Frank hat geschrieben: Nach dem SGB IX gibt es aber für mich keinen Unterschied, oder?
Verwaltungsgericht Ansbach
JA – das ist absolut richtig, da gibt es keinen relevanten Unterschied: Denn der Beschluss des
VG Ansbach vom 19.04.2005 - AN 7 P 04.00739, (rkr.) ist wg. vergleichbarer Interessenlage gleichermaßen auch auf die konstituierende Sitzung des Betriebsrats übertragbar. Der Vorsitzende des Wahlvorstands für die Betriebsratswahl muss daher die SBV zur konstituierenden Sitzung des Betriebsrats einladen. Das gilt auch für konstituierende Betriebsratssitzung lt. BetrVG § 29 (
Bund-Digital, BetrVG, § 29 Rn 14); Prof.
Düwell, HaKo-BetrVG, § 32 Rn. 47; Dr.
Wolmerath,, in HaKo-BetrVG § 29 Rn. 7; Prof. Dr.
Wedde in DKW BetrVG § 32 Rn. 4 und § 29 Rn.10.
Demnach ist auch der Wahlleiter nicht befugt, die SBV von der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats eigenmächtig auszuschließen. Das steht dem Wahlleiter nicht zu. So sieht das auch
BIH 2006 und
DBB 9/2017 und
hier. Ebenso auch
BIH-Fachlexikon, Stichwort SBV, Abschnitt Teilnahmerecht: „Das
Teilnahmerecht gilt nicht nur für Sitzungen, in denen Fragen behandelt werden sollen, die schwerbehinderte Menschen betreffen. Die Schwerbehindertenvertretung ist deshalb unter Mitteilung der Tagesordnung zu allen Sitzungen einzuladen.“ Vergl. auch Altvater/Kröll, BPersVG, § 34 Rdnr. 4 sowie
Diskussion von 2014 m.w.N. Ebenso
Verdi zur konstituierenden Sitzung des Personalrats: „Teilnahmeberechtigt an dieser Sitzung sind auch die Schwerbehindertenvertretung...“ Ebenso
Rooschüz/Amend/Killinger, LPVG BW, § 34 Rn. 2. Ebenso auch
Rothländer in von Roetteken/ Rothländer, HPVG, § 37 Rn. 28: „Voraussetzung ist lediglich, dass es sich um eine Sitzung im gesetzlichen Sinne handelt. Dazu gehört auch die sogen. „konstituierende Sitzung“ (§ 31 Abs. 1; Kröll in Altvater u.a. § 40 BPersVG Rn. 6d; Faber in Lorenzen u. a. § 40 BPersVG, Rn. 13; zum Sitzungsbegriff: Rn. 3; § 31 Rn. 16, 31 ff.)“ Das gilt unabhängig davon, ob in konstituierender Sitzung gewählt wird oder auch später bei evtl. Nachwahlen einzelner Mitglieder des Vorstandes des Personalrats. Ferner
Birkenfeld/ Schröder/ Theis, PersVG LSA online, § 32 Rn. 2
Haufe Personal Office Platin
Ebenso
Heise, in:
Haufe, Die Schwerbehindertenvertretung: Rechtsstellung der Vertrauensperson, 4.3 Rechte gegenüber dem Betriebsrat: “Eingeschlossen ist auch das Recht, an der konstituierenden Sitzung von Betriebs- oder Personalrat teilzunehmen. Auch wenn auf dieser Sitzung nur der Vorsitzende gewählt wird, gibt es keine Gründe dafür, dass entgegen dem Wortlaut
§ 178 Absatz 4 Satz 1 SGB IX einschränkend auszulegen wäre.“
Beauftragter der Bundesregierung 2004
So sah das laut VG Ansbach, 19.04.2005, AN 7 P 04.00739, gleichfalls der angehörte
Beauftragte der Bundesregierung:
„Auf ein beigefügtes Schreiben des Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen und der Regierung von Mittelfranken - Integrationsamt -, die ebenfalls von einem Teilnahmerecht in der konstituierenden Sitzung ausgehen, wird Bezug genommen ... Außerdem habe auch der Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen mit Schreiben vom 19. April 2004 mitgeteilt, dass nach
§ 40 Abs. 1 BPersVG, § 95 Abs.4 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung das Recht habe, an allen Sitzungen des Personalrates teilzunehmen und dies auch die konstituierende Sitzung umfasse.“
Landesrecht?
