Der Mensch steht im Vordergrund
Das Familienunternehmen B. Braun Melsungen AG in Hessen nimmt seine Verantwortung ernst - und begreift Integration von Menschen mit Behinderungen als Teil des Selbstverständnisses. Astrid Kramer arbeitet seit 1985 für das Unternehmen – und mehr als 20 Jahre davon als Inklusionsbeauftragte. Auch heute noch freut sie sich, wenn sie etwas bewegen kann.
Seit 36 Jahren arbeitet Astrid Kramer im Familienunternehmen B. Braun Melsungen AG in Hessen – mehr als 20 Jahre davon als Inklusionsbeauftragte des Medizintechnikunternehmens. Auch heute noch freut sie sich, wenn sie etwas bewegen kann.
Die Zahl der Menschen mit Schwerbehinderung ist auch bei uns stetig gestiegen.
Der Mensch steht im Vordergrund
Astrid Kramer macht ihren Job gerne. Die Sachbearbeiterin arbeitet im Personalwesen und ist gleichzeitig Inklusionsbeauftragte ihres Arbeitgebers – ein international aufgestelltes hessisches Familienunternehmen. Kramer arbeitet in einem Team von 15 Kollegen und beschäftigt sich neben dem Job als Inklusionsbeauftragte mit Entgeltänderungen, Einstellungen, Arbeitsvertragsänderungen, Versetzungen – und auch mit Kündigungen. „Wir kümmern uns hier um die gewerblichen technischen Beschäftigten bis zum Meister, die in der Produktion und der Logistik arbeiten. Für den Bereich der Angestellten ist ein anderes Team zuständig“, erzählt die 54-Jährige.
Astrid Kramer arbeitet bei der B. Braun Melsungen AG. Das Medizintechnikunternehmen entwickelt und produziert Produkte für den weltweiten Gesundheitsmarkt, die an Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen geliefert werden. Das Familienunternehmen nimmt seine Verantwortung für die Menschen in der Region ernst und beschreibt immer wieder die Integration von Menschen mit Behinderungen als Teil seines Selbstverständnisses. So werden schon seit Jahren Aufträge in Millionenhöhe an Werkstätten für Menschen mit Behinderungen im Umland vergeben. Unter anderem für dieses Engagement ist der Medizinproduktehersteller bereits im Jahr 2013 mit dem Preis der hessischen Landesregierung für die „beispielhafte Beschäftigung und Integration schwerbehinderter Menschen“ ausgezeichnet worden.
Demografischer Wandel
Sie ist jetzt seit dem Jahr 1985 im Unternehmen, hat hier ihren Beruf als Kauffrau für Bürokommunikation erlernt. Vor 22 Jahren wurde eine Stelle ausgeschrieben im Personalwesen, die Astrid Kramer gereizt hat. Sie wurde ausgewählt. Nach zwei Monaten auf ihrer neuen Stelle habe der Chef dann gefragt, ob sie denn auch den Job als Inklusionsbeauftragte – damals war das noch der Schwerbehindertenbeauftragte des Arbeitsgebers – des Unternehmens übernehmen könne. Kramer sagte zu. Auch wenn das Arbeitsaufkommen in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig gestiegen sei, habe sie ihre Entscheidung nie bereut. Gestiegen ist das Arbeitskommen vor allem, weil das Unternehmen ein dynamisches Wachstum hingelegt hat. Zudem mache sich aktuell der demografische Wandel bemerkbar, sagt Kramer. „Die Zahl der Menschen mit Schwerbehinderung ist deshalb auch bei uns stetig gestiegen.“
Die Quote liegt bei der B. Braun Melsungen AG bei über neun Prozent – der Gesetzgeber fordert lediglich fünf Prozent. Das bedeutet natürlich auch, dass die Vielzahl der Fälle bei Frau Kramer auf dem Schreibtisch landen. Aktuell ist sie noch die einzige Inklusionsbeauftragte für das Unternehmen am Standort Melsungen. Aber sie arbeite an einer Unterstützung, sagt sie.
