Etwas mit Tieren
Mit Tieren arbeiten – das ist Celina Prehls Vorstellung von ihrem künftigen Beruf. In einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung möchte die junge Förderschülerin mit kognitiver Beeinträchtigung nicht arbeiten. Gemeinsam mit ihrer Mutter und der Beraterin vom Integrationsfachdienst gelingt es ihr, über ein Praktikum auf dem Elisenhof in eine anerkannte Berufsausbildung zur Fachpraktikerin für Pferdewirtschaft einzusteigen – eine der ersten in Nordrhein-Westfalen.
„Am Ende des Praktikums konnte ich mir unser Team ohne Celina nicht mehr vorstellen. Die Arbeit mit ihr macht Spaß und es ist einfach!“
Mit KAoA-STAR zum Wunschberuf
Trübe Morgendämmerung und leichte Nebelschwaden umhüllen die weitläufigen Stallungen des Elisenhofs in Niederkassel. Durch die kleinen Fenster fällt kaum Licht in den noch dunklen Stall. Zwei kleine Shetlandponys liegen ausgestreckt auf der Seite. Sie rekeln sich genüsslich, während die großen Reitpferde unruhig in den Boxen der langen Stallgasse stehen, mit den Hufen scharren und die kalte Winterluft schnaubend durch die Nüstern ziehen. Sie wittern das duftende Heu, das Celina Prehl nun geschickt mit einer übervollen Schubkarre um die Kurve balanciert. Es ist kurz nach acht und die junge Auszubildende füttert wie jeden Morgen als Erstes die Pferde. An der Box von Dusty macht sie Halt, öffnet die Tür, streichelt dem großen Tier liebevoll über die silbrige Mähne und legt ihm dann zwei Gabeln Heu vor die Hufe. Dusty malmt zufrieden, Celina Prehl lächelt. Schwungvoll sticht sie die Gabel erneut ins Heu.
Seit Celina Prehl auf dem Elisenhof ihre Ausbildung zur Fachpraktikerin für Pferdewirtschaft absolviert, ist sie viel sicherer geworden. „Celina ist richtig aufgeblüht und hat deutlich an Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit gewonnen“, konstatiert Angelika Prehl die Entwicklung ihrer Tochter. So fahre Celina allein mit dem ÖPNV zur Arbeit. Dass sie dafür um sechs Uhr aufstehen, zur S-Bahn laufen, zweimal umsteigen muss und mehr als eine Stunde pro Strecke unterwegs ist, nimmt sie gern in Kauf. „Hauptsache nicht in eine Werkstatt oder zur Förderschule gehen“, sagt die 18-Jährige mit Nachdruck. Auf dem Elisenhof des Kinder- und Jugendreitvereins Köln/Bonn e. V. (KJRV) habe sie viel mehr Anregungen und Austausch. „In meiner Schule waren die meisten Mitschülerinnen so stark beeinträchtigt, dass ich mich mit ihnen gar nicht unterhalten konnte“, stellt Celina Prehl mit Bedauern fest. Beim KJRV dagegen hat sie Kommunikation in Hülle und Fülle – zuallererst mit Familie Zimmermann-Arbeiter, die den Hof führt. Dazu kommen mehr als zehn weitere Beschäftigte und Ehrenamtliche; und nicht zuletzt die vielen Mädchen und Frauen, die Reitunterricht auf Schulpferden nehmen oder hier ein eigenes Pferd stehen haben. Auf dem Elisenhof ist das weibliche Geschlecht eindeutig in der Mehrheit. Es herrscht eine freundliche, familiäre Atmosphäre und eine wertschätzende Kommunikation im Betrieb – nicht nur unter den Vereinsmitgliedern, sondern auch gegenüber den Stallhilfen. „Jede und jeder wird hier mit Namen angeredet und nicht mit seiner Funktion, wie ‚der Mister‘!“, berichtet eine der Pferdebesitzerinnen von ihrer Erfahrung mit abschätzigen Bemerkungen in anderen Reitställen.
Neues Selbstbewusstsein
Diese positive Atmosphäre hilft Celina Prehl beim Einleben in das neue Arbeitsumfeld sehr. Ebenso wie die freundliche und konstruktive Anleitung durch ihren Ausbilder Michael Zimmermann und dessen Tochter, die Betriebsleiterin und Reitlehrerin Anna Lisa Arbeiter. Von beiden bekommt Celina Prehl zudem viel Lob.
„Gut gemacht!“, ruft die Betriebsleiterin auch jetzt, als Celina Prehl in dem mit Reitschülerinnen vollen Stallgang einen braunen Wallach daran hindert, sich loszureißen. Klein und zierlich gebaut stemmt sie sich gegen das zur Seite drängende und steigende Pferd: hält mit einer Hand die Zügel, klopft mit der anderen beruhigend seinen Hals. Nach kurzem Ringen bringt die Auszubildende das große Tier sicher in den Bereich zum Striegeln, Satteln und Trensen nahe der Reithalle. Auch von den umstehenden Reitschülerinnen und zwei älteren, erfahrenen Pferdebesitzerinnen gibt es dafür anerkennende Blicke. Celina Prehls Schultern straffen sich, die Freude über den Erfolg spiegelt sich in ihrem Blick.
Win-win-Situation für Betriebe und Menschen mit Behinderung
Celina Prehl ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig eine Ausbildung beziehungsweise die Teilhabe am Beruf und am gesellschaftlichen Leben für Menschen ist – egal ob mit oder ohne Behinderung. Doch eine betriebliche Ausbildung ist für Menschen mit Behinderung nicht die Regel. Und das obwohl so viele Betriebe dringend Auszubildende suchen.
