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Doppelmandat - selbstbestimmte Rollenwahl?

Verfasst: Montag 23. März 2015, 16:25
von Rheinecke-Fuchs
Situation: Doppelmandat SBV und PR-Mitglied, 5 SBV-Stellvertreterinnen
Frage: Kann ich (die Vertrauensperson) selbst entscheiden, welche der beiden Mandatsfunktionen ich in einer PersonalRats-Sitzung wahrnehme? D.h. kann ich einen Stellvertreter zur PR-Sitzung mitnehmen (bzw. einladen lassen), wenn ich "nur" als PR-Mitglied teilnehmen will?
Zusatzfrage: "Verdirbt" ein anwesender SBV-Stellvertreter die Nicht-Öffentlichkeit einer PR-Sitzung, obwohl er genauso der Schweigepflicht unterliegt?

AW: Doppelmandat - selbstbestimmte Rollenwahl?

Verfasst: Montag 23. März 2015, 19:53
von albin.göbel
Situation: Doppelmandat SBV und PR-Mitglied, 5 SBV-Stellvertreterinnen. Frage: Kann ich (die VP) selbst entscheiden, welche der beiden Man­dats­funktio­nen ich in einer PR-Sitzung wahrnehme?
Nein, das geht regelmäßig nicht nach der Rechtsprechung und Fachliteratur. Das muss der Dienstherr in aller Regel schon deswegen nicht akzeptieren, weil ja generell nicht erforderlich und weil grundsätzlich ohnehin kein Fall der Verhinderungsvertretung nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX angenommen werden kann. Wenn Personalunion wie hier besteht, werden in PR-Sitzungen in der Regel beide Ämter von Ihnen ausgeübt. Rechtspr. dazu: ArbG Frankfurt vom 20.03.2012, 5 BV 619/11, bestätigt durch das LAG Hessen vom 01.11.2012, 9 TaBV 156/12. Eine sog. Inkompatibilität zwi­schen den zwei Wahlämtern (Mandaten) besteht nicht, also keine rechtliche Interessenkollision. Soweit verbreitet früher in Foren und der Verwaltungspraxis pauschal eine Gegenansicht vertreten wurde, so steht dem klar die o.g. „Instanzenrechtsprechung“ von 2012 entgegen.

Zudem ist „zeitweilige Verhinderung“ eines PR-Mitglieds bekanntlich nicht identisch mit einer „Verhinderung durch Abwesenheit oder Wahrnehmung anderer Aufgaben“ der Vertrauensperson schon wegen dem klar abweichenden Gesetzeswortlaut in § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Es kann demnach sein, dass zeitweilige Verhinderung als PR z.B. wegen persönlicher individueller Betroffenheit iSd LPVG, aber keine Verhinderung als VP iSd § 94 SGB IX.

Etwas anderes könnte uU allenfalls gelten in Dienststellen mit regelmäßig mehr als 100 sbM bei Heranziehung der Stellvertretung durch die Vertrauensperson zu bestimmten SBV-Aufgaben gemäß § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu ihrer Entlastung. Das hat dann aber nichts mit Vertretung nach dem § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zu tun – und dies beträfe ohnehin nur einzelne Tagesordnungspunkte.

:idea: Zu weitgehend sowie falsch BIH-Fachlexikon – wonach Heranziehung bereits ab „mindestens 100“ sbM (statt „mehr als 100“ sbM) möglich sei. Vgl. hierzu Diskussion aus 2011 sowie Diskussion aus 2013. Richtig demnach:

ab 101 sbM → 1. Stellvertreter
ab 201 sbM → 2. Stellvertreter

NACHTRAG
Vgl. zuletzt auch OVG NRW, 24.07.2019, 6 A 696/17, Rn 18:
"Auch die unterschiedlichen Funktionen von Personalrat und Schwerbehindertenvertretung begründen in aller Regel keine Interessenkollision …“ Demnach insoweit übereinstimmende Ansicht der Arbeits- und Verwaltungsgerichtsbarkeit.
viewtopic.php?p=5724#p5724

LEITSATZ
„2. Zwischen Personalratsmitgliedschaft und Schwer­behin­der­ten­ver­tre­tung besteht keine Inkompatibilität.“


Viele Grüße
Albin Göbel