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Darf Arbeitgeber die Stufenweise Wiedereingliederung ablehnen?

Verfasst: Sonntag 5. August 2012, 18:30
von magdalena.mayer
Hallo zusammen,

der Arbeitgeber leht den vom behandelnden Facharzt eines Arbeitnehmers empfohlenen Wiedereingliederungsplan ab, obwohl die ärztlich empfohlene Wiedereingliederung vom BEM-Team sowie dem Betriebsarzt als geeignete BEM-Maßnahme unterstützt wird. Dazu sei er weder gesetzlich noch arbeitsvertraglich verpflichtet, so die Aussage des Arbeitgebers. Darf der Arbeitgeber die vom BEM-Team befürwortete Stufenweise Wiedereingliederung im Betrieb einfach ablehnen?

Viele Grüße

Magdalena Mayer

Darf Arbeitgeber die Stufenweise Wiedereingliederung ablehnen?

Verfasst: Dienstag 21. August 2012, 15:35
von albin.göbel
magdalena.mayer hat geschrieben:Darf der Arbeitgeber die Wiedereingliederung einfach ablehnen?
Hallo Frau Mayer,

nein, der Arbeitgeber darf eine fachärztlich verordnete Stufenweise Wiedereingliederung im Betrieb nicht nach Belieben ablehnen.

Der Arbeitnehmer hat vielmehr nach neuerer Rechtsprechung regelmäßig Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung egal, ob schwerbehindert, behindert, oder nichtbehindert (ebenso Düwell in LPK-SGB IX, § 84 Rn. 54 m.w. Nachweisen). Ein Anspruch besteht jedenfalls insoweit, als ein ordnungsgemäßer ärztlicher Wiedereingliederungsplan vorliegt und dem Arbeitgeber zumutbar. Arbeitgeber haben ansonsten u.U. im Verweigerungsfalle mit Schadensersatzansprüchen zu rechnen nach folgendem wegweisenden Urteil wegen "unzureichender Durchführung" des BEM.

Leitsatz: "Zu den gebotenen Maßnahmen des Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX gehört auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung. Die frühere Auffassung, dem Arbeitgeber stehe die Entscheidung hierüber frei, ist nach Einführung des § 84 SGB IX überholt. Im Weigerungsfall kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 280 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 84 Abs. 2 SGB IX in Betracht."
LAG Hamm vom 04.07.2011, 8 Sa 726/11


NB: Ein solcher Plan ist nur schwer von Hausärzten aufstellbar, weil diesen die betrieblichen und sozialmedizinischen Kenntnisse oft fehlen. Sinnvoll wäre es, wenn alle Beschäftigten eine Kopie ihrer Gefährdungsbeurteilung hätten und diese ihren Ärzten vorlegen könnten. Trotz der Dokumentationspflicht des § 6 ArbSchG erscheint dies in Deutschland allerdings noch futuristisch zu sein (Prof. Kohte, WSI-Mitteilungen 7/2010, Seite 376/377).

Viele Grüße
Albin Göbel

Re: Darf Arbeitgeber die Stufenweise Wiedereingliederung ablehnen?

Verfasst: Samstag 8. April 2023, 14:56
von Bodo_S
Hallo,

ich habe da auch so meine Erfahrungen gemacht. Mein Dienstgeber hat zuletzt im September 2022 meine WE ohne Begründung abgelehnt. Dabei hat er den WE-Plan eigenmächtig korrigiert und die ärztlicherseits gemachten Einschränkungen durchgestrichen.

Eigentlich wäre ich nach Durchführung der WE seit 03.10.2022 wieder arbeitsfähig. Mein DG verweigert mir allerdings seither die Beschäftigung und insofern werde ich derzeit von der Arbeitsagentur unterstützt, bis meine Klage auf Rückkehr an meinen leidensgerechten Arbeitsplatz abgeschlossen ist.

Kann das hier noch jemand toppen? :)


Viele Grüße
Bodo

Darf Arbeitgeber die Stufenweise Wiedereingliederung ablehnen?

Verfasst: Dienstag 11. April 2023, 14:44
von magdalena.mayer
Bodo_S hat geschrieben: Samstag 8. April 2023, 14:56 Mein Dienstgeber hat zuletzt im September 2022 meine WE ohne Begründung abgelehnt.
Siehe dazu auch Hinweis der Kassenärztlichen Bundes­ver­eini­gung »Muster 20: Wiedereingliederungsplan« wie folgt: „Abweichend davon gilt für schwerbehinderte Beschäftigte ein Rechtsanspruch auf stufenweise Wiedereingliederung gemäß § 81 Absatz 4 SGB IX [§ 164 SGB IX n.F. ab 2018] Bundesarbeitsgericht vom 13.06.2006 - 9 AZR 229/05“.

Nächste Woche befindet der Bundestag darüber, ob ein solcher Anspruch explizit ins Gesetz geschrieben wird - wie_von mehreren Experten / Sachverständigen sowie Verbänden „nach­drücklich“ angeregt: Offenbar besteht auch_da Uneinigkeit im Kabinett und in der Ampel

Unabhängig davon besteht grds. ein „Recht“ auf die StW nach Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales vom 27. März 2023: „Es besteht schon eine Verpflichtung, juristisch nennt man das Obliegenheit, von daher gibt es schon eine Obliegenheit, man braucht keine neue Pflicht.“ (Prof. Düwell, Video ab 01:03:10 – optional mit_Untertitel, und Wortprotokoll der Anhörung, Seite 15)