BEM – was ist das eigentlich?

Das BEM-Verfahren sollte immer an den Einzelfall angepasst werden – dennoch gibt ZB hier einen Überblick über Möglichkeiten, Maßnahmen und Abläufe.

Jede Erkrankung, jede Einschränkung und Behinderung wirft andere Fragen auf. Das sollte auch bei den Maßnahmen im betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) berücksichtigt werden. Das Ziel aller Maßnahmen ist es, Beschäftigten mit längeren Fehlzeiten eine frühzeitige und reibungslose Rückkehr an den Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Häufig nehmen die betroffenen Beschäftigten an einer Rehamaßnahme teil, oder sie kehren stufenweise an ihren alten Arbeitsplatz zurück. Möglich ist es auch, den Arbeitsplatz organisatorisch oder technisch anzupassen oder sich beruflich fortzubilden, um zum Beispiel den Einsatzbereich verändern zu können.

Alle Personen, die an einem konkreten BEM-Verfahren beteiligt sind, sollten im Gespräch miteinander herausfinden, welche Maßnahmen im individuellen Fall geeignet sind. Diese werden dann gemeinsam festgelegt.

Mögliche Leitfragen, um die richtigen Maßnahmen zu finden

1.

Liegen bei der BEM-berechtigten Person Funktionseinschränkungen vor?

2.

Wie ist die Belastungssituation am Arbeitsplatz?

3.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Arbeitsplatz?

4.

Wie kann der Arbeitsplatz ausgestattet beziehungsweise umgestaltet werden?

5.

Gibt es bereits Angebote im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, die genutzt werden können?

6.

Wo liegen Stärken und Qualifikationen der BEM-berechtigten Person?

7.

Was sind Ziele und Vorstellungen der BEM-berechtigten Person?

8.

Könnte ein Arbeitsplatzwechsel der BEM-berechtigten Person erfolgen? Wo und wie?

BEM: Rechtsgrundlage

Wenn Beschäftigte über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg für mindestens 6 Wochen aufgrund von Krankheit nicht arbeiten können, sieht das Gesetz vor, dass Arbeitgebende aktiv werden müssen. Nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind sie dazu angehalten, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Ein solches Angebot ist allerdings für die Mitarbeiter nicht verpflichtend, die Teilnahme ist freiwillig. Die Regelungen zur Arbeitsunfähigkeit lehnen sich dabei an die Definition in § 3 Abs. 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) an.

Das Hauptziel des BEM ist es, durch präventive und auf den Einzelfall abgestimmte Maßnahmen die Arbeitsbeziehung zu stabilisieren und somit krankheitsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Es geht darum, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und zukünftige Fehlzeiten aufgrund von Krankheit zu reduzieren.

Im Kern des BEM steht ein offener und ergebnisoffener Suchprozess, der darauf abzielt, individuelle Lösungen zu finden, um zukünftige Arbeitsunfähigkeiten zu verhindern. Es wird untersucht, welche gesundheitlichen Probleme zu den bisherigen Ausfällen geführt haben und ob und wie durch bestimmte Veränderungen im Arbeitsumfeld oder im Verhalten des Beschäftigten zukünftige Krankheitszeiten verringert werden können, um so eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzuwenden.

Obwohl das Gesetz keine spezifischen Maßnahmen oder einen festen Verfahrensablauf für das BEM vorschreibt, lassen sich dennoch Mindeststandards identifizieren. Dazu gehört insbesondere die Einbeziehung der gesetzlich vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen in den Prozess – immer in Absprache und mit Einwilligung der betroffenen Person. Ein BEM-Verfahren gilt dann als gesetzeskonform, wenn es alle denkbaren Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten berücksichtigt und die Vorschläge der Teilnehmer angemessen diskutiert werden.

Ziel ist es auch, frühzeitig einen Rehabilitationsbedarf zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Dies erfordert ein Klima des Vertrauens im Unternehmen, das die Beteiligten zum Mitwirken motiviert. Wichtig ist, dass das BEM nicht als Drohung, sondern als Unterstützung verstanden wird, wobei die Privatsphäre des Einzelnen stets gewahrt bleibt.

Rechtlich verankert ist das betriebliche Eingliederungsmanagement im § 167 Abs. 2 SGB IX und richtet sich nicht ausschließlich an schwerbehinderte Menschen. Im Sozialversicherungsbereich bildet vor allem die stufenweise Wiedereingliederung in die bisherige Tätigkeit gemäß § 74 SGB V und § 44 SGB IX eine wichtige Schnittstelle.

Nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind Arbeitgebende dazu angehalten, ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten.