Arbeitgeberpflicht
Die Inklusionsbeauftragten, so die Idee des Gesetzgebers, sind auf Arbeitgeberseite persönliche und kompetente Ansprechpersonen für die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat, den Personalrat oder die Mitarbeitervertretung. So soll sichergestellt werden, dass die Beschäftigten mit Schwerbehinderung auf Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite eine Ansprechperson haben, die sich mit den Fragenstellungen rund um Behinderung und Beruf auskennt.
Nach § 181 SGB IX ist jeder beschäftigungspflichtige Arbeitgeber verpflichtet, Inklusionsbeauftragte zu bestellen. In der Praxis wird diese Bestellpflicht allerdings noch kontrovers diskutiert: Einige Unternehmen machen die Installation der Inklusionsbeauftragten von der Betriebsgröße abhängig, andere von der Beschäftigung Schwerbehinderter. Wichtig ist aber zu wissen: Bestellt der Arbeitgeber keine Inklusionsbeauftragten, so nimmt er selbst alle mit dem Amt verbundenen Rechte und Pflichten wahr. „Ich muss darauf achten, dass die Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber den Schwerbehinderten und Gleichgestellten eingehalten werden“, beschreibt die Inklusionsbeauftragte der B. Braun Melsungen AG ihre Aufgaben. Dazu gehört vor allem viel Verwaltung: Kramer hält das IT-Entgeltsystem aktuell, wenn neue Fälle von Schwerbehinderung festgestellt werden. Dann gibt es beispielsweise fünf Tage Extraurlaub für Beschäftigte ab einem GdB von 50.
Daneben kümmert sich Astrid Kramer zusammen mit der Schwerbehindertenvertretung, kurz SBV, des Unternehmens um die ergonomische und behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze. Dazu beantragt die SBV Fördermittel zum Beispiel beim Integrationsamt – Kramer wickelt dann die internen Prozesse ab. „Ich arbeite in solchen Fällen immer eng mit der SBV und der Arbeitssicherheit zusammen“, sagt sie.
Arbeitgeber unterstützen ihr Engagement
Natürlich liege es auch in der Natur der Sache, sagt die Inklusionsbeauftragte, dass sich vor allem die Beschäftigten aus dem gewerblichen-technischen Bereich mit einem hohen Anteil an Schichtarbeit zunächst mit dem Betriebsrat und der SBV beraten. „Ich komme halt aus der Personalabteilung und bin vom Arbeitgeber bestellt“, sagt sie. Da seien die Beschäftigten per se erst einmal vorsichtiger. Aber sie sei jetzt seit 36 Jahren im Unternehmen, da genieße sie auch Vertrauen, weil man sich kennt. „Bei mir steht der Mensch im Vordergrund, und mit den Kolleginnen und Kollegen von der SBV funktioniert die Zusammenarbeit tadellos“, sagt Kramer.
Aber auch ihre Vorgesetzten haben ein großes Interesse daran, Arbeitsplätze ergonomisch und dann – bei Bedarf – auch behinderungsgerecht zu gestalten. „Unsere Mitarbeiter mit Sehbehinderung haben alle einen speziell angepassten Bildschirm, unsere Beschäftigen mit Hörbeeinträchtigung arbeiten mit Lichtsignalen. Es bringt ja dem Arbeitgeber nichts, wenn die Beschäftigten länger krank werden, weil das Arbeitsumfeld nicht passt“, sagt Kramer. Auch deshalb erfährt sie von der Seite ihrer Vorgesetzten große Unterstützung für ihre Arbeit.
Wir kooperieren sehr gut, reibungslos.
Barrierefreier Umbau der Unternehmenszentrale
Die Zusammenarbeit mit dem Integrationsamt in Kassel laufe tadellos, freut sich Kramer. Das habe man vor allen Dingen beim barrierefreien Umbau der Unternehmenszentrale festgestellt. Das alte Gebäude wurde komplett entkernt und dann wieder neu aufgebaut. Zusammen habe man sich mit dem Integrationsamt und der SBV die Pläne angeschaut und viele Ideen entwickelt. „Die Kooperation hat wunderbar geklappt“, sagt Kramer.
