
Selbstbestimmung durch Technik
An der Technischen Universität (TU) Dresden forschen Informatikerinnen und Informatiker im BMAS-geförderten Projekt AutARK zu digitalen Assistenzsystemen für autistische Menschen. Wir sprachen mit Projektleiter David Gollasch.
Herr Gollasch, das Projekt AutARK sucht technische Lösungen für autistische Menschen im Arbeitsleben. Worum geht es genau?
Wir beschäftigen uns mit der Entwicklung von Assistenzsystemen, die Menschen im autistischen Spektrum den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Viele autistische Menschen haben trotz hoher Qualifikation Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden oder im Job zu bleiben. Das liegt in vielen Fällen nicht daran, dass sie nicht arbeitsfähig wären, sondern daran, dass sie im Alltag oft auf Hindernisse stoßen. Reizüberflutung, Schwierigkeiten in der Kommunikation, Herausforderungen beim Selbstmanagement, die Liste kann man auch weiterführen. Wir haben uns aber auf diese drei Kernschwierigkeiten konzentriert und entwickeln im Projekt AutARK prototypische Systeme, die diese Herausforderungen adressieren. Ziel ist es, autistische Menschen im allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen und sie arbeitsfähig zu machen beziehungsweise zu halten.
Sie haben die Herausforderungen schon angesprochen, wie wirken sich diese denn auf den Arbeitsalltag von Autistinnen und Autisten aus?
Oft beginnt es schon mit der Bewerbung: Stellenanzeigen werden falsch interpretiert oder Bewerbungsgespräche wirken wie ein Verhör, bei dem sich viele unwohl fühlen. Wenn es dann doch klappt, kommt im Arbeitsalltag vieles zusammen: Zu laute Büros, grelles Licht oder überfüllte Bahnen auf dem Arbeitsweg können schnell überfordern. Auch die Kommunikation im Team kann eine Hürde sein – zum Beispiel, wenn zwischen den Zeilen gelesen werden muss oder Ironie im Raum steht. Hinzu kommen organisatorische Dinge: Termine einzuhalten oder sich selbst Pausen zu gönnen kann schon ein Problem sein. Viele autistische Menschen haben sich an neurotypische Menschen angepasst. Das kann aber sehr kräftezehrend sein und wirkt sich oft auf die Produktivität aus.
Autismus ist ein sogenanntes Spektrum – das heißt, dass jeder Autismus individuelle Ausprägungen hat. Wie lösen Sie das bei der Entwicklung von Assistenzsystemen?
Das ist schon eine der Kernherausforderungen für uns als Informatikerinnen und Informatiker. Was für die eine Person gut funktioniert, hilft der nächsten vielleicht überhaupt nicht. Darum braucht es technische Lösungen, die sich individuell anpassen lassen. Wir sprechen hier von adaptivem Design. Das System lässt sich also von den bedienenden Personen anpassen und individuell gestalten.
Wie haben Sie denn die Zielgruppe in Ihre Forschung einbezogen?
Wir arbeiten mit betroffenen Personen zusammen, hören ihre Erfahrungen und Bedürfnisse. Das nennt sich in der Informatik menschenzentriertes Design. Wir haben auch mit Berufsbildungswerken und anderen Institutionen kooperiert, die autistische Menschen in Ausbildung oder Arbeitsleben begleiten. Bei Hospitationen, Interviews und Workshops haben wir geschaut: Wo gibt es Stolpersteine, und wie können wir sie aus dem Weg räumen?
Können Sie uns ein Beispiel für eine dieser technischen Lösungen geben?
Ein System, an dem wir arbeiten, ist ein smarter Kopfhörer. Er soll helfen, in lauten Umgebungen den Überblick zu behalten. Solche Kopfhörer gibt es schon mit Geräuschunterdrückung, aber sie schirmen die Träger oft komplett ab – was soziale Interaktion erschwert. Unsere Idee: ein Modus, der gezielt Geräusche durchlässt, wenn eine Interaktion gewünscht wird, aber weiterhin störende Umgebungsgeräusche ausblendet. Die Herausforderung ist, das so zu gestalten, dass es nicht übergriffig wirkt, etwa wenn jemand einfach von außen „den Kopfhörer steuert“. Wir denken eher an sanfte Lösungen – zum Beispiel eine Benachrichtigung, die signalisiert, dass jemand mit einem sprechen möchte, und die Person kann dann entscheiden, ob sie darauf eingeht. Wir haben außerdem eine Anwendung für Mixed-Reality-Brillen entwickelt, die bei der sozialen Interaktion unterstützen kann. Ein anderes Beispiel ist ein Zeit- und Aufgabenmanagement-Tool, das an wichtige Termine erinnert oder zu Pausen ermuntert. Durch kleine spielerische Elemente werden die Benutzer motiviert, organisiert zu bleiben, ein sogenannter Gamification-Ansatz. So können auch Pausen besser eingehalten oder wichtige Aufgaben priorisiert werden.
Wie weit sind Sie denn mit den Prototypen?
„AutARK“ läuft über drei Jahre. Wir haben das erste Jahr damit verbracht, herauszufinden, was die Bedürfnisse der Zielgruppe sind. Letztes Jahr haben wir erste Prototypen gebaut – also Versionen der Systeme, die man in Nutzendenstudien testen kann. Wir haben diese kürzlich unserem Expertengremium vorgestellt und bekommen jetzt wertvolles und vor allem sehr positives Feedback. Dieses Jahr wollen wir diese Prototypen in größerem Rahmen testen und optimieren. Am Ende sollen die Lösungen open source veröffentlicht werden – das heißt, sie sind frei verfügbar und können weiterentwickelt werden.
Beziehen Sie auch Arbeitgeber oder Kolleginnen und Kollegen der autistischen Mitarbeitenden in Ihre Überlegungen mit ein?
Ja, wir arbeiten mit Berufsbildungswerken und Verbänden zusammen, die autistische Menschen in den Arbeitsmarkt begleiten. Unternehmen direkt zu erreichen, ist etwas schwieriger. Wir sehen aber mehr Offenheit bei den Unternehmen, vor allem, wenn wir konkrete Lösungen und Prototypen zeigen können. Auch ein wichtiger Punkt: Letztlich sind unsere Systeme nicht nur für Menschen mit Autismus hilfreich, sondern können auch anderen Mitarbeitenden zugutekommen.
Was unterscheidet die im Projekt entwickelten Systeme von anderen Unterstützungsangeboten?
Ein großer Vorteil technischer Lösungen ist, dass sie die Selbstbestimmung der Menschen stärken. Sie entscheiden selbst, ob und wie sie eine Technologie einsetzen. Viele herkömmliche Angebote wie Methodentrainings konzentrieren sich darauf, autistische Menschen an die neurotypische Welt anzupassen. Wir gehen einen anderen Weg: Wir sagen, dass die Umgebung sich ebenfalls anpassen kann – durch smarte, technische Hilfsmittel, die Barrieren abbauen. Diese Tools können Menschen dann auch langfristig begleiten, von der Ausbildung bis ins Arbeitsleben.
Zur Person und zum Projekt
David Gollasch ist studierter Informatiker und Projektleiter von „AutARK“ an der TU Dresden. Er ist bereits seit 2016 am Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion tätig.
Das Projekt AutARK wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert und ist auf drei Jahre angelegt. Mehr zu den Zielen und Inhalten finden Sie hier auf der Website des Projektes.
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