige Meinungen zu dieser Frage sind: „Den Job bei uns kann ein Mensch mit dieser Behinderung nicht machen”. „Dafür müsste ich den ganzen Betrieb umbauen – das wird bestimmt teuer.” Dass es in der Realität viel einfacher gehen kann, zeigt dieses Praxisbeispiel: Bei der SLT Technology Group in Krefeld arbeitet Yannick Boos. Er wurde ohne Hände geboren und managt erfolgreich das Büro.
Junge Unternehmen, wie SLT, gehen häufig neue Wege und sind oft bereit, Ungewohntes auszuprobieren. SLT vermietet Baumaschinen und Werkzeuge. Eventausstattungen für die Klein- bis hin zu Großveranstaltung gehören ebenfalls zum Portfolio. Als die Arbeitsagentur SLT-Geschäftsführer Benedikt Nöchel vorschlug, einen jungen Mann mit Behinderung auszubilden, ließ er sich auf einen Versuch ein.
„Ein bisschen überlegt haben wir schon,“ gesteht Nöchel ein. Nach Abwägung der möglichen Schwierigkeiten, seien er und sein Geschäftspartner Luca Sandhoff dann zu einem „Ja“ gelangt. „Wir haben auf die höhere Motivation gesetzt und auch auf die Unterstützung durch Arbeitsagentur und LVR vertraut,“ sagt der Jungunternehmer mit einem Lächeln. Die Erfahrung gibt ihm Recht. Denn Yannick Boos konnte seine Ausbildung aufgrund guter Leistungen in verkürzter Zeit abschließen: bereits nach zwei statt der üblichen drei Jahre. Und das mit seiner erheblichen körperlichen Beeinträchtigung.
Viel fester Wille und ein Hauch von Technik
Bei Yannick Boos enden beide Arme knapp unterhalb der Schultern. Hände im eigentlichen Sinn hat der 24-Jährige nicht. Dennoch ist er außerordentlich autonom unterwegs: Das große Rolltor des ehemaligen Bauernhauses, in dem das Unternehmen untergebracht ist, öffnet der junge Büromanager über einen Zahlencode. Mit einem Schlüssel käme er nicht hinein. Dieses Codesystem wurde als eines der wenigen technischen Hilfsmittel eigens für ihn installiert. Für die Bedienung der gängigen Büromaschinen wie Drucker und Kopierer benötigt Yannick Boos dagegen keine Extratechnik.
Auch das Telefon und sein Notebook kann Boos problemlos bedienen. Bisher mag er noch keine Sprachsteuerung für den Computer einsetzen – grundsätzlich ist dies eine Option, die er in der Zukunft noch anwenden kann. „Die einzige Büroarbeit, die ich überhaupt nicht machen kann, ist Papier gerade zuschneiden,“ sagt der junge Mann lachend. Fürs Lochen oder Tackern benutzt er eine vom LVR-Inklusionsamt geförderte Zusatzvorrichtung am Drucker. Ebenso hat er ein Hilfsmittel fürs Briefe öffnen. Bei den wenigen anderen Aufgaben, die der frisch gebackene Kaufmann für Büromanagement nicht allein oder nur mit großer Mühe selbst erledigen kann, etwa Papier in den Drucker nachlegen, helfen ihm seine Kolleg*innen und sein Chef Benedikt Nöchel.
Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber beraten und helfen
Dorothée Schartz von den Einheitlichen Ansprechstellen (EAA) für Arbeitgeber bei der IHK mittlerer Niederrhein hat bei der Beantragung der Zuschüsse für verschiedene Bürogeräte und für eine Einstellungsprämie unterstützt. Die EAA handeln im Auftrag des LVR-Inklusionsamtes – sie sind zuständig für Arbeitgebende, die Menschen mit Behinderung beschäftigen oder einstellen möchten. „Als Unternehmen kann man die verschiedenen Fördermöglichkeiten gar nicht überblicken oder es fehlt die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen“, fasst Dorothee Schartz die Situation vieler Arbeitgebender zusammen. „Wir als EAA sind genau dafür zuständig. Und wir beraten mit Blick auf den speziellen Bedarf der Arbeitgeber,“ betont Inklusionsberaterin Schartz. So hat sie beispielsweise den Technischen Beratungsdienst (TBD) des LVR-Inklusionsamtes informiert und dafür gesorgt, dass der TBD sich die Situation vor Ort anschaut und eine ergonomische Arbeitsplatzausstattung sowie Hilfsmittel empfiehlt, die an Yannik Boos Beeinträchtigung angepasst sind. Zudem hat sie Benedikt Nöchel über weitere Fördermöglichkeiten wie die Einstellungsprämie informiert und diese gemeinsam mit dem Geschäftsführer beantragt.
LVR-Einstellungsprämie ist ein gutes Argument
Fünf Personen und ein Hund bilden derzeit die Belegschaft der in Krefeld ansässigen SLT. Yannick Boos gehört seit Januar 2024 als Festangestellter dazu. Was dem Jungunternehmen nicht klar war: Neben der möglichen kontinuierlichen Förderung durch die Arbeitsagentur gibt es bei der Einstellung von Menschen mit einer Schwerbehinderung weitere Fördermöglichkeiten. In diesem Fall konnte das Unternehmen eine Einstellungsprämie und eine Investitionskostenförderung beim LVR-Inklusionsamt beantragen. 80 Prozent der Kosten für investive Leistungen übernimmt der LVR. Im konkreten Fall sind das ein höhenverstellbarer Schreibtisch, ein Telefonschwenkarm, ein Drucker und ein Videokonferenzsystem.
Wie bei vielen Arbeitgebern ergaben sich auch bei SLT einige Fragen und Unklarheiten hinsichtlich des konkreten Ablaufs, bei denen Dorothee Schartz unterstützen konnte.
Win-Win-Situation
Diese Erfolgsgeschichte zeigt – Vorbehalte gegen die Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung sind oft unbegründet:
Mit Yannick Boos hat SLT einen motivierten und überdurchschnittlich qualifizierten Mitarbeiter gewonnen. Gleichzeitig ist der nötige Aufwand für die technische Ausstattung seines Arbeitsplatzes absolut gering.
Die kompetente Beratung und Begleitung durch die EAA ersparte dem Arbeitgeber einen hohen bürokratischen Aufwand – und wurde zusätzlich mit einer Einstellungsprämie und laufenden Zuschüssen durch die Agentur für Arbeit und das LVR-Inklusionsamt finanziell belohnt. Eine Win-Win-Situation mit Modellcharakter!
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EAA - Kontakt und Informationsmöglichkeiten
Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) informieren, beraten und unterstützen Arbeitgebende niedrigschwellig bei der Ausbildung, Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung oder Gleichgestellung. Die EAA begleiten den ganzen Prozess der Beschäftigung dauerhaft als Ansprechpartner der Arbeitgebenden.
Im Rheinland haben sie ihre Vorgängerstruktur in der Fachberatung bei den Kammern. Seit dem 1. Juli 2022 ist die Fachberatung für Inklusion in die neue Struktur der im §185a des SGB IX skizzierten „Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber“ überführt.
Ratsuchende Arbeitgebende können direkt zu den Fachberatenden in ihrer Region Kontakt aufnehmen. Eine Übersicht der regionalen EAA-Ansprechstellen finden Sie unter: lvr.de