Die große Unbekannte
Die Pandemie ist offiziell vorbei, doch Post COVID bleibt. Der Umgang mit der Erkrankung ist für Betroffene, Vorgesetzte und Kollegen oft nicht leicht. ZB berichtet und gibt Tipps.
Annika K.* erkrankte im Sommer 2020 an COVID und kam seitdem nicht mehr wirklich zurück auf die Beine. Die 35-Jährige arbeitet als Sozialpädagogin mit geflüchteten Personen bei einer Nichtregierungsorganisation (NGO) und sah sich selbst immer als sehr belastbar und resilient. Seit ihrer COVID-Erkrankung, die sie noch vor der Bereitstellung des Impfstoffs ereilte, fühle sie sich von Belastbarkeit und Resilienz weit entfernt, sagt sie selbst. Die junge Frau leidet am Post COVID-Syndrom, das mittlerweile flächendeckend bekannt ist – und trotzdem noch so viele Fragen aufwirft.
Annika K. hatte einen sogenannten milden Verlauf. Sie fühlte sich während ihrer COVID-Erkrankung zwar krank und schlapp, hatte grippeähnliche Symptome, doch von einem Krankenhausaufenthalt war sie weit entfernt. Nach einigen Wochen der stetigen Besserung wurde es dann plötzlich wieder schlimmer. Starke Müdigkeit, bleierne Erschöpfung, heftige Kopfschmerzen und immer wieder Fieberschübe über 39 Grad Celsius, außerdem Empfindungsstörungen in den Gliedmaßen und Schwindel: So zeigt sich Post COVID bei K.. Die Symptomatik ist jedoch bei den Patientinnen und Patienten sehr unterschiedlich, deshalb ist die Krankheit nicht leicht zu diagnostizieren und es wird von einem Syndrom gesprochen – ein Komplex verschiedener Symptome, die sich von Mensch zu Mensch stark unterscheiden können.
„Manchmal fehlt mir die Kraft, überhaupt aus dem Bett aufzustehen. Nicht die Willenskraft, sondern tatsächlich die körperliche Kraft.“
Eine Odyssee – und noch eine Odyssee
Für K. beginnt eine Odyssee bei Ärztinnen und Ärzten, bis sie in der Post COVID-Ambulanz der Kölner Uniklinik umfassend untersucht und diagnostiziert wird. „Die Diagnose Post COVID war einerseits natürlich schlimm, aber irgendwie auch eine Erleichterung, weil ich dann endlich Gewissheit hatte“, erzählt K. Doch auf die Ärzteodyssee folgte die Konfrontation mit dem Arbeitgeber. K. wurde länger krankgeschrieben, kam zurück, wurde wieder krank. Die Reaktionen der Kolleginnen und Vorgesetzten war nicht immer wohlwollend, erinnert sich K.: „Mir wurde vermittelt, dass ich mich ja nur anstelle, dass es was Psychisches sei oder ich mir das vielleicht auch einfach einbilden würde.“ Die junge Frau hat aber, wie die meisten Post COVID-Erkrankten, eher körperliche Beschwerden. „Manchmal fehlt mir die Kraft, überhaupt aus dem Bett aufzustehen. Nicht die Willenskraft, sondern tatsächlich die körperliche Kraft“, sagt sie. „Das schlägt dann natürlich auch auf die Psyche, vor allem, wenn man sich ständig rechtfertigen muss. In erster Linie sind es aber körperliche Symptome.“
Eines wird deutlich: Es gibt viele Meinungen zu Post COVID, aber noch keinen einheitlichen Umgang damit. Ein Umgang muss jedoch gefunden werden, denn etwa acht bis zehn Prozent der an COVID erkrankten Beschäftigten leiden noch ein Jahr nach der Erkrankung an Nachwirkungen, also Post COVID. Die Zahlen variieren je nach Studie. Laut einer Untersuchung der Society of Occupational Medicine aus dem Vereinigten Königreich müssen 45,2 Prozent der an Post COVID-Erkrankten ihre Arbeitszeit reduzieren und 22,3 Prozent sind nicht in der Lage, überhaupt zu arbeiten. Diese hohen Zahlen aus Großbritannien lassen sich auch auf Deutschland übertragen und stellen Beschäftigte, Arbeitgebende und Personalverantwortliche vor Herausforderungen.
Das BEM ist gefragt
Hier ist das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gefragt. Dieses muss gut vorbereitet sein, denn allen Beteiligten im Prozess, Erkrankten wie Arbeitgebenden, ist eines gemein: Die Erkrankung ist noch recht unbekannt, es fehlen Erfahrungswerte. Und Post COVID hat sich nicht angeschlichen, sondern plötzlich zugeschlagen. Das führt häufig zu Überforderung, Wiedereingliederungsversuche misslingen zunächst. Verschiedene Methoden und Konzepte müssen also ausprobiert werden, auch Beratungsstellen sind noch im „Trial and Error“-Modus. Geduld ist wichtig, genauso wie eine gewisse Frustrationstoleranz.
