Außerordentliche Kündigung
Arbeitgeber können unter besonderen Umständen außerordentlich kündigen, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr länger zugemutet werden kann. Betrifft die Kündigung einen Menschen mit Schwerbehinderung muss die Zustimmung vom Integrationsamt eingeholt werden. Es gelten dabei Fristen.
Abweichend von dem Regelfall der ordentlichen Kündigung besteht beim Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund zu kündigen. Nach dem Gesetz werden als wichtiger Grund Tatsachen angesehen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 626 BGB).
Soziale Auslauffrist
Im Gegensatz zur ordentlichen Kündigung gelten für die außerordentliche Kündigung grundsätzlich also keine Kündigungsfristen, auch nicht die Mindestkündigungsfrist nach § 169 SGB IX. Sie wird daher auch als fristlose Kündigung bezeichnet. Das Arbeitsverhältnis endet also im Allgemeinen sofort mit dem Zugang der Kündigung beim Menschen mit Schwerbehinderung. Abweichend davon kann der Arbeitgeber aber erklären, dass das Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf einer „sozialen Auslauffrist“ enden soll. Sie kann der gesetzlichen, tariflichen oder vereinbarten Kündigungsfrist entsprechen. Ist der Arbeitnehmer aus tariflichen oder sonstigen Gründen nicht mehr ordentlich kündbar, so kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis dann außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist kündigen, wenn dem Arbeitgeber die Aufrechterhaltung eines sinnentleerten Arbeitsverhältnisses auf Dauer unzumutbar ist.
Kündigungsschutz
Auch für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Menschen mit Schwerbehinderung ist gemäß § 174 SGB IX beziehungsweise Kapitel 4 SGB IX Kündigungsschutz die vorherige Zustimmung durch das Integrationsamt erforderlich. Das Kündigungsschutzverfahren (siehe Grafik) richtet sich weitgehend nach den Vorschriften über die ordentliche Kündigung mit Ausnahme einiger der nachstehend genannten Besonderheiten.
Antragfrist
Der Arbeitgeber kann die Zustimmung zur Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen beantragen (§ 174 Absatz 2 Satz 1 SGB IX). Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber Kenntnis erlangt von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Dabei kommt es auf die Kenntnis der Person beim Arbeitgeber an, der im konkreten Fall das Recht zur Kündigung zusteht. Zu den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift gehört auch die Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft beziehungsweise von den Tatsachen, die den besonderen Kündigungsschutz nach dem SGB IX begründen. Hat der Arbeitgeber zum Beispiel gekündigt und erfährt er erst in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht von der Schwerbehinderteneigenschaft, dann beginnt erst zu diesem Zeitpunkt die genannte Antragsfrist. Noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist muss der Antrag bei dem Integrationsamt eingehen.
Entscheidungsfrist
Dem Interesse der Parteien (Arbeitgebers und des Menschen mit Schwerbehinderung) an einer raschen Klärung der Rechtslage bei der außerordentlichen Kündigung wird dadurch Rechnung getragen, dass das Integrationsamt die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung an zu treffen hat (§ 174 Absatz 3 Satz 1 SGB IX). Wird innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt (die sogenannte Fiktion der Zustimmung § 174 Absatz 3 Satz 2 SGB IX). Jedoch ist dadurch die Einlegung eines Rechtsmittels nicht ausgeschlossen. Vielmehr ist das Integrationsamt in diesen Fällen verpflichtet, den Beteiligten die als erteilt geltende Zustimmung schriftlich zu bestätigen; diese Bestätigung ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung für den Menschen mit Schwerbehinderung zu versehen. Zur Einhaltung der Frist genügt es, dass das Integrationsamt spätestens am letzten Tag der Zwei-Wochen-Frist die Entscheidung getroffen und dem Arbeitgeber bekannt gegeben hat. Die Entscheidung muss dem Arbeitgeber dabei nicht innerhalb der Frist schriftlich mitgeteilt oder zugestellt werden. Es reicht vielmehr jede Art der Bekanntgabe aus, auch mündlich oder telefonisch.
Feststellung des Sachverhalts
Wie bei der beabsichtigten ordentlichen Kündigung ist auch bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung die Feststellung des Sachverhalts ein wesentlicher Teil des Zustimmungsverfahrens.
Das Integrationsamt soll gemäß § 174 Absatz 4 SGB IX die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Das Ermessen ist also in diesem Fall eingeschränkt. Das Integrationsamt darf bei fehlendem Zusammenhang im Regelfall die Zustimmung nicht versagen, wenn kein besonderer sachlicher Grund ausnahmsweise eine andere Entscheidung rechtfertigt.
