christawild hat geschrieben:Der derzeitige schwer behinderte Vertreter gibt mir keine Auskunft. Ich möchte kandidieren...und vor der Wahl mit den Wahlberechtigten Kontakt aufnehmen. Was kann ich unternehmen?
Aus der neueren Rechtsprechung wird abgeleitet, dass es SBV-Wahlbewerbern ermöglicht werden muss, auch Wahlkampf per E-Mail zu betreiben. Diese Rechtsprechung zu Werbe-E-Mails an betriebliche E-Mail-Adressen ist zwar nicht wörtlich, wohl aber sinngemäß auf SBV-Wahlen übertragbar. Bei demokratischen Wahlen mit gleichen Wettbewerbschancen wegen dem wahlrechtlich nach der Rechtsprechung zu beachtenden ungeschriebenen wesentlichen Grundsatz der Chancengleichheit der Bewerber muss folglich gewährleistet sein, dass sich diese den Wählern auch im Vorfeld der Wahl vorstellen können, etwa per E-Mail (vgl.
BAG vom 20.01.2009, 1 AZR 515/08).
Wahlwerbung ist zulässig. Sie ist ebenso wie die SBV-Wahl selbst als
"Bestandteil eines demokratischen Wahlverfahrens" geschützt. Die Chancengleichheit gebiete, dass
"jeder Wahlbewerber die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen" haben soll (vergl.
BAG vom 06.12.2000, 7 ABR 34/99 - Rn. 24/28). Eine bereits seit mehreren Wahlperioden praxisbewährte datenschutzkonforme Regelung ohne Wettbewerbsverzerrung, wie eine
"Wahlwerbung per E-Mail" im Einzelnen konkret umgesetzt werden kann bei einfacher und förmlicher Wahl, kann als PDF-Datei heruntergeladen werden unter
www.agsv.bayern.de
Die Wahl - und damit auch die geschützte
Wahlwerbung - wird durch
§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX (
Wahlschutz) in sinngemäßer Anwendung des
§ 20 BetrVG, des
§ 24 BPersVG oder
LPersVG geschützt.
Das BVerwG hat es 2007 als erheblichen Wahlrechtsverstoß eines Wahlvorstands angesehen, weil dieser die Wahlwerbung einer Bewerberin blockiert hat. Dadurch habe er ihr die Möglichkeit genommen, ihren Beitrag in gleicher Weise wie alle übrigen Kandidierenden unter den Wahlberechtigten zu verbreiten. Hierin liege eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung laut BVerwG.
Die Wahlberechtigten könnten
"sinnvoll nicht über Kandidatinnen abstimmen, die sie nicht kennen". Soweit einer der bisherige Amtsinhaber erneut kandidiere, folge das Recht auf Wahlwerbung für die Mitbewerber zudem aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, weil nur die bisherige Amtsinhaberin "durch ihre Arbeit Gelegenheit hatte, sich
allen Wahlberechtigten bekanntzumachen". Die Gleichbehandlung aller Kandidaten bei der Wahlwerbung sei zwingendes Recht (
BVerwG, Urteil vom 27.06.2007, 6 A 1.06, II.6.e/f, Rn. 38-42).
Förmliche Wahl: Eine besonders krasse bzw. elementare Wahlgrundsätze der Chancengleichheit, der Transparenz sowie der Neutralität des SBV-Wahlvorstands ignorierende grobe
Fehlentscheidung ist die des
ArbG Stuttgart vom 21.05.2003, 24 BV 255/02, die sogar den Wahlberechtigten bzw. den Wahlbewerbern den seit jeher verbürgten wahlrechtlichen Anspruch absprach, ungehindert Einsicht in die gesamte über 1.200 Personen umfassende Wählerliste zu nehmen, sondern lediglich einen äußerst
beschränkten Einblick in einen vom Wahlvorstand eigenmächtig bestimmten kleinen
Bruchteil im unteren Prozentbereich der Wählerliste zugestand. Eine solche im Ergebnis "parteiergreifende" Wahlkampfbeschränkung ist reine Willkür und hat mit demokratischer Wahl selbstverständlich nichts zu tun.
Entgegen dieser abwegigen Ansicht des ArbG Stuttgart ist es nicht hinnehmbar, dass nur die amtierenden Mandatsträger bzw. nur kandidierende Mitglieder des Wahlvorstands gegenüber Neubewerbern die Namen der Wahlberechtigten bzw. die umfänglichen (über 70 !!) Ergänzungen / Berichtigungen während der 6-wöchigen Auslegung der Wählerliste kennen und solche "Wissensvorsprünge" bei Wahlen "hinzunehmen" seien. Solche Privilegien für amtierende Amtsträger sind dem Wahlrecht fremd, da unterschiedliche Startbedingungen. Es ist das Recht von jedem Wahlbewerber zu wissen, von wem er Unterstützung bekommen kann.
Wenn ein von der SBV eingesetzter "parteilicher" Vorstand es nicht mal zulässt, dass sich die Wahlbewerber wenigstens so viele Namen von Wahlberechtigten bei der Einsicht in die Wählerliste notieren, wie für einen gültigen Wahlvorschlag zwingend benötigt werden laut Wahlausschreiben, also das absolut unerlässliche Minimum potentieller Unterstützer, dann verletzt er damit m.E. das gesetzliche Neutralitätsgebot und damit grob seine Amtspflichten.