Diese Erfahrung hat auch Annika K. gemacht. Ihr Chef habe zunächst einfach gehofft, dass es schon irgendwann besser werden würde. Das BEM-Team, das ihre Wiedereingliederung begleitete, habe sich an üblichen Schemata für den Wiedereinstieg nach dem Hamburger Modell orientiert, weil man da Parallelen gesehen habe. Die Erfahrungen mit Post COVID fehlten schlicht. Das habe sich aber nicht übertragen lassen, sodass K. wieder ausfiel. Erst mit der steigenden Bekanntheit von Post COVID habe auch der Arbeitgeber umgesteuert und dann Maßnahmen entwickeln können, die besser zum Beschwerdebild passten. So arbeitet K. mittlerweile nicht mehr nur im direkten Kontakt mit den Klientinnen und Klienten und kann viel aus dem Homeoffice erledigen. Dadurch hat sie die Möglichkeit, sich hinzulegen, wenn die Erschöpfung zuschlägt. Sie arbeitet mittlerweile nur noch in Teilzeit, weil ihre Energiereserven mehr aktuell nicht zulassen. Dazu sagt sie selbst, dass sie sich das habe leisten können, weil sie nicht so viel Miete zahlen würde, ihr sei aber bewusst, dass dies keine Lösung für alle sein könne. Außerdem nutzt sie die App Untire, ein sogenanntes Fatigue-Management-Tool, das eigentlich aus der Behandlung von Krebserkrankungen kommt, um ihre Energielevel zu überwachen. Darüber, einen Grad der Behinderung (GdB) beim zuständigen Versorgungsamt zu beantragen, habe sie bisher nicht nachgedacht, sagt K. Nach dem Gespräch mit diesem Magazin wolle sie sich dazu jedoch mit ihrem Arzt besprechen.
Der Weg zum GdB
Der Weg dahin ist bisher eher ein Trampelpfad und noch nicht so oft begangen. Soll aufgrund von Post COVID eine Schwerbehinderung festgestellt werden, werden die individuellen Symptome und Beeinträchtigungen betrachtet. Diese sind zum Teil sehr unterschiedlich und verschiedenen „Behinderungsgruppen“ zuzurechnen. Behinderungen können jedoch nicht miteinander verrechnet werden. Häufig wird dann Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom als „Hauptsymptom“ verwendet.
Ein erfolgreicher Widerspruch gegen einen Bescheid aus dem letzten Sommer macht Post COVID-Erkrankten, die einen GdB beantragen möchten, Hoffnung. Die Antragstellerin erkrankte zweimal an COVID-19. Sie leidet bis heute an einem Mündigkeitssyndrom (Fatigue), Muskel- und Gelenkschmerzen, außerdem an einer ausgeprägten Lungenfunktionsstörung mit Atemnot, an Tremor und weiteren Beschwerden. Die zuständige Behörde stellte zunächst einen GdB von 20 fest. Im Widerspruchsverfahren war ausführlich dargelegt worden, wie sich die einzelnen Störungen und Behinderungen auswirken und es wurde schlussendlich ein GdB von 60 beschieden.
Bisher gehen bei den Versorgungsämtern aber nicht allzu viele Anträge ein. Post COVID-Interessensvertreterinnen und -vertreter führen das zurück auf die Vielzahl an Anträgen (aus Reha, etc.), die Post COVID-Erkrankte stellen müssen – und dies alles mit einem oft sehr niedrigen Energielevel. Deshalb sei der GdB zunächst oft keine Priorität.
Empfehlungen
Behinderung hin oder her: Einige Empfehlungen lassen sich aus den vergangenen zwei Jahren bereits ableiten. Betroffene sollten immer etwas unter der Belastungsgrenze bleiben, da sonst Einbrüche drohen. Das BEM-Verfahren sollte in einer engen Supervision erfolgen, um frühzeitig nachjustieren zu können. Die stufenweise Wiedereingliederung sollte möglichst flexibel gehandhabt werden – auch über einen längeren Zeitraum, sechs Monate oder länger.
Annika K.s Wiedereingliederung ist mittlerweile abgeschlossen. Die junge Frau hat sich notgedrungen mit ihrer Erkrankung arrangiert und sieht sich selbst in einer Art Vorreiterrolle – so gewinnt sie den Erfahrungen der vergangenen Monate auch etwas Positives ab. Denn mittlerweile gibt es einen weiteren Beschäftigten mit Post COVID im Betrieb – und alle sind etwas besser vorbereitet.
*die Protagonistin möchte anonym bleiben, der volle Name ist der Redaktion bekannt
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