Hallo zusammen,
folgende Situation.
Eine langjährige Mitarbeiterin, in deren Arbeitsvertrag steht, dass Überstunden in angemessenem Maße zu leisten sind und mit dem Gehalt abgegolten sind, befindet sich im BEM, da sich Ihre Erkrankung zusehends verschlimmert (aktuell GdB 50, Nervenkrankheit).
Da sich Ihre Erkrankung verschlimmert, und sie dadurch eine steigende Zahl an Krankheitstagen hatte, kam es zum BEM. Dort sucht man nun gemeinsam nach Möglichkeiten die Situation zu verbessern und die Zahl ihrer Krankheitstage künftig nach Möglichkeit zu verringern.
Sie hat mehr als 500 Überstunden geleistet, deren Abbau ihr aber, zum Einen, weil im Arbeitsvertrag steht, dass "Überstunden in angemessenem Maße zu leisten sind und mit dem Gehalt abgegolten sind" verwehrt wird. Sie will weiter arbeiten und bestmöglich ihre Arbeitsleistung bereitstellen, jedoch fordert ihre Erkrankung erhöhte Regenerationszeiten, die, bedingt durch die weiterhin anfallenden Überstunden, nicht erzielt werden können, noch bleibt durch Verwehrung des Überstundenabbaus die Möglichkeit aus, sich zu regenerieren.
Meine Fragen, bzw. Annahmen, soweit:
- mit GdB50 muss sie keine Überstunden leisten, das hieße aus meiner Sicht, dass Sie die, dem Arbeitgeber ist GdB50 bekannt
Beim ifb heißt es dazu
> ... In § 207 SGB IX ist geregelt, dass schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden. Die Regelung soll sicherstellen, dass das Leistungsvermögen dieser Personengruppe im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nicht durch zu lange Arbeitszeiten überbeansprucht wird.
>
> Maßstab für Mehrarbeit sind die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gesetzlich vorgesehenen acht Stunden pro Werktag. Darüber hinausgehende Arbeitszeit ist Mehrarbeit. Der schwerbehinderte bzw. ihm gleichgestellte Arbeitnehmer ist also nach § 207 SGB IX nicht verpflichtet, mehr als die regelmäßige tägliche Arbeitszeit von acht Stunden zu arbeiten.
Demnach kann die Mitarbeitern fordern, künftig keine Mehrarbeit mehr leisten zu müssen, was zumindest schon einmal für eine gewisse Regenerationszeit sorgen würde.
Darüber hinaus heißt es laut einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dass eine solche Bestimmung gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 3 S. 2 BGB (BAG Urteil vom 17.08.2011, Az. 5 AZR 406/10) verstößt, wenn aus der vertraglichen Bedingung nicht genau hervorgeht, wie viele Stunden mit dem Gehalt abgegolten sind (bspw. 10 % oder 10 Stunden pro Monat). Die Arbeitnehmerin weiß ohne nähere Bestimmung nicht, worauf sie sich laut Arbeitsvertrag einlässt. onkret bedeutet das: Ist in deinem Arbeitsvertrag keine genauere zeitliche Bestimmung angegeben, wäre die Klausel ohnehin unzulässig. Konkret hieße das aus meiner Sicht, wenn im Arbeitsvertrag keine genauere zeitliche Bestimmung angegeben ist, wäre die Klausel ohnehin unzulässig, dazu kommt, wie oben beschrieben, der GdB50, demzufolge kene Mehrarbeit, auf Ablehnung der Mitarbeiterin, dann gefordert werden kann.
Was die bisher geleisteten, über 500, Überstunden/Mehrarbeit angeht, ist der Gedanke der Mitarbeiterin im BEM so, dass aufgrund der derzeit massiven gesundheitlichen Belastung ein Abbau der Überstunden zeitnah und akut helfen könnte, die Regeneration zu verbessern und so für Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation, und weniger Krankheitstage, sorgen könnte.
Aus meiner Sicht, sonst wären wohl nicht 500 Überstunden und mehr angefallen, fehlt es hier offenbar an Personal, was letztlich auch dazu führt, dass die Mitarbeiterin immer mehr Überstunden leisten muss, bzw. man ihr nicht gewähren will/kann, die erarbeiteten Überstunden abzubauen.
Welche Erfahrungen habt ihr mit derartigen Szenarien, bzw. welche Möglichkeiten seht ihr hier, um im BEM eine Möglichkeit zu erzielen, dass die Mitarbeiterin
- Überstunden abbauen kann, und dadurch mehr Regenerationszeit hat
- künftige Überstunden zu vermeiden (da gehe ich von oben genanntem Paragraphen aus, der dies aus meiner Sicht schon eindeutig wiedergibt)
Ich freue mich auf Feedback und sage Danke für Denkanstöße!
BEM - Mitarbeiterin mit GdB 50, extrem vielen Überstunden, und fortschreitender Verschlimmerung der Erkrankung
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Re: BEM - Mitarbeiterin mit GdB 50, extrem vielen Überstunden, und fortschreitender Verschlimmerung der Erkrankung
Hallo rose_snake,
bei den angesammelten 500 Plusstunden wäre es wichtig zu unterscheiden, ob es sich dabei um Überstunden oder um Mehrarbeit handelt. Menschen mit Schwerbehinderung oder ihnen Gleichgestellte können sich nur von Mehrarbeit befreien lassen, nicht von Überstunden.