Jugendliche mit Behinderung und Betriebe zusammenzubringen und sie in der Phase der beruflichen Orientierung zu unterstützen, ist Aufgabe des Programms KAoA-STAR des Inklusionsamtes des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Die Abkürzung KAoA-STAR steht für „Kein Abschluss ohne Anschluss – Schule trifft Arbeitswelt“ (siehe Infobox). Das Programm unterstützt die Berufliche Orientierung für junge Menschen mit Behinderung über den Integrationsfachdienst (IFD). „Der IFD fungiert als Lotse im System und begleitet die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf auf dem Weg, eine zu ihren Interessen und Fähigkeiten passende betriebliche Ausbildung zu erlangen“, erklärt Eileen Düchting, fachliche Leitung des Programms KAoA-STAR beim LVR-Inklusionsamt.
Der beste Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Praktikum, wie bei Celina Prehl: Während ihrer Schulzeit an der Pestalozzischule Förderschule für Geistige Entwicklung in Köln wurde sie im Rahmen von KAoA-STAR beraten und sie wird bis heute von IFD-Fachberaterin Eva Wilfert persönlich begleitet. Die engagierte Fachberaterin war es auch, die den Kontakt zum Elisenhof vermittelt und die weiteren Schritte koordiniert hat (siehe ausführliches Interview). Mehrfach hebt Eva Wilfert hervor, wie bedeutsam ein betriebliches Praktikum besonders für Menschen mit Behinderung ist: „Es ist der Königsweg in eine Ausbildung und oft auch in eine dauerhafte Anstellung!“
Umfassende Leistungen für Arbeitgeber
Mehr Bereitschaft der Betriebe, jungen Menschen mit Behinderung eine Ausbildung anzubieten, könne dazu beitragen, dem aktuellen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist sich Eileen Düchting sicher. Natürlich müssen Anforderungs- und Leistungsprofil zueinander passen und es muss sorgfältig abgewogen werden, welcher Beruf bei welcher Beeinträchtigung geeignet ist.
Doch häufig können Menschen mit Behinderung deutlich mehr leisten als ihnen allgemein zugetraut wird. Gerade deshalb sind Praktika im Betrieb so sinnvoll, damit junge Menschen mit Einschränkungen ihre Fähigkeiten und besonderen Eigenschaften zeigen können.
Denn Menschen mit Behinderung sind oft besonders pflichtbewusst, aufmerksam und lernbegierig, darin sind sich Eileen Düchting und Anna Lisa Arbeiter völlig einig. „Celina ist fleißig, sie ist freundlich, stellt viele Fragen und möchte alles wissen. Nach zwei Wochen konnte ich mir unser Team gar nicht mehr ohne Celina vorstellen“, fasst die junge Betriebsleiterin ihre Erfahrungen aus Celinas Praktikum zusammen und ergänzt: „Außerdem macht es Spaß und es ist einfach!“
Einfach ist es unter anderem deshalb, weil der Elisenhof weiterhin auf die Unterstützung des IFD und des LVR-Inklusionsamtes zählen kann. Neben der Beratung können das auch finanzielle Leistungen sein. Im konkreten Fall erhält der Betrieb außerdem einen Lohnkostenzuschuss während der gesamten Ausbildung von der Agentur für Arbeit.
Durch das gemeinsame Engagement des IFD, des Ausbildungsbetriebs und nicht zuletzt der Eltern ist es gelungen, Celina Prehl eine Ausbildung zur Fachpraktikerin für Pferdewirtschaft mit anerkanntem Abschluss vor der Landwirtschaftskammer zu ermöglichen. Es wird der erste in Köln sein und einer der ersten in ganz Nordrhein-Westfalen. Vor allem geht Celinas Wunsch in Erfüllung, „etwas mit Tieren“ zu machen.
Der Elisenhof in Bildern
Mehr Infos zum Programm KAoA-STAR
„KAoA-STAR – Schule trifft Arbeitswelt“ ist ein Baustein der Landesinitiative „KAoA – Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule-Beruf in NRW“.
Mit KAoA-STAR wird das Ziel verfolgt, Jugendlichen in allen Schulformen ab der 8. Klasse den Zugang zur Arbeits- und Berufswelt zu ermöglichen und mit ihnen realistische berufliche Perspektiven zu erarbeiten. Potenziale, Interessen sowie berufsrelevante Kompetenzen werden dabei ermittelt und gefördert. Ein zentraler Baustein ist, dass die Schülerinnen und Schüler erste berufspraktische Erfahrungen durch Berufsfelderkundungen und gezielte Praktika in Betrieben sammeln und der Übergang von der Schule ins Berufsleben begleitet wird.
Das Angebot der Beruflichen Orientierung nach KAoA-STAR richtet sich an Schülerinnen und Schüler
- mit Schwerbehinderung
und/oder mit einem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in den Förderschwerpunkten:
- Geistige Entwicklung (GG)
- Körperliche und motorische Entwicklung (KmE)
- Hören und Kommunikation (HuK)
- Sehen (SE)
- Sprache (SQ)
und/oder mit einer fachärztlichen Diagnose aus dem Autismus-Spektrum.
Weitere Informationen zum Ablauf und zur Finanzierung des Programms finden Sie auf der Website des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR).
Den zuständigen Integrationsfachdienst in Ihrer Region finden Sie hier.
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