Bei fehlendem Zusammenhang darf das Integrationsamt insbesondere auch nicht prüfen, ob der festgestellte Kündigungsgrund ein „wichtiger Grund“ im Sinne des § 626 BGB ist, weil dies über den Schutzzweck des SGB IX hinausgehen würde. Hierüber entscheidet allein das Arbeitsgericht. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die vom Arbeitgeber herangezogenen Gründe tatsächlich oder rechtlich eine fristlose Kündigung offensichtlich nicht rechtfertigen. In diesem Fall ist die Zustimmung zur Kündigung zu versagen.
Ist ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung nicht gegeben und ist der der Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt streitig, ist es dem Integrationsamt bei fehlendem Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Schwerbehinderteneigenschaft verwehrt, eine Beweiserhebung durchzuführen. Es nimmt lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung vor. Die Beweiserhebung ist Sache des Arbeitsgerichts.
Das Ermessen des Integrationsamts ist dagegen nicht eingeschränkt, wenn es einen Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung feststellt. In diesem Fall trifft es wie bei der beantragten Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eine Entscheidung im Rahmen seines Ermessens nach § 168 SGB IX unter Abwägung der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers und des betroffenen Menschen mit Schwerbehinderung.
Es gibt keine absoluten Kündigungsgründe im Sinne von § 626 BGB. Ein wichtiger Grund ist vielmehr nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen, die zu dem Ergebnis führt, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist.
Es gibt auch Kündigungsgründe, die als wichtiger Grund nur für eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Betracht kommen, wenn eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, zum Beispiel die Betriebseinschränkung und Krankheit.
Bevor Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- und Verhaltensbereich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können, muss aus arbeitsrechtlicher Sicht grundsätzlich zunächst eine Abmahnung erfolgt sein. Etwas anderes gilt bei besonders schweren Verstößen, da der Arbeitnehmer hier von vornherein nicht damit rechnen kann, dass sein Verhalten gebilligt wird.
Vorbeugende Maßnahmen
Insgesamt ist es notwendig, dass das betriebliche Integrationsteam – insbesondere die Schwerbehindertenvertretung – frühzeitig tätig wird, um es erst gar nicht zu einem Kündigungsschutzverfahren kommen zu lassen. Der Arbeitgeber ist nach § 167 SGB IX bei Eintreten von Schwierigkeiten, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen können, verpflichtet, ein Präventionsverfahren durchzuführen. Dazu schaltet er möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten sowie alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können. Unter Umständen können die Schwierigkeiten schon durch eine erste Aussprache mit dem Menschen mit Schwerbehinderung beseitigt werden. In anderen Fällen können die Herauslösung aus der bisherigen Arbeitsumgebung, die Umsetzung auf einen anderen gleichwertigen Arbeitsplatz oder Maßnahmen der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben durch das Integrationsamt ein geeignetes Mittel sein, die Schwierigkeiten zu beseitigen. Bei wiederholtem Fehlverhalten kommt der Arbeitgeber nicht umhin, eine formelle Abmahnung auszusprechen. Wenn trotz aller Bemühungen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist, kann im Kündigungsschutzverfahren unter Umständen erreicht werden, dass anstelle der außerordentlichen Kündigung eine ordentliche Kündigung ausgesprochen oder ein Aufhebungsvertrag geschlossen wird.
Erklärungsfrist für die Kündigung
Wegen des vorgeschalteten Kündigungsschutzverfahrens beim Integrationsamt ist die Zwei-Wochen-Frist vielfach nicht einzuhalten. Deshalb bestimmt § 174 Absatz 5 SGB IX, dass die Kündigung auch nach Ablauf dieser Frist erfolgen kann, wenn sie unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt erklärt wird.
Bei Streik und Aussperrung
Schließlich ist noch die Sonderregelung des § 174 Absatz 6 SGB IX zu erwähnen, die nur noch geringe praktische Bedeutung hat. Danach sind Menschen mit Schwerbehinderung, denen lediglich aus Anlass eines Streiks oder einer Aussperrung fristlos gekündigt worden ist, nach Beendigung des Streiks oder einer Aussperrung wieder einzustellen. Die Vorschrift setzt ein entsprechendes Kündigungsrecht des Arbeitgebers voraus, das nach der heutigen Rechtsprechung nur noch bei rechtswidrigem Streik besteht.
Stand: 30.09.2022