Einen guten Erklärfilm zum Unterschied von Mehrarbeit und Überstunden gibt es im BIH Fachlexikon unter: https://www.bih.de/integrationsaemter/m ... ehrarbeit/ Hier wird auch erläutert, dass die Freistellung von Mehrarbeit gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden muss - möglichst schriftlich und mit etwas zeitlichem Vorlauf.
Was mich wundert, ist die hohe Zahl der sogenannten Überstunden/Mehrarbeit. In § 3 Arbeitszeitgesetz (AbZG) gibt es konkrete und relativ enge Vorgaben dafür, bis wann Mehrarbeit auszugleichen ist. In Betrieben mit Betriebs- oder Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit gibt es dazu normalerweise ebenfalls Regeln, wie hoch monatliche Zeitguthaben sein dürfen und bis wann und wie diese auszugleichen sind.
Wie die Herkunft dieser Stunden auch sei. Auf jeden Fall empfehle ich als Betriebsratsmitglied, das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen und eine gütliche Einigung über einen für beide Seiten vorteilhaften Ausgleich dieser Stunden beziehungsweise eines Teils dieser Stunden zu erreichen.
Beste Grüße
Manuela
bei den angesammelten 500 Plusstunden wäre es wichtig zu unterscheiden, ob es sich dabei um Überstunden oder um Mehrarbeit handelt. Menschen mit Schwerbehinderung oder ihnen Gleichgestellte können sich nur von Mehrarbeit befreien lassen, nicht von Überstunden.
Einen guten Erklärfilm zum Unterschied von Mehrarbeit und Überstunden gibt es im BIH Fachlexikon unter: https://www.bih.de/integrationsaemter/m ... ehrarbeit/ Hier wird auch erläutert, dass die Freistellung von Mehrarbeit gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden muss - möglichst schriftlich und mit etwas zeitlichem Vorlauf.
Was mich wundert, ist die hohe Zahl der sogenannten Überstunden/Mehrarbeit. In § 3 Arbeitszeitgesetz (AbZG) gibt es konkrete und relativ enge Vorgaben dafür, bis wann Mehrarbeit auszugleichen ist. In Betrieben mit Betriebs- oder Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit gibt es dazu normalerweise ebenfalls Regeln, wie hoch monatliche Zeitguthaben sein dürfen und bis wann und wie diese auszugleichen sind.
Wie die Herkunft dieser Stunden auch sei. Auf jeden Fall empfehle ich als Betriebsratsmitglied, das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen und eine gütliche Einigung über einen für beide Seiten vorteilhaften Ausgleich dieser Stunden beziehungsweise eines Teils dieser Stunden zu erreichen.
Beste Grüße
Manuela
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Re: BEM - Mitarbeiterin mit GdB 50, extrem vielen Überstunden, und fortschreitender Verschlimmerung der Erkrankung
Vielen Dank, Manuela, für die ausführliche Erklärung und den Link zur BiH-Enzyklopädie! Der Unterschied zwischen Überstunden und Mehrarbeit ist besonders für Kollegen mit Behinderungen sehr wichtig. Informationen über die Befreiung von der Mehrarbeit und die Notwendigkeit, den Arbeitgeber darüber zu informieren, sind sehr nützlich.
Re: BEM - Mitarbeiterin mit GdB 50, extrem vielen Überstunden, und fortschreitender Verschlimmerung der Erkrankung
Kurz ergänzend zu Manuela zu den Rechtsgrundlagen: In Betracht kommen auch § 164 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 SGB IX (z.B. befristete behinderungsbedingte Reduzierung der Arbeitszeit bzw. Teilzeit). Dafür wird wohl ärztliches Attest benötigt und Standardkommentar zu § 164 SGB IX, bspw. LPK-SGB IX. Ob es dafür bein Integrationsamt ggf. auch Begleitende Hilfe gibt ist mir nicht bekannt.rose_snake hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2025, 11:13 … noch bleibt durch Verwehrung des Überstundenabbaus die Möglichkeit, sich zu regenerieren.
Hilfreich könnten evt. auch (professionelle) Seminare zum Arbeitszeit- und Selbstmanagement sein. Gruß Jada Wasi
Re: BEM - Mitarbeiterin mit GdB 50, extrem vielen Überstunden, und fortschreitender Verschlimmerung der Erkrankung
Rein formal wäre Ablehnung des Abbaues von Überstunden ja gerechtfertigt, da laut Vertrag komplett abgegolten durch ihr laufendes Gehalt. Demnach hätte die BEM-Berechtigte derzeit 0 Überstunden. Sollte aber zB BAG, 17.08.2011, 5 AZR 406/10, anwendbar sein – also von intransparentem Arbeitsvertrag auszugehen sein, dann wäre diese Klausel „null und nichtig“. Und dann müsste sehr wohl finanzielle Abgeltung bzw. Zeitausgleich erfolgen, soweit evtl. Fristen noch nicht abgelaufen sind. Interessant wär zu erfahren, ob derartige Klauseln bei diesem Arbeitgeber verbreitet sind? Denn dann sollte diese Personalstelle mit dem hundertfach zitierten BAG-Urteil bestens vertraut sein, da ja schon weit über zehn Jahre alt. Womögl. hatte sich auch Betriebsrat schon mit solchen Klauseln konkret zu befassen?rose_snake hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2025, 11:13 Sie hat mehr als 500 Überstunden geleistet, deren Abbau ihr aber, zum Einen, weil im Arbeitsvertrag steht, dass "Überstunden in angemessenem Maße zu leisten sind und mit dem Gehalt abgegolten sind", verwehrt wird.
