Schmerzfrei im Liegen arbeiten
Lässig im Liegen lesen, E-Mails schreiben und mit hochgelegten Beinen telefonieren: Wer träumt nicht davon, die Arbeit am Bildschirm so zu gestalten? Für Carsten Schönebeck, Sachbearbeiter im Einkauf der Brabender GmbH & Co. KG in Duisburg, war das kein Traum, sondern zwingend notwendig – und ist inzwischen Realität.
Wiedereinstieg nach langer Krankheit
Was in einem kalifornischen Start-up für rund um die Uhr tätige „Nerds“ entwickelt wurde, hilft Schönebeck in Duisburg, trotz seiner Schwerbehinderung wieder in Vollzeit und weitgehend schmerzfrei am Computer zu arbeiten. Seit knapp drei Jahren verfügt der an Morbus Crohn Erkrankte über einen Arbeitsplatz, den er sowohl im Liegen als auch im Stehen oder Sitzen nutzen kann.
Aufgrund mehrfacher lebensbedrohlicher Darmdurchbrüche, die schwere Operationen und langwierige Rehabilitationen nach sich zogen, musste Carsten Schönebeck drei Jahre lang komplett pausieren. Bei der anschließenden betrieblichen Eingliederung arbeitete er zunächst von zu Hause aus, bevor er für zwei Stunden pro Tag in sein Büro bei Brabender zurückkehrte. Das mittelständische Unternehmen mit rund 150 Beschäftigten am Standort Duisburg ist ein weltweit tätiger Hersteller von Mess- und Verfahrenstechnik für die Nahrungs- und Futtermittel- sowie die Kunststoffindustrie.
Technik-affiner Arbeitgeber mit engagierter Vertrauensperson
Lange Überzeugungsarbeit mussten Schönebeck und die Schwerbehindertenvertretung (SBV) bei Brabender nicht leisten. Für eine technische Lösung war das selbst an technischen Neuerungen forschende Unternehmen generell offen. Zu den Forschungsfeldern gehören unter anderen Elektromobilität, pflanzliche Proteinquellen sowie biobasierte Kunststoffe.
Zudem ist ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach längerer Erkrankung bei dem mittelständischen Unternehmen ohnehin Standard. Brabender legt viel Wert darauf, betroffene Beschäftigte zu unterstützen und ihnen die Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern. Dass dies bereits mehrfach gelang, ist auch der SBV und dem persönlichen Engagement des langjährig als Vertrauensperson tätigen und selbst von Behinderung betroffenen Markus Sander zu verdanken.
Bei BEM-Verfahren von Beschäftigten mit Schwerbehinderung ist Sander als Vertrauensperson grundsätzlich mit im Spiel. Ob BEM oder nicht, Markus Sander ist in puncto Behinderung und Unterstützung am Arbeitsplatz die erste Anlaufstelle im Betrieb. „Ich berate betroffene Kolleginnen und Kollegen und leite alles in die Wege, wenn es um technische Hilfen oder finanzielle Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben geht“, umreißt Sander seine Rolle als SBV. Häufig vermittle er zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und zeige Lösungen auf, von denen beide Seiten profitierten. So war er es auch, der den Kontakt zur Fachstelle für Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben der Stadt Duisburg hatte und die Kostenübernahme für den Liegearbeitsplatz dort erfolgreich beantragte.
Arbeitsplatzumbau dank Ausgleichsabgabe
Die Fachstellen für Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben sind im Auftrag des LVR-Inklusionsamtes tätig; konkret übernehmen sie Aufgaben im Rahmen der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben. Was es damit auf sich hat, erläutert Sabine Stange, Ingenieurin und Technische Beraterin beim LVR-Inklusionsamt: „Es gibt vielfältige Begleitende Hilfen im Arbeitsleben für schwerbehinderte Menschen und deren Arbeitgebende. Hier im Fall von Herrn Schönebeck handelt es sich um ein technisches Hilfsmittel in Form eines Liegearbeitsplatzes. Der ist vom LVR zu 100 Prozent gefördert worden. Die Gelder kommen aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe.“
Vernetzte Beratungsangebote
Wenn schwerbehinderte Menschen oder Arbeitgebende Beratungsbedarf haben, können sie sich jederzeit an den Technischen Beratungsdienst (TBD) des LVR wenden. Der TBD ist gut vernetzt, wie Sabine Stange betont: „Die meisten Anfragen erreichen uns über die Fachstellen der Städte und Kreise, aber auch über die Integrationsfachdienste und die neu geschaffenen einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber“ (siehe Infobox).
Bei erforderlichen Arbeitsplatzumbauten kommt der TBD in den Betrieb und sucht je nach den räumlichen und persönlichen Gegebenheiten geeignete technische Lösungen. Firma Brabender sei somit eine Ausnahme, denn hier habe Carsten Schönebeck als Betroffener die Recherche selbst erledigt, erklärt Sabine Stange und fügt hinzu: „Dem Technischen Beratungsdienst war die Station tatsächlich schon bekannt – wir hatten bis dahin nur noch keinen Anwendungsfall. Den hat Herr Schönebeck uns somit geliefert. Unsere Aufgabe war es dann, für die Fachstelle der Stadt Duisburg eine Stellungnahme abzugeben, dass dieses Hilfsmittel bestmöglich geeignet ist, seine Behinderung zu kompensieren.“ In anderen Fällen recherchiert der TBD nach geeigneten technischen Möglichkeiten, die Ingenieurinnen und Ingenieure verschiedener Fachrichtungen müssen sich dafür auf dem Markt bestens auskennen und sich stetig fortbilden.