Das sieht auch Sandra Jaekel vom Integrationsamt in Kassel so. Jaekel ist seit zwei Jahren zuständig für den Schwalm-Eder-Kreis, zu dem auch Melsungen gehört. Für die Zusammenarbeit mit Astrid Kramer hat sie nur lobende Worte. „Wir kooperieren sehr gut, reibungslos“, sagt die Verwaltungswirtin. Neuen Inklusionsbeauftragten empfiehlt sie an Schulungen des Integrationsamtes teilzunehmen, die kurz und bündig in die Thematik einführen. „Ein persönliches Gespräch ist auch immer hilfreich, da kann man direkt im Vier-Augen-Gespräch erste wichtige Fragen klären“, sagt sie.
Integrationsfachdienst berät Arbeitgeber
Ab und an bespricht sich Astrid Kramer auch mit Malte Kummer vom Integrationsfachdienst, kurz IFD. Kummer hat sein Büro direkt vor Ort in Melsungen und betreut die B. Braun Melsungen AG seit 21 Jahren – da kenne und schätze man sich, sagt Kummer. Generell können sich Arbeitgeber, Personalverantwortliche und Inklusionsbeauftragte mit ihren Fragen direkt an den IFD wenden. Der IFD informiert, berät und unterstützt bei Fragen im Umgang mit Behinderungen und des behinderungsgerechten Einsatzes. Weitere Themen könnten sein: Begleitung von Maßnahmen zur betrieblichen Wiedereingliederung oder Fragen von Fördermöglichkeiten und Finanzierungshilfen. Unterstützen können die IFDs auch bei der Entwicklung und Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements, kurz BEM, oder bei der Erarbeitung von Inklusionsvereinbarungen.
„Meist sind die Menschen, die wir beraten, von einer Krankheit betroffen oder kehren nach längerer Krankheit wieder an den Arbeitsplatz zurück. Da kommt es dann zu sogenannten BEM-Verfahren“, erzählt der Leiter des IFD in Melsungen. Dazu arbeitet Kummer mit dem Gesundheitsmanagement des Familienunternehmens, die federführend die BEM-Verfahren durchführen, und der SBV zusammen. Astrid Kramer kommt dann ins Spiel, wenn begleitende Hilfen beantragt werden müssen. Aber auch Anträge auf Befreiung von Mehrarbeit gehen über den Tisch der Inklusionsbeauftragten.
Kollege erkrankt an ALS
Kramer arbeitet nach über 20 Jahren noch gerne als Inklusionsbeauftragte – auch weil sie etwas bewegen könne. Sie erinnert sich an einen Fall im Jahr 2015, in dem sie zusammen mit dem Betriebsrat, der SBV und dem Integrationsamt einen Arbeitsplatz behinderungsgerecht gestaltet hat. Der Angestellte war an ALS erkrankt, war auf dauerhafte Unterstützung angewiesen, wollte aber weiterarbeiten. „Er wollte sich von seiner Krankheit nicht einschränken lassen. Hat nur gesagt: Ich will ins Büro“, erzählt Kramer. Nachdem der Vorgesetzte keine Einwände hatte, habe man dies gemeinsam ermöglicht. Der Kollege habe noch einige Jahre effektiv arbeiten können, bevor er aufgrund seiner Krankheit in Rente gehen musste. „Aber diese Jahre haben ihm den Himmel auf Erden bereitet, sagte er mir“, erzählt die Inklusionsbeauftragte.
Weitere Informationen
Leider war es der ZB aufgrund der hohen Corona-Inzidenz nicht möglich, Frau Kramer und die Firma B. Braun persönlich zu besuchen, und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Fotos oder Bewegtbild mitzubringen. Die abgedruckten Bilder sind Datenbankmaterial.
Inklusion im Betrieb
Weitere Informationen zu Inklusionsbeauftragten der Arbeitgeber finden Sie unter bih.de/Inklusionsbeauftragte.