Wie man erfolgreich einen Job schnitzen kann
„Den müssen Sie sich schnitzen!“ Wer kennt das nicht als ironische Formulierung für Wunschdenken? Aber Wünsche können wahr werden, wenn sich ein engagierter Arbeitgeber, eine kompetente Schwerbehindertenvertretung und motivierte Mitarbeiter gemeinsam ans Jobcarving machen. Wie bei Faller.
Wenn Ute Rehm-Schmid in den Gebäuden von Faller Packaging unterwegs ist, muss sie viele Grüße erwidern. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass mich fast jeder kennt“, sagt sie lachend. Gut möglich. Schließlich arbeitet Rehm-Schmid schon seit 19 Jahren bei dem Schwarzwälder Unternehmen.
Die August Faller GmbH & Co. KG stellt Faltschachteln für die Pharmaindustrie her und liefert auch gleich die Beipackzettel und Klebeetiketten dazu. Angefangen hat Ute Rehm-Schmid als Medienberaterin im Auftragsservice und später in der Druckvorstufe. Mittlerweile ist die Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen zusätzlich Ansprechpartnerin für Themen in der Gesundheitsfürsorge der Waldkircher Firma.
„Von Jobcarving hatte ich mal in der Zeitschrift ZB gelesen“, sagt Rehm-Schmid über ihr Erfolgsprojekt. Das Konzept stammt aus den USA: für eine Person mit Behinderung wird ein Job passgenau zurechtgeschnitzt (engl.: to carve). Dazu werden Fähigkeiten und Anforderungen genau erfasst und aufeinander abgestimmt. Bislang konnten zwei Kollegen von den Schnitzkünsten der Schwerbehindertenvertreterin und der Unterstützung durch das KVJS-Integrationsamt profitieren.
Vom Maschinenführer zum Ausbildungsverantwortlichen
Dieter Hager hat 1999 als Maschinenführer bei Faller angefangen. Mit den Maschinen ist er heute noch auf Du und Du, ebenso wie mit den früheren Kollegen. Sein Fachwissen hilft ihm bei seiner neuen Aufgabe als Ausbildungsverantwortlicher für die gewerblichen Azubis. Denn nach einem Schlaganfall und einer Nierenerkrankung, für die er heute dreimal in der Woche zur Dialyse muss, war klar, dass eine berufliche Neuorientierung anstand.
Bereits während seiner Zeit der Arbeitsunfähigkeit setzte sich Dieter Hager mit Ute Rehm-Schmid in Verbindung. „Mein Wunsch war immer, wieder zu arbeiten“, erklärt er. Rehm-Schmid dazu: „Im Gespräch mit der Geschäftsleitung haben wir Wissen und Erfahrung in die Waagschale geworfen und die Bereitschaft zur Veränderung.“ Das überzeugte den Arbeitgeber.
Also wurde betriebsintern nach behinderungsgerechten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gesucht – und gefunden. „Ich wollte was Neues“, sagt Dieter Hager. Grundstein dafür war seine Qualifikation als Ausbilder nach Ausbildereignungsverordnung. Dazu wurde eine neue Teilzeitstelle geschaffen und Dieter Hager über ein Jahr hinweg umfassend geschult. „Das war vollkommenes Neuland für mich“, sagt er über seine jetzige Funktion. „Aber ich habe Leute an meiner Seite, die mir enorm geholfen haben.“
Geholfen hat auch der Eingliederungszuschuss, den die Deutsche Rentenversicherung für sieben Monate zahlte. Danach gab es einen Beschäftigungssicherungszuschuss des KVJS-Integrationsamtes. Auch die notwendige Ausstattung des neugeschaffenen Arbeitsplatzes wurde vom Integrationsamt finanziell unterstützt.
