Tom hat geschrieben:Ist dies rechtens, was der AG vom Arbeitnehmer unterschrieben zurück verlangt? ("u.a. Krankheitsdiagnose, ärztliche Atteste")
MERKE Maßgeblich für's BEM sind evtl. tatsächliche Funktionseinschränkungen (bei der Arbeit), nicht aber die Diagnose einer Erkrankung. Schon deswegen sind Fragen nach "Diagnosen" in aller Regel völlig sinnfrei bzw. Zweckentfremdung.
Im BEM ist zwischen der Zustimmung und der
Einwilligung zu
differenzieren. Hier ein "Mischmasch" aus Zustimmung und Einwilligung(en), welche formularmäßig vorgelegt wird. Nach einer ersten Einschätzung, die natürlich eine Beratung im Einzelnen nie ersetzen kann und auch nicht soll, sind die ersten 5 der 9 Datenkategorien komplett unzulässig. Dieser Arbeitgeber verstößt damit gegen den Datenschutz bzw. dürfte sich bußgeldpflichtig machen. Er darf nicht einfach hier sein Fragerecht erweitern ("u.a. Krankheitsdiagnose, ärztl. Atteste"). Vgl. sinngemäß PM von Prof. Dr. Thomas Petri vom 15.07.2016 zum "Umgang mit Gesundheitsdaten" unter
www.datenschutz-bayern.de
Nochmals: Der Beschäftigte ist gegenüber dem Arbeitgeber weder zur Auskunft der "Diagnose" verpflichtet, noch muss er den Arzt von der Schweigepflicht entbinden für
➔"ärztliche Atteste" für seinen AG. Nur die Krankenkasse erhält vom behandelnden Arzt die
➔"Krankheitsdiagnose". Und die
➔"Fehlzeitenübersicht" könnte Hinweis sein, dass der Arbeitgeber das BEM nicht kapiert hat und ans
Fehlzeitengespräch denkt bzw. in ein solches umfunktionieren möchte, da für das BEM nicht nötig. Das hat jedoch mit den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes BEM, wie vom BAG formuliert, nichts zu tun!
Etikettenschwindel? Diese
pauschale bzw. höchst irreführend "etikettierte" Einwilligung ist unwirksam, muss nicht unterschrieben werden und ist dann gegebenenfalls im Kündigungsschutzprozess auch der beste Beweis dafür, dass es sich hier um kein ordnungsgemäßes BEM handelt. Wenn der Betroffene nicht unterschreibt, kann er natürlich auch nicht abgemahnt werden (Freiwilligkeitskonzept des BEM).
So schon
LAG Hessen vom 07.10.2003, 13/12 Sa 1479/02, wonach Arbeitnehmer bei einer ärztl. Krankschreibung weder gesetzlich verpflichtet sind, ihren AG über die Art der Erkrankung zu unterrichten, noch Krankenkasse oder Therapeuten oder Arzt pauschal von der Schweigepflicht zu entbinden. Daher sei eine Abmahnung unzulässig, wenn z.B. ein AN eines Automobilunternehmens einem solchen rechtswidrigen Ansinnen seiner Firma nicht nachkomme.
Tom hat geschrieben:BEM-Datenschutzerklärung
Das "kreativ" als
➔"Datenschutzerklärung" deklarierte Formular halte ich rechtlich für unzulässig. Es ist keine Einwilligung i.S.d.
§ 4a BDSG und verstößt auch gegen die Anforderungen aus der EU-Datenschutz-Grundverordnung. Es unterliegt auch der AGB-Kontrolle und benachteiligt die Beschäftigten überraschend. Die BEM-Berechtigten können die Konsequenzen ihrer Einwilligung nicht absehen. Da diese "Einwilligung" nicht von einer BV abgedeckt ist, halte ich sie auch aus diesem Grund für rechtlich unzulässig. Insofern braucht der AG seine Interessenvertretung für eine rechtmäßige BEM-Verfahrensordnung, und rechtlich sauber geht das nur mit einer BV. Nicht ersichtlich und intransparent ist, wo und wie denn die
➔"Dokumentationen" zu
verwahren sind und, worauf schon Hardy hinwies, wie damit umgegangen wird.
Bei jeder Kündigung könnte der BR nach § 102 BetrVG widersprechen. Konkret ist ein Widerspruchsgrund der Verstoß gegen den Datenschutz und die Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX.
Nachfrage: Werden denn die BEM-Berechtigten bei den BEM-Angeboten ordnungsgemäß
informiert i.S.d. § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX und auch darauf hingewiesen, warum und wozu beim BEM z.B. die Aufstellung über die beim AG angefallenen
➔"Entgeltfortzahlungskosten" benötigt werden? (
LAG Kiel, 22.09.2015, 1 Sa 48 a/15, Rn. 61/62). Bin auf weitere Meinungen bzw. auf evtl. Gegenansichten gespannt.
Hardy hat geschrieben:Lange Liste mit erfassten Daten.
Da hier ein umfängliches Formular mit immerhin neun Datenkategorien vom AG verwendet wird, ist es, wie der Name schon sagt, formalisiertes systematisches BEM, weil der Ablauf des BEM im BEM-Einzelfallmanagement offensichtlich
gleichförmig ist und die Einwilligung alle BEM-Betroffenen unterzeichnen müssen. Folglich offenkundige Verfahrensordnung, die
mitbestimmungspflichtig ist, wie schon von Matthias Günther klargestellt.
Ein Einzelfallmanagement hilft dem Arbeitgeber gar nichts, da er in jedem Einzelfall die Mitwirkung des BR bzw. der SBV benötigt. Der Betriebsrat kann eine Vereinbarung zur BEM-Verfahrensordnung erzwingen. Verfahrensgrundsätze sind mitbestimmungspflichtig. Der AG bestimmt nur allein bei der Umsetzung der jeweils gefundenen und vorgeschlagenen BEM-Maßnahmen im Einzelfall.
KONTEXTLINKS: BR/SBV
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AoB-Beschäftigtendatenschutz
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Kiesche: BEM-Fehlzeiten CuA 2008
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Kiesche: BEM-Datenschutz RDV 2014
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Kiesche: Gesundheitsdaten CuA 2015
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Kiesche: BEM-Mitbestimmung sis 2015
Viele Grüße
Albin Göbel