Ein Arbeitnehmer muss bereits bei dem Vertragsschluss erkennen können, was gegebenenfalls "auf ihn zukommt" und welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss: Über 500 Überstunden, also überschlägig gerechnet weit über 3 Monate, erscheinen vielmehr eher gesundheitsgefährdend bei älteren sbM. Zu_pauschalen Abgeltungsklauseln vgl z.B. ausführlich Haufe Online Redaktion vom 15.05.2024 sowie auch die IHK Regensburg von Jan. 2025. Danach dürfte mit einer „Überstundenabgeltung von 10 Prozent der Arbeitszeit“ gemäß IHK Regensburg „eine angemessene Regelung vorliegen“.
Bei evt juristischen Zweifelsfragen würde ich mich ggf an Bürgertelefon des BMAS wenden – das bei Einzelfragen erfahrungsgemäß „kompetent“ allgemeine Einschätzung abgibt. Geschulte sowie erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit Rat sowie Hilfestellungen für Sie da.
Viel Erfolg! Jada Wasi
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Re: BEM - Mitarbeiterin mit GdB 50, extrem vielen Überstunden, und fortschreitender Verschlimmerung der Erkrankung
Hallo,
das SGB IX ist gegenüber einem Arbeitsvertrag das höherrangige Recht. Deswegen gilt § 207 SGB IX auch unbeschadet arbeitsvertraglicher Verpflichtungen zu Mehrarbeit.
Die Beschäftigte kann also jederzeit und ohne Angabe von Gründen Arbeit verweigern, die 8 Stunden pro Tag übersteigt.
Ob die Klausel zur Abgeltung von Mehrarbeit im Vertrag überhaupt gültig ist, muss durch einen Fachmenschen (Fachanwalt/-anwältin für Arbeitsrecht) vor Ort geprüft werden, der/die sämtliche relevanten Unterlagen - insbesondere den genauen Wortlaut des Arbeitsvertrages - zur Einsicht hat.
Das angesprochene Bürgertelefon des BMAS kann nur allgemeine Auskünfte erteilen, darf allerdings keine konkrete individuelle Rechtsberatung machen.
Sollte aber wie im UP geschrieben tatsächlich nur die Formulierung "Überstunden in angemessenem Maße" enthalten, spricht sehr viel dafür, daß diese Klausel wegen Unbestimmtheit und damit mangelnder Transparenz gegen die BAG-Rechtsprechung
https://openjur.de/u/170849.html
verstösst und damit unwirksam ist.
Durch die Novelle des NachwG mit der "Verschärfung" in § 2 Abs. 1 Nr. 7
https://www.gesetze-im-internet.de/nachwg/__2.html
ist die Transparenzpflicht nochmal gesetzlich erweitert worden.
das SGB IX ist gegenüber einem Arbeitsvertrag das höherrangige Recht. Deswegen gilt § 207 SGB IX auch unbeschadet arbeitsvertraglicher Verpflichtungen zu Mehrarbeit.
Die Beschäftigte kann also jederzeit und ohne Angabe von Gründen Arbeit verweigern, die 8 Stunden pro Tag übersteigt.
Ob die Klausel zur Abgeltung von Mehrarbeit im Vertrag überhaupt gültig ist, muss durch einen Fachmenschen (Fachanwalt/-anwältin für Arbeitsrecht) vor Ort geprüft werden, der/die sämtliche relevanten Unterlagen - insbesondere den genauen Wortlaut des Arbeitsvertrages - zur Einsicht hat.
Das angesprochene Bürgertelefon des BMAS kann nur allgemeine Auskünfte erteilen, darf allerdings keine konkrete individuelle Rechtsberatung machen.
Sollte aber wie im UP geschrieben tatsächlich nur die Formulierung "Überstunden in angemessenem Maße" enthalten, spricht sehr viel dafür, daß diese Klausel wegen Unbestimmtheit und damit mangelnder Transparenz gegen die BAG-Rechtsprechung
https://openjur.de/u/170849.html
verstösst und damit unwirksam ist.
Durch die Novelle des NachwG mit der "Verschärfung" in § 2 Abs. 1 Nr. 7
https://www.gesetze-im-internet.de/nachwg/__2.html
ist die Transparenzpflicht nochmal gesetzlich erweitert worden.
&tschüß
Wolfgang
Wolfgang