Als Ausbildungsverantwortlicher erstellt Hager nun die Pläne der Azubis, hat Prüfungsvorbereitungen, Nachhilfe und Fortbildungen im Blick und ist in Kontakt mit den Berufsschulen. Außerdem organisiert er Messen und Börsen sowie Praktika. Die Azubis profitieren dabei nicht zuletzt von seinen umfangreichen Fachkenntnissen, die nun der Firma erhalten bleiben. Das persönliche Fazit von Dieter Hager: „Das Schöne ist, ich genieße volles Vertrauen. Es ist eine absolute Erfolgsgeschichte.“
Fähigkeiten im Fokus
Auch Christian Schulz hat sich bei Faller Packaging beruflich umorientieren müssen. Leicht gefallen ist ihm das nach Jahren als Führungskraft nicht. Im Drei-Schicht-Betrieb war er Teamleiter mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dann kam die Diagnose Parkinson. „Ich habe im Laufe der Jahre gemerkt – der Anzug der Führungskraft passt nicht mehr“, beschreibt er. Der stressige Job, auch wenn er ihm Spaß machte, wirkte sich negativ auf seine Gesundheit aus.
Ein Bandscheibenvorfall und die anschließende Reha verschafften Christian Schulz die Ruhe- und Denkpause, die er brauchte. Er nahm Kontakt mit Ute Rehm-Schmid auf: „Wir haben ausschließlich auf seinen Fähigkeiten aufgebaut“, sagt sie. Am Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) nahmen neben dem BEM-Team zusätzlich der Standortleiter teil, dem es wichtig war, die Kenntnisse von Christian Schulz für die Firma zu erhalten. Gemeinsam machten sie sich daran, eine neues Aufgabenprofil zu entwickeln.
Heute bearbeitet Christian Schulz eine Vielzahl von anspruchsvollen Themen: „Aktive Unterstützung und Koordination bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung des integrierten Managementsystems zu Umwelt-, Energie- und Arbeitssicherheit, Brandschutz, Qualitätssicherung in Zusammenarbeit mit allen Beauftragten und Führungskräften, Bearbeitung von Gefährdungsbeurteilungen und Durchführung von Arbeitsplatzmessungen zu Lärm, Beleuchtung oder Magnetfeldern“, zählt er unter anderem auf. Dabei kommt ihm zugute, dass er im Betrieb viele kennt und Vertrauen genießt.
Seine Aufgaben kann Christian Schulz auch aus dem Homeoffice heraus erledigen. „Wichtig war, dass der Stress wegkommt“, erklärt er. „Gesundheitlich geht es mit jetzt bedeutend besser. Ich bin Faller dankbar, dass wir das so regeln konnten.“ Mittlerweile ist Christian Schulz zudem als stellvertretender Schwerbehindertenvertreter die rechte Hand von Ute Rehm-Schmid, und Mitglied im BEM-Team.
„Dankbarkeit sehe ich bei Allen, denen Faller die Chance auf Veränderung gibt“, beschreibt Ute Rehm-Schmid ihre erfolgreichen Jobcarving-Aktivitäten. Und setzt hinzu: „Mich hat das umso glücklicher gemacht.“
Text: Monika Kleusch
Zur Sache: Die Expertenmeinung
Zur Sache: Die Expertenmeinung
Judith Burkhart ist die zuständige Fachberaterin des KVJS-Integrationsamtes.
Jobcarving ist eine innovative und inklusionsfördernde Strategie, die im Hinblick auf den Fachkräftemangel an Bedeutung gewinnt. Interessant ist Jobcarving für Betriebe, die ihre langjährigen Fachkräfte trotz behinderungsbedingter Einschränkungen halten wollen.
Die Beispiele der August Faller GmbH & Co. KG zeichnen sich aus durch ein hohes Engagement des Unternehmens sowie einen starken Willen und hohe Einsatzbereitschaft der betroffenen Mitarbeiter. Der Schwerbehindertenvertretung (SBV) mit ihrer koordinierenden Funktion kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten hat zu einer Win-Win-Situation geführt. Es wurden individuelle Lösungen gefunden, um die Arbeitsverhältnisse in angepasster Form langfristig fortzusetzen.
Das Integrationsamt des KVJS hat die Prozesse begleitet und stand in regelmäßigem Austausch mit der SBV. Der Arbeitgeber wurde durch einen Investitionskostenzuschuss (für die Grundausstattung eines neu geschaffenen Arbeitsplatzes) sowie durch laufende Beschäftigungssicherungszuschüsse unterstützt.