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Ausserordentliche Kündigung

Verfasst: Freitag 24. Februar 2017, 12:13
von murebeil
Der Dienstherr möchte einen Kollegen, theoretisch unkündbar, betriebsbedingt ausserordentlich kündigen...

Wann ist das Integrationsamt einzuschalten?

Vor der Zustimmung durch den Personalrat, der Kenntnisnahme durch die Schwerbehindertenvertretung und Aushändigung der Kündigung an den Betroffenen?

Oder erst wenn die Zustimmung durch den Personalrat, die Kenntnisnahme durch die Schwerbehindertenvertretung und die Aushändigung der Kündigung an den Betroffenen bereits erfolgt ist?

Vielen Dank für eine Info dazu.

Schönes WE
BL

AW: Ausserordentliche Kündigung

Verfasst: Freitag 24. Februar 2017, 13:18
von albarracin_01
Hallo,

die Zustimmung des IA muß vor Ausspruch der Kündigung vorliegen, sonst ist die Kündigung rechtswidrig.

Die Beteiligung der SBV muß "rechtzeitig" erfolgen, idR schon bei Auftreten der Probleme. Seit 29.12.2016 ist eine Kündigung ohne Beteiligung/Anhörung der SBV ebenfalls rechtswidrig.

Die Beteiligung des BR muß ebenfalls vor Ausspruch der Kündigung erfolgen.

An eine "außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist" sind aber sehr hohe Anforderungen geknüpft. Diese sind nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig.

Für das zeitliche Verhältnis der jeweiligen Beteiligungen untereinander gibt es keine festgeschriebene Reihenfolge.

Hat denn der AG schon alle Präventionspflichten erfüllt ? Hat ggfs. eine Sozialauswahl stattgefunden ?

AW: Ausserordentliche Kündigung

Verfasst: Freitag 24. Februar 2017, 15:17
von valentin
Hallo,

vor allem MUSS der AG hier vorher auch den § 84 Abs. 1 SGB IX beachten und anwenden! Da der § 84 Abs. 1 SGB IX auch bei Schwerbehinderten die zwingende FRÜHZEITIGE Einbindung der SBV erfordert und die SBV hier damit gem. § 95.2 zu beteiligen ist, greift auch hier die Neuerung "seit 29.12.2016 ist eine Kündigung ohne Beteiligung/Anhörung der SBV ebenfalls rechtswidrig".

Folglich müsste die Missachtung des § 84, 1 SGB IX bei Schwerbehinderten die Kündigung rechtwidrig machen!

BTHG: Zeitpunkt der SBV-Anhörung bei Kündigung?

Verfasst: Dienstag 28. Februar 2017, 12:33
von albin.göbel
albarracin hat geschrieben:Für das zeitliche Verhältnis der jeweiligen Beteiligungen untereinander gibt es keine festgeschriebene Reihenfolge.
Ihre (pauschale) Aussage wird im neuen
Fachschrifttum überaus kritisch gesehen
(vgl. nur Bayreuther sowie Kleinebrink)

Das Schrifttum geht ganz überwiegend davon aus, dass die SBV nicht erst nach Abschluss des Zustimmungsverfahrens (bzw. eines Widerspruchsverfahrens oder gar verwaltungsgerichtlicher Verfahren) vom Arbeitgeber zu hören sei. Das wäre verspätet: Die Gegenmeinung übersieht hier offenbar u.a., dass SBV unverzüglich und nicht etwa später vom Arbeitgeber zu unterrichten und anzuhören ist - jedenfalls seit Einführung des SGB IX im Jahr 2001. Folglich gilt m.E. schon insoweit eine klar festgeschriebene Reihenfolge durch § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Ebenso ua. Düwell, LPK-SGB IX § 87 Rn 16, wonach ein ohne vorherige SBV-Anhörung vom Arbeitgeber eingereichter Zustimmungsantrag vom InA abzulehnen sei. Gegenmeinung?

Viele Grüße
Albin Göbel

AW: Ausserordentliche Kündigung

Verfasst: Dienstag 28. Februar 2017, 15:09
von albarracin_01
Guten Tag,
Gegenmeinung?
zumindest soweit, daß Düwell da nicht ganz stringent argumentiert. In der erwähnten Fundstelle (§ 87 Rn 16) weist er selber ja noch auf die Möglichkeit der Nachholung hin.

An einer anderen Stelle (§ 85 Rn 84) schreibt er, die Anhörung der SBV könne
"vor, während oder nach Durchführung des Zustimmungsverfahrens nach §§ 85 ff vorgenommen werden, muss aber jedenfalls vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen sein(...)."

(Wobei das nicht heißt, daß ich das für richtig halte, aber es findet sich nun mal auch im LPK)

BTHG: Zeitpunkt SBV-Anhörung bei Kündigung?

Verfasst: Mittwoch 1. März 2017, 13:51
von albin.göbel
albarracin hat geschrieben:Möglichkeit der Nachholung?
Kommentierung zu § 85 Rn. 84 zum alten Recht offenbar wohl rein versehentlich der neueren Kommentierung zu § 87 Rn. 16 m.w.N. nicht angepasst, soweit Aufsatz von Adl­hoch zitiert wird. Ebenso insoweit noch auf die alte Rechtslage zum früheren SchwbG abstellend und folglich durch die Rechtsänderungen gleichfalls obsolet: Gemeinschaftskommentar KR/Link, Vor §§ 85 bis 92 SGB IX, Rn. 44, unter Bezug auf Adlhoch, br 1983, 25-27, obwohl komplett überholt durch's SGB IX.

