Illustration von Justitia

Aktuelles Urteil: Behinderungsgerechte Tätigkeit

Bevor ein Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, muss er einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer eine behinderungsgerechte Tätigkeit auf einem freien Arbeitsplatz anbieten. Das gilt, wenn Arbeitnehmende wegen ihrer Behinderung nicht mehr in der Lage sind, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Tätigkeit auszuüben. Dies regelt § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX. Die Tätigkeit kann auch vertragsfremd sein. Was jedoch bedeutet „frei“? Hier entscheidet das LAG, dass als "frei" nicht nur unbesetzte Arbeitsplätze anzusehen sind. Es fallen auch Arbeitsplätze darunter, die der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung des schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers anderweitig besetzt hat.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. Juli 2023 – 8 Sa 60/23 –, juris

Worum geht es?

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung. Die Klägerin ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Sie konnte ihre arbeitsvertraglich geregelte Tätigkeit als Verkäuferin nicht mehr ausüben. Im BEM-Gespräch äußerte sie den Wunsch, eine Weiterbildung im Bürobereich zu absolvieren. Dies lehnte der Arbeitgeber ab. Im Jahr 2021 wurden eine Stelle als kaufmännischer Sachbearbeiter und eine Stelle als Bürokaufmann/frau ausgeschrieben. Die Stellen wurden anderweitig besetzt. Das zuständige Integrationsamt erteilte im Jahr 2022 die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung zur Kündigung der Klägerin. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsklage gegen die ausgesprochene Kündigung der Klägerin statt. Die eingelegte Berufung des Arbeitgebers wurde vom LAG als unbegründet zurückgewiesen.

Wenn es keine Umsetzungsmöglichkeit gibt, kann auch eine Änderungskündigung in Betracht gezogen werden.

Das LAG hält die Kündigung für sozialwidrig, da sie unverhältnismäßig sei. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts einen „leidensgerechten“ Arbeitsplatz anzubieten, wenn dieser seine Arbeitsleistung dauerhaft nicht mehr erbringen kann. Wenn es keine Umsetzungsmöglichkeit gibt, kann auch eine Änderungskündigung in Betracht gezogen werden. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsplatz zwischenzeitlich anderweitig besetzt hat. Das LAG stuft dies als treuwidrig ein, wenn für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Stellenbesetzung das Auslaufen der Beschäftigungsmöglichkeit für den später gekündigten Arbeitnehmer absehbar war.

 

 

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