Arbeitgeber will Wahlvorstand die Anschriften der Wahlberechtigten für Briefwahl nicht überlassen

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ReBra

Arbeitgeber will Wahlvorstand die Anschriften der Wahlberechtigten für Briefwahl nicht überlassen

Beitrag von ReBra »

Hallo, *

unser Arbeitgeber will dem Wahlvorstand die Anschriften der Wahlberechtigten für Briefwahl nicht überlassen.
Er bezieht sich dabei auf datenschutzrechtliche Gründe.

In der einschlägigen Literatur zu § 2 Absatz 6 bzw. § 11 Absatz 2 der SchwbVWO kann ich leider nichts finden.
Kann jemand Argumente liefern, die unsere Auffassung als Wahlvorstand unterstützen, dass die Personalabteilung dem Wahlvorstand die Privatanschrift der Wahlberechtigten zur Verfügung stellen muss.

Uns ist klar, dass die privaten Anschriften der strengen Zweckgebundenheit der Briefwahl unterliegen und keinesfalls für andere Zwecke genutzt werden dürfen, sowie dass diese nach Abschluss der Briefwahl zu löschen sind.

Grüße aus Nürnberg
Reiner Braunersreuther
jada.wasi
Beiträge: 392
Registriert: Freitag 30. März 2012, 16:30

Arbeitgeber will Wahlvorstand Privatanschriften Wahlberechtigter für Briefwahl nicht überlassen

Beitrag von jada.wasi »

Reiner Braunersreuther hat geschrieben:Kann jemand Argumente liefern, die unsere Auffassung als Wahlvorstand unterstützen, dass die Personalabteilung dem Wahlvorstand die Privatanschrift der Wahlberechtigten zur Verfügung stellen muss. Grüße aus Nürnberg
Da „schlaumeiert“ Ihre Personalabteilung:

Einfach Forensuche nutzen – sofern generelle Briefwahl: Dann sollten Sie schnell fündig werden. Bestehen Sie auf zeitnahe schriftl. Entscheidung mögl. der Personalleitung, sofern die Personalstelle nicht kooperativ sein sollte. Das sollte der „Personalstelle“ eigentlich geläufig sein - weil ja seit Jahrzehnten geltendes Recht und weil herrschende Meinung! Und für „behördliche“ Datenschutzbeauftragte mit_Grundschulung ohnehin reine Standardfrage, weil „Routineaufgabe“. Dazu aus 2018 kurze gutachtliche datenschutzrechtliche Stellungnahme zur geeigneten Verwertung. Zur Ergänzung einige neuere Quellen:

Vorläufiger Rechtsschutz
Das ist schon deshalb nötig, da auf Freiumschlag der „Absender“ der Wahlberechtigten eingetragen sein muss (vergl. Sachadae, LPK-SGB IX, § 11 SchwbVWO Rn. 24).
Bleiben Personaler weiterhin beratungsresistent, sollte Ihr Wahlvorstand kurzfristig einen Eilantrag beim Arbeitsgericht Nürnberg stellen. Kurzbegründung: § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 SchwbVWO und Wahlbehinderung. Das ArbG sollte damit schon vertraut sein aus Wahlanfechtung 2014 (keine Adressangaben auf Freiumschlägen). Die notwend. Eilbedürftigkeit sollte sich hier von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht (bzw. Gewerkschaft) sehr einfach begründen lassen, weil ja anstehende Regelwahlen 2022; denn das laufende Wahlverfahren duldet keine Verzögerungen. Vgl. BIH-Wahlbroschüre, Kap. 8.4 „Vorläufiger Rechtsschutz“, Seite 92/93: Dort fehlt allerdings die Option auf Seite 93, dass selbstverständlich auch der Wahlvorstand bei dem Arbeitsgericht antragsberechtigt ist, wenn Personalstelle nötige Auskünfte verweigert laut § 2 Abs. 6 SchwbVWO - trotz Abmahnung und Fristsetzung. (so auch Sachadae, LPK-SGB IX, 6. Auflage 2022, § 2 SchwbVWO, Rn. 43) Achtung: Auch bei den Behörden ist das Arbeitsgericht zuständig und nicht (mehr) das Verwaltungsgericht.

Datenschutz-Blog
Siehe bspw. auch datenschutz-notizen.de: „Im Fall der Briefwahl muss die Personalabteilung dem Wahlvorstand daher Privatanschrift der Wahlberechtigten zur Verfügung stellen.“ In den BIH-Wahlunterlagen leider wohl nicht mehr thematisiert, warum auch immer? Siehe jedoch Zitat von Matthias Günther aus dem bewährten und häufig zitierten vormaligen professionellen WahlNAVI 2018, dessen FAQ leider kürzlich vom Netz genommen wurden, :( :( :( obwohl vorzügliche Arbeitshilfe. Das versteht niemand:

Integrationsämter
BIH: „Hat der Wahlvorstand im förmlichen Wahlverfahren Briefwahl beschlossen, sind die Wahlunterlagen an die Wahlberechtigten zu übersenden (§ 11 SchwbVWO). Es bestehen daher aus rechtlicher Sicht keine Bedenken dagegen, dass der Arbeitgeber dem Wahlvorstand die Privatanschriften der Wahlberechtigten zum Zwecke des Versands der Wahlunterlagen übermittelt.“ Dem ist klar zuzustimmen entgegen der haltlosen und „aus der Luft gegriffenen“ Einzelmeinung Ihrer Personalabteilung.