„Der Liegearbeitsplatzes ist vom LVR zu 100 Prozent gefördert worden. Die Gelder kommen aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe.“
Berufliche Teilhabe trotz Schwerbehinderung
Morbus Crohn wird bei Carsten Schönebeck schon 1991 diagnostiziert. In den Folgejahren nehmen die Beschwerden zu, bis es 2009 zu mehreren schweren Operationen kommt. Bei einer der OPs wird seine Bauchmuskulatur irreversibel durchtrennt. Carsten Schönebeck fehlt seitdem Stabilität im Rücken und das Sitzen drückt schmerzhaft auf seinen Magen. Aufgrund dieser Beeinträchtigungen hat Carsten Schönebeck seit 2009 einen anerkannten Grad der Schwerbehinderung (GdB) – derzeit mit einem GdB von 80.
Seine Arbeit aufgeben wollte Carsten Schönebeck, der seit dem Beginn seiner Ausbildung 1985 bei Brabender beschäftigt ist, dennoch nie. Zum Glück habe er einen Arbeitgeber, der trotz langjähriger Arbeitsunfähigkeit und wiederkehrender Ausfallzeiten an ihm festhält. Letztere sind dank der an einen Gaming-Stuhl erinnernden Altwork Station und dem Arbeiten im Liegen deutlich gesunken. Ausfallzeiten wegen Rückenschmerzen habe er seither nicht mehr. Dies bestätigt auch sein direkter Arbeitskollege und Schwerbehindertenvertreter Markus Sander: „Der Einsatz des Liegearbeitsplatzes macht sich bei uns bei den Fehlzeiten bemerkbar, aber auch durch die Entspanntheit von Herrn Schönebeck im Arbeitsleben.“
Schneller Weg vom Antrag bis zur Anlieferung
Von der ersten Idee einer Couch im Büro bis zur Installation des elektronisch steuerbaren Steh-Sitz-Liege-Arbeitsplatzes mit magnetischem Schreibtisch und neigbarer Monitorhalterung im Oktober 2019 vergingen kaum drei Monate. Zunächst hatte Brabender als Arbeitgeber die Kosten vorgelegt. Die Erstattung des Anschaffungspreises inklusive Versandkosten und Zollgebühren folgte kurz darauf. „Ich bin völlig begeistert von der unkomplizierten Zusammenarbeit mit der Fachstelle Duisburg und dem LVR-Inklusionsamt“, versichert SBV Markus Sander und ergänzt: „Der Antrag wurde sehr schnell bewilligt und die Kosten wurden vollständig übernommen.“
Der Liegearbeitsplatz macht Schule
Carsten Schönebeck wiederum freut sich, dass seine Idee, im Liegen zu arbeiten, auch anderen hilft. Vor einigen Wochen hat Sabine Stange vom Technischen Beratungsdienst des LVR, mit Einverständnis des Unternehmens sowie des Arbeitsplatzinhabers Carsten Schönebeck, weiteren Interessenten die Altwork Station im praktischen Einsatz vorgeführt. Für eine Mitarbeiterin der Stadt Grevenbroich war es genau die richtige Lösung. „Es hat mich sehr gefreut zu hören, dass der Stuhl inzwischen geliefert wurde und die betroffene Mitarbeiterin ihren Beruf weiter ausüben kann“, sagt Carsten Schönebeck. Er selbst weiß nur zu gut, wie wichtig eine angemessen bezahlte Beschäftigung und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen sind. Dafür, dass das gemeinsame Engagement seines Arbeitgebers, der Schwerbehindertenvertretung und des LVR-Inklusionsamtes ihm die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht, ist Carsten Schönebeck sehr dankbar. Er bringt es so auf den Punkt: „Ich habe kaum noch Schmerzen und auch nach Feierabend viel mehr Energie. Meine Lebensqualität hat sich durch den Liegearbeitsplatz um mehr als 100 Prozent gesteigert.“
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Wohin mit dem Antrag auf Förderung technischer Hilfsmittel?
Arbeitgebende oder Schwerbehindertenvertretungen wenden sich mit ihrem Antrag an die für ihren Firmensitz zuständige Fachstelle der Stadt oder des Kreises. Die Fachstelle kontaktiert daraufhin den Technischen Beratungsdienst (TBD) beim LVR-Inklusionsamt. Der TBD prüft,
- ob das Hilfsmittel zur Schwerbehinderung passt,
- ob das Angebot preislich angemessen ist und
- ob weitere Dinge zu beachten sind, etwa in puncto Arbeitssicherheit.
Bei Fragen zu technischen Hilfsmitteln und Arbeitsplatzumbauten helfen auch die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA).
Weitere Informationen und Kontakt zum EAA unter:
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