eva.diezel hat geschrieben:Zwar wird dieser Fall der nachträglichen Anzeige nicht in § 4 Abs. 3 SchwbVWO geregelt, ich bin aber der Ansicht, dass es nur auf die Wahlberechtigung zum Zeitpunkt der Wahl ankommen kann… Sieht das jemand anders?
Sehe das im Ergebnis ganz genauso wie Sie. Dieser Fall wird aber m.E. entgegen Ihrer Ansicht "in § 4 Absatz 3 SchwbVWO geregelt" und von dieser Vorschrift ausdrücklich erfasst. Der Wahlvorstand muss in so offensichtlichen Fällen das Verzeichnis vervollständigen. Er hat hier keinen Ermessensspielraum trotz des (eher irreführenden) Wortes "kann" in § 4 Absatz 3 SchwbVWO, sondern eine unbedingte Verpflichtung zur Korrektur.
Gemäß
§ 4 SchwbVWO sind zwingend "
offenbare Unrichtigkeiten" bis zum Vortag der Wahl im Verzeichnis der Wahlberechtigten zu berichtigen. Als offenbar unrichtig dürfte ein Wählerverzeichnis jedenfalls dann anzusehen sein, wenn aufgrund eines dem Wahlvorstand vorgezeigten unbefristeten Schwerbehindertenausweises im Original ohne weiteres klar ersichtlich bzw. urkundlich zweifelsfrei belegt ist, dass jemand schwerbehindert und damit wahlberechtigter Beschäftigter ist. Mehr kann eine unvollständige Wählerliste ja kaum ersichtlicher und folglich offenbar unrichtig sein, wenn sich daran wie hier keinerlei vernünftige Zweifel an dem Wahlrecht des Kollegen aufdrängen. Die teils vertretene Gegenansicht, dass diese Konstellation vom Wortlaut nicht erfasst sei, teile ich nicht.
Offenbarungen nachträglich?
In dem Moment, in dem im Original ein gültiger Schwerbehindertenausweis vorgezeigt wird und der Wahlvorstand das Wahlrecht erkennt, wird das Wählerverzeichnis für ihn erkennbar offenkundig unvollständig und löst für den Wahlvorstand das wahlrechtliche Ergänzungsgebot (
!) aus nach § 4 Abs. 3 S. 2 SchwbVWO. Anlass dazu kann z.B. sein, wenn aufgrund der obligatorischen "Bekanntmachung der Bewerber" nach
§ 8 SchwbVWO sich ein schwerbehinderter Beschäftigter kurzfristig entschließt, sich zu offenbaren, um an der Wahl teilzunehmen zu können, weil einer der Bewerber sein besonders Vertrauen genießt. Oder schlicht aufgrund einer guten
Wahlwerbung, zu der die Bewerber ja nach der Rechtsprechung befugt sind. Oder zum Beispiel wegen allgemeinem "
Wahlaufruf", warum es
sich lohnt, an der Wahl der Schwerbehindertenvertretung teilzunehmen.
Dann besteht aus meiner Sicht, wenn die Wahlberechtigung sozusagen offen auf der Hand liegt und unzweifelhaft ist, keine Veranlassung, solche Wahlberechtigte nicht in das Wählerverzeichnis nachträglich aufzunehmen - ganz im Gegenteil: In derartigen Fällen ist der Wahlvorstand vielmehr gehalten, ein derart offenbar unvollständiges Wählerverzeichnis zu ergänzen und zwar
von Amts wegen. Die Berichtigungs- bzw. Ergänzungspflicht hängt insbesondere nicht davon ab, ob solche "verspäteten" Einwendungen nach Ablauf der Einspruchsfrist dem Wahlberechtigten zuzurechnen oder von ihm zu verantworten sind, da es auf ein Verschulden nach der Wahlordnung insoweit nicht ankommt. Gegenteilige Auffassungen, wonach bei verfristeten Einsprüchen die Berichtigung solcher ganz offensichtlicher Fehler generell ausgeschlossen oder gar unzulässig sei, sind nach herrschender Ansicht und laut ständiger Rspr. des BVerwG klar abzulehnen.
Die nicht näher begründete viel zu pauschale Einzelmeinung des ArbG Stuttgart vom 21.05.2003, 24 BV 255/02, wonach nur eine
"sehr eingeschränkte Berichtigungs- oder Ergänzungsmöglichkeit" bestehe, ist folglich strikt abzulehnen. Siehe hierzu auch
Diskussion von 2016 zur Aktualisierung der Wählerliste (Zugänge, Abgänge usw). Würde dennoch nicht aktualisiert, wäre dies ggf. Vereitelung des gesetzlichen Wahlrechts nach § 94 Abs. 2 SGB IX - entgegen einzelnen Fehlentscheidungen der arbeitsgerichtlichen Instanzenrechtsprechung.
Betroffene haben allerdings, wenn die Einspruchsfrist bereits abgelaufen ist bzw. der Einspruch nicht schriftlich erfolgte, wahlrechtlich keinen Anspruch aus
§ 4 Abs. 2 Satz 3 SchwbVWO, dass ihnen der Wahlvorstand seine Entscheidung "unverzüglich" mitteilt . Ein verständiger bzw. umsichtiger Wahlvorstand wird bei solchen Einwendungen gleichwohl zeitnah seine Entscheidung mitteilen schon wegen der Transparenz seiner Maßnahmen.
NB: Bliebe er hingegen untätig, wären die Wahlen u.U. anfechtbar, soweit relevant für das Wahlergebnis, also bei Stimmengleichheit oder bei einem Unterschied von nur einer Stimme. Maßnahmen des Wahlvorstands können vor Abschluss der Wahlen selbständig, ggf. im Wege der einstweiligen Verfügung, angegriffen oder erzwungen werden. Beispielsweise kann das ArbG bei Entscheidungen über die Wahlberechtigung angerufen werden. Antragsberechtigt ist jeder Einzelne, der durch die Einzelmaßnahme des Wahlvorstands in seinem aktiven Wahlrecht betroffen wird. Im Gegensatz zur Wahlanfechtung müssen es nach der Rechtsprechung nicht mindestens drei Wahlberechtigte sein
(
BAG vom 15.12.1972, 1 ABR 8/72).
Viele Grüße
Albin Göbel