Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Menschen mit Behinderung oder davon bedrohte Personen haben Anspruch auf Leis­tun­gen zur beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe. Der Begriff der Teilhabe ist im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geregelt und löst den Begriff der Ein­glie­de­rung ab.

Bei dem Begriff der Teilhabe handelt es sich um eine durch das SGB IX geschaffene Be­zeich­nung, die den im Schwerbehindertengesetz verwendeten Begriff der Eingliederung abgelöst hat. Nach § 1 SGB IX erhalten behinderte oder von Behinderung bedrohte Men­schen Leistungen nach dem SGB IX und den für die Rehabilitationsträger geltenden Vorschriften. Ziel ist es, ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden.

Förderung der Selbstbestimmung

Die Förderung der Selbstbestimmung durch die zu erbringenden Leistungen soll dazu bei­tra­gen, dass die betroffenen Menschen nicht als Adressat oder Objekt öffentlicher Ver­sor­gung und Fürsorge verstanden werden. Nach der politischen Zielsetzung des Ge­set­zes sollen vielmehr Autonomie und Selbstbestimmung als Alternative zur Fremd­be­stim­mung dazu beitragen, dass behinderte Menschen aktiv ihre Teilhabe mit­ge­stal­ten können.

Leistungen zur Teilhabe

Die Leistungen zur Teilhabe (§ 4 SGB IX) umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

  • die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu ver­hü­ten oder ihre Folgen zu mildern,
  • Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu über­win­den, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vor­zei­ti­gen Be­zug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende So­zi­al­leis­tun­gen zu mindern,
  • die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
  • die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Ge­sell­schaft sowie eine weitgehend selbstständige und selbstbestimmte Le­bens­füh­rung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Leistungsgruppen (§ 5 SGB IX)

Die Leistungen zur Teilhabe werden erbracht als:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§§ 42–48 SGB IX): zum Beispiel Kran­ken­be­hand­lung und Rehabilitation, stufenweise Wiedereingliederung, Förderung der Selbst­hil­fe, Früherkennung und Frühförderung sowie Hilfsmittel.
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 49–63 SGB IX): zum Beispiel Leistungen zur Erhaltung und Erlangung eines Arbeitsplatzes (einschließlich Beratung, Ar­beits­ver­mitt­lung, Trainingsmaßnahmen, Mobilitätshilfen), Mobilitätsförderung, Berufsvorbereitung, berufliche An­pas­sung und Weiterbildung, berufliche Ausbildung, Leistungen an Arbeitgeber, berufliche Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tun­gen, Leistungen in Werk­stät­ten für Menschen mit Be­hin­de­rung (WfbM), Budget für Arbeit. Die Teilhabe am Ar­beits­le­ben ist zugleich ein wichtiger Be­stand­teil der sozialen Integration.
  • Unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen (§§ 64–74 SGB IX): zum Beispiel er­gän­zen­de Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Ar­beits­le­ben, Leistungen zum Lebensunterhalt, Reisekosten, Haushalts- oder Be­triebs­hil­fe und Kinderbetreuungskosten.
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung
  • Leistungen zur sozialen Teilhabe (§§ 76–84 SGB IX): zum Beispiel Hilfsmittel, heil­päd­ago­gi­sche Leistungen für Kinder, Hilfen zum Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten, För­de­rung der Verständigung mit der Umwelt (zum Beispiel Ge­bär­den­spra­che), Hilfen bei der Beschaffung und Ausstattung einer Wohnung (Woh­nungs­hil­fen), Hilfen zu selbst­be­stimm­tem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten, Hilfen zur Teilhabe am ge­mein­schaft­li­chen und kulturellen Leben.

Besondere Regelungen zur Teilhabe von Menschen mit Schwerbehinderung (Teil 3 SGB IX)

Das Schwerbehindertenrecht enthält unter anderem die Regelungen über die Begleitende Hil­fe im Ar­beits­le­ben. Die Begleitende Hilfe wird durch die Integrationsämter erbracht, soweit kein vorrangig verpflichteter Rehabilitationsträger zuständig ist. Die besonderen Leistungen der Integrationsämter müssen mit den Leistungen der Rehabilitationsträger eng verzahnt er­bracht werden.

Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers

Für die Leistungen zur Teilhabe kommen oft verschiedene Rehabilitationsträger in Betracht. Die Vorschriften zur Zuständigkeitsklärung (§§ 14–16 SGB IX) sollen verhindern, dass Un­klar­hei­ten über die Zuständigkeit zulasten des behinderten Menschen gehen.

