Barrierefreie Technik entscheidet
Dr. Petra Bungart ist seit 20 Jahren Familienrichterin am Amtsgericht Duisburg. Durch die fortschreitende Augenerkrankung Retinitis pigmentosa ist sie blind. Dies hindert sie nicht, dank Technik und Assistenz, ihren Traumjob mit Leidenschaft auszuführen.
Vom Praktikum zum Traumjob
Frau Dr. Petra Bungart hatte als Kind die gleichen bunten Traumjobvorstellungen wie andere Kinder. Sie träumte davon einen Reitstall zu führen, Pastorin zu werden oder Psychologie zu studieren. Aufgrund ihrer fortschreitenden Augenerkrankung Retinitis pigmentosa bekam sie den Tipp Jura zu studieren, da in diesem Bereich viele Menschen mit Sehbehinderung oder blinde Menschen tätig sind.
Um sich selbst von diesem Tipp zu überzeugen, machte sie als Abiturientin ein Praktikum bei einem blinden Familienrichter. „Das fand ich interessant und habe dann gedacht, ich fange mal an, Jura zu studieren und schaue, wie es geht“, so Frau Dr. Bungart zu ihrer ersten Erfahrung in ihrer heutigen Position.
Arbeitsalltag
Den Arbeitsalltag von Frau Dr. Bungart bestimmen das Lesen und Bearbeiten von Akten, sowie das Schreiben von Entscheidungen. Auf dem Schreibtisch der Familienrichterin landen dabei verschiedene Rechtsstreitigkeiten rund um den Komplex Familie - breit gefächert von Scheidung, über Pflegschaft bis Sorgerecht.
Unterstützung bei ihrer täglichen Arbeit bekommt die Richterin durch zwei Arbeitsassistentinnen und durch technische Hilfsmittel.
Ihre Assistenz sei dabei „der Nachteilsausgleich, um den fehlenden Sinn Sehen auszugleichen“, so Frau Dr. Bungart. Zusätzlich erleichtern viele technische Hilfsmittel das Arbeitsleben und machen das digitale Arbeiten erst möglich. Diese Kombination macht ihr Arbeiten barrierefrei.
Ohne Nachteilsausgleiche hätte ich keine Richterin werden können.
Technische Hilfsmittel
Die Technik von heute ermöglicht Frau Dr. Bungart ein nahezu barrierefreies Arbeiten. Sie bedient sich an technischer Ausstattung von „B“ wie Braillzeile bis „V“ für Vorlesende Textverarbeitungsprogramme. So kann sie sich auf ihre starken Sinne des Hörens und Tastens verlassen. In ihrer täglichen Arbeit liest der Computer den Akteninhalt vor, der digital durch gescannte Dokumente zur Verfügung steht. Darüber hinaus ergänzt eine Blindenschreibmaschine Frau Dr. Bungarts technische Ausstattung.
Neue Hürden meistern
In den vergangenen Monaten der Pandemie stand Frau Dr. Bungart vor neuen Herausforderungen. Die digitalen Schulungsprogramme und Videokonferenzen waren nicht barrierefrei, sodass eine Teilnahme nicht möglich war. Dank neuer unterstützender Technik ist auch diese Hürde Geschichte. Mithilfe von eines modernen Tablets und eines Smartphones sowie der dazugehörigen Software kann Frau Dr. Bungart die nötigen Programme nun barrierfrei nutzen.
Die Anschaffung dieser neuen Produkte lief über den Technischen Beratungsdienst des LVR-Inklusionsamtes.
Der Technische Beratungsdienst
Der Technische Beratungsdienst ist ein Fachdienst des LVR-Inklusionsamtes. Die beratenden Ingenieurinnen und Ingenieure des LVR haben breites Fachwissen im Bereich der Ergonomie und vielfältige Erfahrungen mit den Auswirkungen unterschiedlichster Behinderungen. Vor Ort beraten sie Arbeitgeber sowie Menschen mit Behinderungen in allen technischen und organisatorischen Fragen und entwickeln in Zusammenarbeit Lösungsvorschläge.
Klassischerweise gibt es zwei Möglichkeiten, die Unterstützung des Technisches Beratungsdienstes zu nutzen. Bei konkreten Vorstellungen ist es möglich, direkt ein Antrag einzureichen. Diesen Weg nutzte Frau Dr. Bungart zur Anschaffung der für sie nötigen Endgeräte. Ihr Antrag wurde geprüft, bewilligt und anschließend umgesetzt.
Zum anderen berät der Technische Beratungsdienst Unternehmen, die bereits Menschen mit Behinderungen beschäftigen sowie Betroffene, aber auch Unternehmen, die sich mit dem Gedanken beschäftigen und vor einer Einstellung stehen. Die Beratung ist direkt vor Ort oder telefonisch möglich und mündet sehr häufig in konkreten Anträgen und Projekten, sodass Menschen mit Behinderungen eingestellt werden können oder ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden können.
Das Angebot des Technischen Beratungsdienstes umfasst:
- Geeignete Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen finden
- Arbeitsplätze behinderungsgerecht gestalten
- Bei der Beschaffung und Handhabung von Hilfsmitteln unterstützten
- Im Kündigungsschutzverfahren die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung prüfen
Smartphones unterstützen
Smartphones bieten zahlreiche Funktionen, die bei fehlender Sehfähigkeit hilfreich sein können. Die meisten blinden Menschen benutzen das iPhone der Firma Apple, da hier zahlreiche Bedienungshilfen schon im Betriebssystem vorhanden sind. Aber auch andere Systeme, z.B. Android, werden in dieser Hinsicht stetig weiterentwickelt.
Die Funktion VoiceOver im iPhone liest den Bildschirminhalt oder Funktionen an der Stelle vor, wo sich der Finger befindet. Mit dem Sprachassistenten Siri kann das Gerät mittels Sprachbefehl bedient werden, z.B. so: „Hey, Siri, aktiviere VoiceOver“.
Für Menschen mit geringem Sehvermögen ist die virtuelle Lupe nützlich. Diese Bedienungshilfe verwandelt die iPhone-Kamera in eine Lupe. Der Text des iPhones kann vergrößert dargestellt werden. Vorinstallierte Apps wie Mail, Kalender und Nachrichten zeigen dann zwar weniger Inhalte an, diesen aber größer.
Ergänzend gibt es zahlreiche Apps zu Navigation, Audiodeskription, Farbenerkennung, die Menschen mit eingeschränktem oder fehlendem Sehvermögen den Alltag und das Arbeitsleben erleichtern.
Digital Kompass: iPhone als HilfsmittelImpressionen aus dem Arbeitsalltag von Frau Dr. Bungart
Kontakt
Dr. Friederike Orendi
Abteilung Technischer Beratungsdienst