Individuelle Maßnahmen

 

… gibt es viele. Sie können in Kombination oder einzeln die Beschäftigungsfähigkeit deutlich verbessern. Welche Maßnahmen jeweils nötig und möglich sind, entscheidet das BEM-Team mit den Betroffenen gemeinsam. Diese Maßnahmen sind beispielsweise

  • Stufenweise Wiedereingliederung
  • Arbeitsversuch unter vereinbarten Bedingungen
  • Belastungserprobung, Arbeitstherapie
  • Ergonomische Verbesserung, barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld
  • Trainingsmaßnahmen (je nach Krankheitsbild zum Beispiel Physiotherapie, Rückenschule)
  • Technische Umrüstung des Arbeitsplatzes, Ausstattung mit Hilfsmitteln
  • Veränderungen der Arbeitsorganisation oder der Arbeitsplatzorganisation (Arbeitszeit, Pausenregelungen, Homeoffice …)
  • Arbeitsassistenz (auch vorübergehend)
  • Vermittlung zusätzlicher Beratungs- und Betreuungsangebote
  • Mediation
  • Umsetzung innerhalb des Betriebs auf einen anderen Arbeitsplatz
  • Berufliche (Weter-)Qualifizierung, Fortbildung, Umschulung

Im Fokus: Stufenweise Wiedereingliederung

Häufig wird im Zuge des BEM die Stufenweise Wiedereingliederung, auch Hamburger Modell genannt, eingesetzt, um Arbeitsunfähigkeitszeiten zu überwinden. Dabei erstellt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt gemeinsam mit der erkrankten Person einen Stufenplan. Auf Grundlage dieses Plans kehrt die Person schrittweise an den Arbeitsplatz zurück. Arbeitszeit und Arbeitsbelastung werden zunächst oft stark reduziert – und anschließend über einen festgesetzten Zeitraum allmählich gesteigert.

"Wichtiges Instrument zur Rückkehr"

Im Interview: Inga Lisa Schulz und Ralf Stegmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

ZB: Zum 20-jährigen BEM-„Jubiläum“ beschäftigen wir uns auch mit einem wichtigen Instrument des BEM – der stufenweisen Wiedereingliederung (STWE). Würden Sie sagen, dass die STWE sich als Mittel zur Rückkehr an den Arbeitsplatz bewährt hat?

Schulz/Stegmann: Die STWE hat sich als ein wichtiges Instrument zur Rückkehr etabliert, denn sie verbessert die Chancen einer erfolgreichen Wiedereingliederung nach einer längeren Erkrankung. Die STWE verbindet therapeutische und medizinische Aspekte im betrieblichen Rahmen und lässt sich außerdem sehr gut mit dem BEM verbinden. So können auch von betrieblicher Seite neue Handlungsspielräume zur Anpassung der Arbeitsbedingungen eröffnet werden.

Aktuelle Studien zeigen: Die STWE ist hilfreich. Insbesondere langzeiterkrankte Beschäftige profitieren von ihr in einem hohen Maße sowie Personen mit psychischen Erkrankungen. Anträge auf Erwerbsminderungsrente und erneute lange AU-Zeiten lassen sich beispielsweise verringern. Viele Zurückkehrende in unseren Studien berichten über den Rückgewinn von Selbstsicherheit, Abbau von Ängsten und einer sukzessiven Stabilisierung ihres gesundheitlichen Zustandes, vor allem bei psychischen Beeinträchtigungen. Im Verlauf der Rückkehr kann die STWE ein maßgeblicher Stabilisator sein, weil sie unter anderem auch die Selbstwirksamkeitserwartungen der Zurückkehrenden positiv beeinflussen kann. Arbeitsaufgaben erscheinen den Beschäftigten dann schrittweise wieder bewältigbar. Damit einher geht dann meist auch die Wiederherstellung der Belastungs- und Leistungsfähigkeit.

 

Was sind denn Schwachstellen des Konzeptes?

Es ist nicht das Konzept der STWE per se, sondern eher die Art wie aktuell mit ihr verfahren wird. Es herrscht Unwissenheit über die Möglichkeiten der STWE. Beispielsweise wird häufig ein Standard-Stufenplan angewendet, der eine straffe Stufensteigerung über 4-6 Wochen vorsieht. Meist wird auch zu wenig darüber nachgedacht, wie eine sinnvolle Steigerung der Arbeitsaufgaben und -inhalte gewährleistet werden kann. Darüber hinaus fehlt es nicht selten an einer professionellen Begleitung der Zurückkehrenden während der STWE. Dies führt im Einzelfall vor allem dazu, dass sich Zurückkehrende während der STWE überfordern. Sie verspüren den Druck, den Kollegen und Vorgesetzten zu beweisen, dass sie nach langer Krankheit endlich wieder voll leistungsfähig sind. Doch der beschriebene Druck wird nicht selten auch von außen an die Zurückkehrenden herangetragen. Dies führt mitunter dazu, dass die STWE abgebrochen werden muss. Deshalb ist es für alle Beteiligten, auch für die zurücklehrenden Beschäftigten selbst und das Team noch einmal wichtig, sich im Vorfeld klar zu machen, dass die Zurückkehrenden während der STWE noch arbeitsunfähig am Arbeitsplatz sind. Dies kann unnötigem inneren und äußeren Druck vorbeugen.