Landesarbeitsgerichte
Das folgt auch aus LAG Hessen, 15.06.2020 – 16 TaBV 116/19: „Weiterhin müsse der Freiumschlag als Absender Namen und Anschrift der wahlberechtigten Person enthalten. Die Freiumschläge enthielten diese Angaben nicht. Die Absenderangabe sei eine wesentliche Wahlvorschrift, da Manipulationen damit verhindert oder zumindest erschwert werden sollen.“ Es ist die Aufgabe des Wahlvorstands, die Anschriften selbst einzutragen gem. Rechtsprechung, und mitnichten etwa Aufgabe der Wähler. Vergleiche auch den Eilbeschluss des LAG Hessen, 10.08.2020 – 16 TaBVGa 75/20, zum Anspruch des Wahlvorstands auf Herausgabe privater Anschriften von Wahlberechtigten zu BR-Wahlen sinngemäß (§ 24 Abs. 2 WahlO-BetrVG) unter Änderung des-Fehlbeschlusses des ArbG Frankfurt am Main.

Vergl. LAG Berlin-Brandenburg, 03.05.2022, 7 TaBV 1697/21, Rn. 26, zu Privatanschriften Wahlberechtigter:
„Die Wahl zur Vertrauensperson für Schwerbehinderte ist anfechtbar, wenn bei der schriftlichen Stimmabgabe die Rückumschläge nicht mit Absenderangaben versehen sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 SchwbVWO) und dies Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann. (Rn. 26)“ In diesem Fall ist zwar „Nichtzulassungsbeschwerde“ anhängig beim BAG, jedoch sachlich m.E völlig aussichtslos, da u.a. mit viel zu großem Wahlvorstand und weil Bestellung durch Dienststellenleiter (ausführlich Schäfer, jurisPR-ArbR 32/2022 Anm. 6). Zum LAG Berlin-Brandenburg (rkr.) siehe auch Anmerkung.

Verwaltungsgerichte
Vgl auch VG Düsseldorf, 10.07.2017, 39 K 5778/16.PVB, für PR-Wahl in einem Jobcenter mit Verweis auf BVerwG, VG Karlsruhe, 01.03.2021 - PL 15 K 6844/19, für PR-Wahl gemäß LPVG Baden-Württemberg, und VG München vom 03.05.2022 – M 20 P 21.3606, für PR-Wahl in Bayern laut BayPVG – jeweils zu Privatanschriften. Der Freiumschlag muss demnach „individualisiert“ werden nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SchwbVWO und archiviert werden nach § 16 SchwbVWO als beweiskräftige „Wahlunterlage“ Ebenso VG Berlin, 06.05.2022, 5 K 4/21, Rn. 4 und Rn. 43 - 45, für die Wahl der „Frauenvertreterin“, wo der Wahlvorstand (an Wahlordnung vorbei) meinte, dass die Erklärungen über die persönliche Stimmabgabe von den Wählerinnen selbst mit ihren Namen zu versehen seien. Denn so könne sich der Wahlvorstand das „Etikettieren“ des Absenders auf dem Freiumschlag vorgeblich sparen. Ferner schon VG Berlin, 07.06.2013 - 5 K 422.12, Rn. 34, zur Wahl einer Berliner Frauenvertreterin und VG Wiesbaden, 18.03.2009, 8 K 466/08.WI, Leitsatz 5 zu Rn. 29 und Rn. 35, wonach die Beschriftung dieser „Freiumschläge“ geradenicht den Wahlberechtigten überlassen“ bleiben dürfe (Rn 29/35), sondern dem Wahlvorstand bzw. Wahlhelfern obliege.

Hinweis: Das oben Gesagte sind Ausnahmen: Sie gelten jedenfalls dann - soweit „angeordnete“ generelle Briefwahl per Wahlausschreiben seit jeher oder neuerdings auch für Briefwahlen gemäß § 20 Abs. 5 SchwbVWO. Dem stehen datenschutzrechtliche Gründe nicht entgegen, auch wenn das zuweilen von einzelnen Personalern ganz leichtfertig bzw pauschal behauptet wird. Gruß nach Nürnberg - und viiiel Erfolg! Jada Wasi
CVedder
Beiträge: 347
Registriert: Dienstag 2. November 2010, 11:14

Re: Arbeitgeber will Wahlvorstand die Anschriften der Wahlberechtigten für Briefwahl nicht überlassen

Beitrag von CVedder »

Hut ab vor jada.wasi!

Perfekte und alles abdeckende Antwort.


Besten Dank aus Karlsruhe
Christian Vedder
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