Das ist meines Erachtens im Ergebnis eine vom ArbG Stuttgart nicht erkannte plumpe, systematische und rechtsmissbräuchliche sowie durch nichts zu rechtfertigende gezielte willkürliche
Wahlbehinderung von konkurrierenden Mitbewerbern mit
vorgeschobenem Datenschutz. Der Wahlvorstand hat hier ganz offensichtlich sein Amt objektiv missbraucht. Das ArbG Stuttgart hat hier
kläglich versagt. Wie soll z.B. ein "neuer" Bewerber wie hier für sechzig Stützunterschriften werben, wenn ihm dieser Wahlvorstand - entgegen seinem eigenen SBV-Wahlausschreiben - eine ungehinderte Einsicht in die Wählerliste verwehrt und Notizen der Namen von Wahlberechtigten vereitelt, die dieser für einen gültigen Wahlvorschlag benötigt laut Wahlausschreiben und Wahlordnung?
Wie soll zweitens jemand, der nur eine beschränkte statt vollständige Einsicht erhält, sein Einspruchsrecht ausüben, ohne jemals die komplette Wählerliste gesehen zu haben? Abgesehen davon bedarf es ohnehin keiner Begründung für vollständige statt beschränkter Einsicht nach der Wahlordnung entgegen ArbG Stuttgart.
Das ist zudem
widersprüchliches Verhalten des Vorstands. Bei einer derart beschränkten Einsicht ist es Kandidaten unmöglich selbst nachzuprüfen, (
1) wie viele Wahlberechtigte in der Wählerliste stehen und folglich nicht mal möglich nachzurechnen, (
2) ob die Zahl der Unterstützer für einen Wahlvorschlag vom Vorstand plausibel berechnet wurde. Denn im Wahlausschreiben steht das nicht. Das ist widersprüchliches Verhalten, also reine Willkür sowie Wahlbehinderung und Amtsmissbrauch, undemokratisch bzw. verfassungswidrig und natürlich völlig intransparent.
Das ist in aller Regel von vornherein unmöglich. Ich kenne jedenfalls niemand, der sich
60 Namen bei einem bloßen Einblick in die Liste der Wahlberechtigten einprägen und im Gedächtnis behalten könnte. Sich diese Namen alle zu merken ist jedenfalls regelmäßig unmöglich, von womöglich ganz wenigen Autisten mit evt. fotografischen Gedächtnis mal abgesehen. Und eine Schwerbehinderung oder gar eine Gleichstellung sieht man nun mal einem Beschäftigten regelmäßig nicht an. Die Namen von Wahlberechtigten sind folglich für eine Kandidatur
erforderlich.
Verdi weist zu Recht darauf hin, dass sich die Wahlbewerber aus der Wählerliste Namen
notieren dürfen, um zum Beispiel bei den Wahlberechtigten im Vorfeld um Stützunterschriften werben oder um bei
zweifelhafter Wahlberechtigung diese anschließend klären zu können wie folgt:
Verdi »Notizen können... gemacht werden«
Vergleiche zu auszugsweisen Notizen rechtsvergleichend z.B.
LArbG Hamburg, 07.08.1996, 4 TaBV 4/96, und
BAG vom 15.06.1976, 1 ABR 116/74. Ein Bewerber
benötigt die Namen von Wahlberechtigten, um sein passives Wahlrecht tatsächlich und nicht nur theoretisch auf dem Papier ausüben zu können. Er muss daher entgegen ArbG Stuttgart befugt sein, wenigstens
"Teile davon abzuschreiben", um ausreichend Stützunterschriften von sbM für einen gültigen Wahlvorschlag sammeln zu können. Das ist auch und vor allem eine Frage des zwar ungeschriebenen, aber wahlübergreifenden wesentlichen Wahlrechtsgrundsatzes der Chancengleichheit. Ein
gesetzlicher Wahlgrundsatz kann entgegen ArbG Stuttgart natürlich niemals mit bloßen wahlordnungsrechtlichen und damit sachfremden Erwägungen ausgehebelt werden, da WO ohnehin unter dem Gesetz stehend. Der Wahlvorstand hat diesen Wahlrechtsgrundsatz bei allen seinen Entscheidungen zu beachten. "Nach ihm soll jeder Wahlbewerber die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen haben."
.(
BAG vom 06.12.2000, Az.: 7 ABR 34/99 Rn. 29 für BR-Wahl).
Das
LAG Stuttgart hat daher diese durch und durch undemokratische SBV-Wahl für unwirksam erklärt mit Beschluss vom 27.01.2004, 8 TaBV 4/03. Die Chancengleichheit gehört zu den elementaren allg. wahlübergreifenden Grundsätzen einer demokratischen Wahl.
Umfrage: Von allg. Interesse wäre, von betroffenen Wahlbewerbern hier im Forum zu erfahren, ob und wie dieses wegweisende
Grundsatzurteil des BAG zur digitalen Werbung, mit der die groben Fehlurteile der Vorinstanzen aufgehoben wurden, andernorts umgesetzt wird, und welche Regelungsabreden bzw. Vorgaben es dazu in Betrieben / Dienststellen gibt.
Wer hatte ähnliche Probleme bei der Sammlung von Stützunterschriften und bei der Wahlwerbung? Wie wurden sie gelöst? Hat sich evtl. jemand damit bei Problemen an eine/m der Landesbeauftragten für den Datenschutz gewendet?
Dem Verbot der Wahlbehinderung oder sittenwidriger -beeinflussung steht das positive Recht von Bewerbern gegenüber, Wahlwerbung zu betreiben, um eine erfolgreiche Wahl zu sichern. Verhinderung der Wahlwerbung wäre ein Verstoß gegen das gesetzliche Behinderungsverbot (vgl. Prof. Dr. Peter
Wedde,
Wahlkampf in der Dienststelle zur PR-Wahl, ZfPR 1/2012, Seite 32-35).
Viele Grüße
Albin Göbel