Die Rechtsprechung zu der Personalrats-Anhörung darf folglich insoweit keinesfalls (mehr) für die Anhörung der SBV analog herangezogen werden nach SGB IX und BGB-Legaldefinition (APS/Vossen, 5. Aufl. 2017, § 87 SGB IX, Rn. 13, wonach der AG die SBV bereits vor der nach § 87 Abs. 1 SGB IX vorgeschrieben Einholung der Zustimmung des InA zur Kün­di­gung die SBV anzuhören habe; ebenso Griebeling, Hauck/Noftz, SGB IX, § 87 Rn. 5, und Dr. Klein in: NJW 12/2017, Seite 852 - 856, wonach Nachholung der SBV-Beteiligung nach Stellung des Zustimmungsantrags beim InA nicht zur Heilung der ursprünglich unterbliebenen oder zunächst fehlerhaften Beteiligung führe. Ebenso Handbuch zum BTHG, Düwell/Beyer, Das neue Recht für be­hin­der­te Be­schäf­ti­gte, Seite 77 Rn 122.

Ebenso Dr. Laura Schmitt, BB 2017, Seite 2293, 2298/2299, wonach mit Blick auf die kongruenten Normzwecke und den inneren Zusammenhang der §§ 85 und 95 Abs. 2 SGB IX zwingend vom Arbeitgeber die Stellungnahme der SBV vor einer An­trag­stel­lung beim InA einzuholen sei. Das InA dürfe seine Zu­stim­mung nicht erteilen, wenn der Arbeitgeber diese Vorschrift missachte. Die SBV sei unverzüglich zu unterrichten. Das Anhörungsverfahren müsse vor Einreichung des Zu­stim­mungs­an­trags nach §§ 85 ff. SGB IX ab­ge­schlos­sen sein; ferner Esser/Isenhardt, jurisPK-SGB IX, § 178 Rn. 26;

:idea: a.A. bzw. einschränkend BIH, 2017, wonach die SBV "unverzüglich" und um­fas­send über die beabsichtigte Kün­di­gung zu unterrichten sei nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Die erste Information der SBV durch den AG müsse daher "spätestens mit dem Antrag auf Zu­stim­mung zur Kün­di­gung beim Integrationsamt erfolgen".

Viele Grüße
Albin Göbel

Zum Um­fang­­ der Beteiligung einer SBV bei beabsichtigter Kündigung

Verfasst: Mittwoch 10. Oktober 2018, 15:10
von albin.göbel
Hallo zusammen, ­ vergl. zu einer ord­nungs­ge­mä­ßen­ Beteiligung der SBV:

ArbG Darmstadt, Urteil vom 14.11.2017, 9 Ca 249/17, mit Diskussion v. Mai 2018; ferner Krämer, FKS-SGB IX, § 180 Rn. 8 (Konzern-SBV)

ArbG Hagen, ­ Urteil vom ­ 06.03.2018, 5 Ca 1902/17, anhängig LAG Hamm, 15 Sa 426/18, mit ­ Anmerkung von Prof. Düwell, jurisPR-ArbR 34/2018 Anm. 1, sowie von Prof. Dr. Kohte/Liebsch, Beitrag B4-2018, auf reha-recht.de (Änderungskündigung)

• Ebenso LAG Sachsen vom 08.06.2018, ­ 5 Sa 458/17, ­ anhängigBAG, ­ 2 AZR 278/18 mit Anmerkung (verspätete SBV-Beteiligung)

ArbG Hamburg vom 12.06.2018, 21 Ca 455/17, sowie Anmerkung Dr. Sachadae, jurisPR-ArbR 41/2018 Anm. 3, und Prof. Dr. Kohte/Liebsch, Beitrag B5-2018, auf reha-recht zum ­ Um­fang­­ der Beteiligung einer SBV laut § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, mit zahlreichen Nachweisen; ebenso Dr. Michael Karpf, br 2/2017, S. 30 / 32 (Probezeit-Kündigung in der Wartezeit)

VG Hannover, ­ Beschl. vom 15.08.2018, 3 A 4018/17 zur Nichtanhörung durch das InA nach § 87 Abs. 2 SGB IX a.F. ( fiktive Zustimmung des Integrationsamts)

Viele Grüße
Albin Göbel

Re: Ausserordentliche Kündigung

Verfasst: Donnerstag 11. Oktober 2018, 14:22
von albarracin_01
Guten Tag Zusammen,

Düwell (in LPK-SGB IX, § 178 Rn 60 - 5. Aufl. 2018) hat sich ja mittlerweile auch korrigiert. Dabei bezieht er sich im Besonderen auf ArbG Hagen v. 6.3.2018 - 5 Ca 1902/17. Zum Zeitpunkt der Beteiligung schrteibt er:
"Hat der Arbeitgeber den Antrag auf Zustimmung schon gestellt, so hat er seine Willensbildung erkennbar abgeschlossen und seinen Willen nach außen erkennbar manifestiert."