Hallo,
ich mache mir als amtierende Vertrauensperson langsam die ersten Gedanken zur SBV-Wahl 2022 und bin dieses mal etwas unsicher, welches Wahlverfahren für uns das korrekte ist.
§18 SchwbVWO regelt:
"Besteht der Betrieb oder die Dienststelle nicht aus räumlich weiter auseinanderliegenden Teilen und sind dort weniger als fünfzig Wahlberechtigte beschäftigt, ist die Schwerbehindertenvertretung in einem vereinfachten Wahlverfahren nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu wählen."
Wir haben klar weniger als 50 Wahlberechtigte, aber die räumliche Trennung ist für mich nicht so eindeutig zu beantworten. In den letzten Jahren und Wahlperioden gab es einen weiteren Standort, der klar zum Betrieb gehörte und einige hundert km entfernt lag. Damit haben wir immer förmlich gewählt und es gab keine Zweifel.
Dieser Standort wurde aber zwischenzeitlich geschlossen. Es gibt zwar einen weiteren Standort unser GmbH, ähnlich weit entfernt, der aber wohl einen eigenen Betrieb darstellt (eigene Produktionsmittel, Vertrieb, Service, Produkte, Kunden etc.) Hier ist auch "unser" BR nicht zuständig, dort gibt es aber keinen eigenen. Den müssen wir meiner Meinung nach bei der Betrachtung also außen vor lassen.
Zu unserem Betrieb gehören aber einige "Telearbeitsplätze", die laut Arbeitsvertrag "Homebased" genannt werden. Diese Mitarbeitenden haben ihren Arbeitsplatz zu Hause, teilweise hunderte Kilometer entfernt. Diese werden vom Unternehmen ausgestattet. Sie kommen nur selten an den Hauptstandort, und bekommen in diesem Fall Fahrkosten etc. Sie sind aber fest in unseren Betriebsablauf eingebunden und arbeiten remote per PC und Telefon. Sie machen administrative Aufgaben oder sind z. B. im Vertrieb oder Service. Teilweise machen Sie von ihrem Arbeitsplatz zu Hause aus auch viele Kundenbesuche, einige sind aber nur zu Hause tätig und fahren nicht zum Kunden.
Meiner Meinung nach könnte man deswegen aus §18 die Notwendigkeit einer förmlichen Wahl ableiten, die wir dann wie in der Vergangenheit als schriftliche Stimmabgabe durchführen könnten. Ob dabei Mitarbeitenden aus dieser Gruppe bereits als Wahlberechtigte bekannt sind, spielt meiner Meinung nach keine Rolle, denn sie könnten sich im Laufe der Wahl ja noch als solche zu erkennen geben.
Ich bin sehr interessiert an anderen Meinungen zu dieser Fragestellung, insbesondere natürlich an einschlägigen Urteilen Kommentaren usw. Für mich ist das eine wichtige Frage, denn daraus ergibt sich, ob ich einen Wahlvorstand benennen oder zur einer Wahlversammlung einladen muss. Ersteres würde ich gerne so rechtzeitig machen, dass die Mitglieder sich noch entsprechend vorbereiten und ggfs. schulen können. Und ein falsches Wahlverfahren würde die Wahl angreifbar machen.
Ich bin gespannt auf Eure Beiträge und frage mich, ob es dieses Thema nicht auch in anderen Unternehmen oder Dienststellen gibt.
Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
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Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Hallo,Zu unserem Betrieb gehören aber einige "Telearbeitsplätze", die laut Arbeitsvertrag "Homebased" genannt werden. Diese Mitarbeitenden haben ihren Arbeitsplatz zu Hause, teilweise hunderte Kilometer entfernt. Diese werden vom Unternehmen ausgestattet. Sie kommen nur selten an den Hauptstandort.
das ist eine wirklich knifflige Rechtsfrage, zu der auch in § 177 Abs. 6 Satz 3 SGB IX nichts zu finden ist. Gleiche Rechtsfrage z.B. auch bei den Außendienstlern, welche in anderen Bundesländern permanent eingesetzt werden und so gut wie nie zum Hauptstandort kommen - die daher dort typischerweise auch niemand näher kennt und umgekehrt. Dieselbe Frage stellt sich wohl auch bei sog. Entsendung ins_Ausland mit Inlandsbezug.
Die Wahlordnung, die großteils aus dem letzten Jahrhundert stammt, ist insoweit völlig veraltet. Das BMAS gedenkt wohl nicht, bis zur nächsten Regelwahl im Herbst 2022 daran was zu ändern? Begriffe wie z.B. „Außendienst“ bzw. „Telearbeit“ kommen dort gar nicht vor (im Unterschied teils zu anderen Wahlordnungen). Ausgewiesene Experten wie Dr. Sachadae (PersV 5/2015) und auch die BIH (ZB 4/2019, Seite 6) haben schon vor Jahren konkrete Änderungen zur Modernisierung des längst korrekturbedürftigen SBV-Wahlrechts angeregt — aber das BMAS hat wohl keine Lust? Der § 18 SchwbVWO dürfte ohnehin nichtig sein, soweit er diese Steigerungsform („räumlich weiter“) statt die gesetzliche Grundform („räumlich weit“) verwendet, also über das Gesetz in § 177 Abs. 6 Satz 3 SGB IX weit hinausgeht. Dazu war der Verordnungsgeber nie ermächtigt nach § 183 SGB IX. Das „beißt sich“, und ist klar widersprüchlich.