Grundsätze

Durch verschiedene Bestimmungen im SGB IX sind die Grundsätze für die Praxis der Re­ha­bi­li­ta­ti­on definiert, zum Beispiel:

  • Vorrang der Prävention (§ 3 SGB IX): Die Rehabilitationsträger wirken darauf hin, dass der Eintritt einer Behinderung einschließlich einer chronischen Krankheit vermieden wird.
  • Vorrang von Leistungen zur Teilhabe (§ 9 Absatz 2 SGB IX): Die Leistungen zur Teil­ha­be haben Vorrang vor Rentenleistungen (zum Beispiel wegen Er­werbs­min­de­rung), die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen wären („Rehabilitation vor Rente“).
  • Vorrang der Menschen mit Schwerbehinderung (§ 205 SGB IX): Verpflichtungen zur bevorzugten Einstellung und Beschäftigung bestimmter Personengruppen nach an­de­ren Gesetzen entbinden den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung zur Be­schäf­ti­gung von Menschen mit Schwerbehinderung (vergleiche Beschäftigungspflicht).
  • Einheitlicher Träger (§ 4 Absatz 2 SGB IX): Die Rehabilitationsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Ein­zel­fal­les so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines an­de­ren Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
  • Koordinierung der Leistungen (§ 14 SGB IX): Wenn Leistungen mehrerer Leis­tungs­grup­pen oder mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind, ist der zuständige Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­trä­ger (nach § 15 SGB IX, Zuständigkeitsklärung) dafür verantwortlich, dass die beteiligten Träger – in Abstimmung mit dem Leis­tungs­be­rech­tig­ten – die erforderlichen Leistungen so zusammenstellen, dass sie nahtlos ineinandergreifen. Hierzu müssen die voraussichtlich erforderlichen Leistungen funk­ti­ons­be­zo­gen festgestellt und schriftlich zu­sam­men­ge­stellt werden. Diese Leis­tun­gen sollen eine umfassende Teilhabe zügig, wirksam, wirtschaftlich und auf Dauer ermöglichen.
  • Sicherung der Erwerbsfähigkeit (§ 10 SGB IX): Mit der Einleitung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation, während ihrer Durchführung oder nach ihrem Abschluss ist zu prüfen, ob durch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die Er­werbs­fä­hig­keit des Leistungsempfängers erhalten, gebessert oder wie­der­her­ge­stellt werden kann. Gleiches gilt, wenn während der Leistungen zur medizinischen Re­ha­bi­li­ta­ti­on erkennbar wird, dass der bisherige Arbeitsplatz des Betroffenen gefährdet ist. Bei der ent­spre­chen­den Prüfung ist zur Klärung des Hilfebedarfs – neben der Agentur für Arbeit – auch das Integrationsamt zu beteiligen (§ 10 Absatz 3 SGB IX).
  • Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger (§ 25 SGB IX): Die Träger sind verpflichtet, so zusammenzuarbeiten, dass die Leistungen nahtlos, zügig und nach einheitlichen Stan­dards erbracht, dass Abgrenzungsfragen einvernehmlich geklärt werden, dass die Beratung gewährleistet ist, die Begutachtungen nach einheitlichen Grundsätzen durchgeführt werden und die Prävention geleistet wird. Hierzu sollen die Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­trä­ger und ihre Verbände regionale Arbeitsgemeinschaften bilden. Dem dient auch der Teilhabeplan (§ 19 SGB IX) und die Teilhabeplankonferenz (§ 20 SGB IX).
  • Ausführung von Leistungen: Die Leistungen zur Teilhabe können durch den zuständigen Rehabilitationsträger allein oder gemeinsam mit anderen Leis­tungs­trä­gern, durch andere Leistungsträger, durch Inanspruchnahme von Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­diens­ten und Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­ein­rich­tun­gen oder durch ein Persönliches Budget des Leis­tungs­berechtigten ausgeführt werden (§ 29 Absatz 1 SGB IX).
  • Gemeinsame Empfehlungen (§ 26 SGB IX): Die Rehabilitationsträger vereinbaren ge­mein­sa­me Empfehlungen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leis­tun­gen, insbesondere zur barrierefreien Leistungserbringung.

Rechte und Pflichten

Die Rechte des Leistungsberechtigten werden durch das SGB IX gestärkt, zugleich besteht eine Mitwirkungspflicht.

  • Wunsch- und Wahlrecht (§ 8 SGB IX): Die berechtigten Wünsche des Leis­tungsberechtigten sind bei der Entscheidung über Leistungen und ihre Ausführung zu be­rück­sich­ti­gen. Sachleistungen können – in Form eines Budgets – auch als Geld­leis­tun­gen erbracht werden. Leistungen zur Teilhabe bedürfen der Zustimmung des Leis­tungs­emp­fän­gers und sollen ihm möglichst viel Raum zu selbst­bestimm­ter Gestaltung der Lebensumstände bieten.
  • Die Mitwirkungspflicht des Leistungsberechtigten ist durch das SGB I So­zi­al­ge­setz­buch) grundsätzlich für alle Personen geregelt, die Sozialleistungen beantragen oder erhalten (vergleiche §§ 60–67 SGB I). Die Mitwirkungspflicht umfasst zum Beispiel die Angabe von Tatsachen, das persönliche Erscheinen beim Leistungsträger, die Teilnahme an ärztlichen und psychologischen Untersuchungen sowie die Teilnahme an notwendigen Heil­be­hand­lun­gen oder an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Rehabilitationseinrichtungen

Die Rehabilitationsträger haben zu gewährleisten, dass – fachlich und regional – eine er­for­der­li­che Zahl von Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen zur Verfügung steht (§ 36 Absatz 1 SGB IX).

Stand: 30.09.2022

Zum Fachlexikon