Doch mit der STWE allein ist es normalerweise nicht getan. Problematisch ist, dass die STWE häufig mit dem BEM gleichgesetzt wird, obwohl sie nur eine - wenn auch sehr wichtige - Maßnahme der Rückkehr ist. So ein reduzierter Blick führt dazu, dass eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -beziehungen vernachlässigt wird und der nötige kooperative Suchprozess im BEM nicht stattfindet.

Und wie könnte man das angehen? Was gibt es an Weiterentwicklungsmöglichkeiten?

Entscheidend ist die individuelle Ausrichtung des Stufenplans, nicht nur vorab sondern auch flexibel im Rückkehrprozess. Dafür ist es nützlich zu wissen, was es braucht, um den Wiedereinstieg in die Arbeit zu erleichtern. Aber auch eine gewisse Offenheit dem Rückkehrprozess allgemein gegenüber ist nötig. Das gilt nicht nur für die Staffelung der Tage und Stunden, sondern auch für die Anpassung der Arbeitsinhalte. Hier wäre ein wichtiger Ansatz, eine individuelle Begleitung der STWE zu ermöglichen, die darauf abzielt, die Zurückkehrenden professionell zu coachen, damit sie sich wirklich an ihrer aktuellen Belastungs- und Leistungsfähigkeit orientieren.

Dazu braucht es eine vertrauensvolle Beziehung und Personen mit Erfahrung, die dabei unterstützen, den Prozess betrieblich zu koordinieren, Probleme zu erkennen und mit den zurückkehrenden Beschäftigten nach individuellen Lösungen zu suchen. Die STWE als Chance zu sehen, wieder einzusteigen und ggf. neue Wege zu gehen, ist eine relevante Grundhaltung, die auch von betrieblicher Seite mitgetragen werden sollte. Ein verständnisvolles Arbeitsklima ist in diesem Kontext sehr hilfreich. Dies erreicht man zum Beispiel durch den Einbezug der Kolleg:innen und einer klugen Gesprächsführung auf Augenhöhe.

Und wie bereits angeklungen: Für eine nachhaltige Sicherung der Arbeitsfähigkeit sind meist weitgehendere präventive bzw. arbeitsgestaltende Maßnahmen als die STWE erforderlich. So muss die Zeit nach Abschluss der STWE bei der Planung der Rückkehr mitbedacht werden. Und das Schöne ist: unsere Studien zeigen, dass solche erfolgreichen Rückkehrverläufe auch positive Effekte auf das Betriebsklima haben können.

Diese Ebenen, beteiligten Personen und Faktoren integrativ mitzudenken hört sich vielleicht erst einmal nach viel Arbeit an. Aktiv zu gestalten oder etwas auszuprobieren kann unter den richtigen Umständen sogar Spaß machen, sofern man erst einmal loslegt. Also bitte keine Standard-STWE mehr und Mut zur Kreativität.

Können Sie noch ein paar kurze Einblicke in Ihre Studie geben? Wer wurde befragt? Wie wurde befragt? …

In unserer Studie beschäftigen wir uns ganz konkret mit der aktuellen Umsetzung der stufenweisen Wiedereingliederung in Deutschland. Um aus unterschiedlichen Perspektiven solche Einblicke in die gelebte Praxis zu erhalten, haben wir sowohl zurückkehrende Beschäftigte während und nach einer stufenweisen Wiedereingliederung befragt, als auch Personen, die im Betrieb mit der Begleitung der STWE oder des BEMs vertraut sind und aus ihren Erfahrungen erzählen können, was bereits ganz gut läuft und wo es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Dazu haben wir nicht nur Einzelinterviews geführt, sondern auch Kleingruppen in Betrieben diskutieren lassen.

Weiterführende Infos

Mehr zum Thema BEM

… finden Sie im Fachlexikon der BIH und auf dem BIH Portal.

Literaturempfehlung

Gestaltung und Durchführung des BEM von Bettina Schmidt, C.H. Beck (2023)

Kompass

Der BEM-Kompass der BAR (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitiation) hilft bei der Orientierung.

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