Die abweichende Fehlentscheidung des
VGH Bayern vom 31.07.1996 - 17 P 96.1403, ist daher strikt abzulehnen laut h.M. und lt. Ansicht des Beauftragten der Bundesregierung sowie den Gesetzesmaterialien zu
§ 95 Abs. 4 SGB IX a.F. bzw. zum Schwerbehindertengesetz (SchwbG) im letzten Jahrhundert. Diese Einzelentscheidung aus den 90-er Jahren, die ausschließlich landesrechtlich statt bundesrechtlich argumentiert, ist schon deshalb im Ansatz verfehlt und als Fehlentscheidung abzulehnen. Eine an dem Wortlaut des BayPVG orientierte Auslegung ist auf bundesrechtliche Regelungen nicht übertragbar. Das gilt umso mehr, als eine „landesrechtliche Regelung – und sei es auch nur mittelbar im Wege einer Auslegung – nicht eine zwingende bundesrechtliche Norm unterlaufen kann“ (vgl. sinngemäß auch Prof. Dr.
Knittel, SGB IX professionell, § 95 Rn. 56a). Für eine teleologische Reduktion spricht kein sachlicher Grund: Weder ist eine Regelungslücke erkennbar, noch führt die Anwendung des klaren Wortlauts des geltenden Rechts zu Ergebnissen, die nicht vertretbar wären oder einer Intention des Bundesgesetzgebers zuwider laufen könnten.
Der VGH unterstellte, der bayerische Landesgesetzgeber habe für seine personalvertretungsrechtliche Einräumung des Stimmrechts eine das Teilnahmerecht einschränkende Regelungsabsicht verfolgt. Das erscheint mir eher als eine „Kaffeesatzleserei“. Selbst wenn der Landesgesetzgeber diese Absicht gehabt hätte, wäre sie für die Auslegung des Bundesgesetzes (damals
SchwbG, danach SGB IX 2001) völlig irrelevant nach den gängigen Auslegungsmethoden. Eine Beschränkung des Teilnahme- und Beratungsrechts nur
_auf solche Sitzungen, bei denen Angelegenheiten der sbM auf der Tagesordnung stehen, sieht das Gesetz nicht vor. Zwar wurden derartige Überlegungen mal im Zuge der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes in den 80er Jahren erwogen. Diese wurden aber schon damals fallengelassen aus wohlerwogenen Gründen (
Adlhoch, Behindertenrecht, br 2007, Seite 104)
Diesem steht jedoch nicht der Beschluss des
ArbG Mainz, 12.02.2015, 3 BV 73/13 (nicht rkr.) entgegen. Denn anders als in
Rheinland-Pfalz wird die Wahl des PR-Vorsitzenden bekanntlich in anderen
Bundesländern wie Bay. (
BayPVG) sowie in Bundesbehörden
(BPersVG) eben nicht durch den Vorsitzenden des Wahlvorstands geleitet, sondern vielmehr von der Wahlleitung, die vom Personalrat selbst aus seiner Mitte bestimmt wird. Auch ist SBV natürlich (insoweit) nicht als
_“Dritte“ anzusehen, wie vom ArbG Mainz unterstellt. In der Berufungsinstanz hat das LAG Rheinland-Pfalz nicht in der Sache entschieden, und dazu auch keinerlei Hinweise (obiter dictum) gegeben.
Viele Grüße
Albin Göbel