Daher könnten Sie evtl. beim Bürgertelefon des BMAS zum Themenbereich „Behinderung“, Tel: 030 / 221 911 006, mal nachfragen und um eine fachliche Einschätzung bitten. Die Antwort dieses Ministeriums würde mich auch interessieren. Bitte ggf. hier berichten, da m.E von allgemeinem Interesse. An solche Konstellationen hat der (historische) Gesetz- und Verordnungsgeber wohl damals offenbar nicht gedacht und seither wurde nicht nachjustiert, obwohl sich die Arbeitswelt bekanntlich verbreitet verändert hat.
Beste Grüße
Heidi Stuffer
Re: Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Heidi Stuffer hat recht, es ist eine knifflige Frage, die aber auch Lust zur Aufklärung bzw. Nachfragen machen kann. Im Grunde genommen ignoriert das Wahlrecht komplett die vielerorts mittlerweile eingetretenen Veränderungen unserer Arbeitswelt. Immer mehr sind im Homeoffice und kommen auch nach der Pandemie nicht mehr zurück in die Unternehmen, weil es sich bewährt hat sozusagen Remote zu werkeln.
Da ist es dann nicht mehr weit, wenn die Anwendung eines förmlichen Wahlverfahrens, welches eben erst mit der Briefwahl den Gang zur Wahl einfacher macht, durch ignorieren der realen Arbeitswelt, verhindert wird. Im Umkehrschluss dadurch der Wähler sozusagen auch in Ausübung seines Wahlrechts über Gebühr hinaus beschwert wird. Denn wer geht schon wählen, wenn er 100 oder noch mehr Kilometer zu seinem Arbeitgeber zurücklegen muss, wenn er ansonsten ausschließlich in der Homebase verweilt. Hier bedarf es eines modernen Wahlrechts.
Der Tip das Bürgertelefon zu nutzen, ist da gar nicht schlecht. Auch könnte das für den Arbeitgeber zuständige Integrationsamt mit der Frage konfrontiert werden, damit diese ggfs. Eingang in den entsprechenden Arbeitskreis für Rechtsfragen erhält.
Ich werde für meinen Teil mal versuchen, dass Thema zu lancieren, jedoch helfen mitunter auch Eingaben von außen oder eben der Gang über die Politik.
Viele Grüße
Christian Vedder
Da ist es dann nicht mehr weit, wenn die Anwendung eines förmlichen Wahlverfahrens, welches eben erst mit der Briefwahl den Gang zur Wahl einfacher macht, durch ignorieren der realen Arbeitswelt, verhindert wird. Im Umkehrschluss dadurch der Wähler sozusagen auch in Ausübung seines Wahlrechts über Gebühr hinaus beschwert wird. Denn wer geht schon wählen, wenn er 100 oder noch mehr Kilometer zu seinem Arbeitgeber zurücklegen muss, wenn er ansonsten ausschließlich in der Homebase verweilt. Hier bedarf es eines modernen Wahlrechts.
Der Tip das Bürgertelefon zu nutzen, ist da gar nicht schlecht. Auch könnte das für den Arbeitgeber zuständige Integrationsamt mit der Frage konfrontiert werden, damit diese ggfs. Eingang in den entsprechenden Arbeitskreis für Rechtsfragen erhält.
Ich werde für meinen Teil mal versuchen, dass Thema zu lancieren, jedoch helfen mitunter auch Eingaben von außen oder eben der Gang über die Politik.
Viele Grüße
Christian Vedder
Re: Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Hallo WHR,WHR hat geschrieben: ↑Freitag 4. Februar 2022, 12:44 Sie machen administrative Aufgaben oder sind z.B. im Vertrieb oder Service. Teilweise machen Sie von ihrem Arbeitsplatz zu Hause aus auch viele Kundenbesuche, einige sind aber nur zu Hause tätig und fahren nicht zum Kunden. Sie kommen nur selten an den Hauptstandort. Meiner Meinung nach könnte man deswegen aus § 18 die Notwendigkeit einer förmlichen Wahl ableiten
spannende Frage: Kenne hierzu keine Quellen. Wenn es einerseits Beschäftigung z.B. in der Zentrale in Berlin gibt und andererseits Telearbeit in davon entlegenen Ländern etwa in Hamburg bzw. Bayern, dann umfasst eben dieser Wahlbezirk (auch) diese zwei voneinander weit entfernten Bundesländer. Dabei spielt es wahlrechtlich keine Rolle, ob in einem angemieteten Betriebsbüro mit Firmenschild oder einer Betriebswohnung gearbeitet wird oder in der eigenen, in der der Arbeitgeber die Büroausstattung organisiert und finanziert („Produktionsmittel“). Wenn dort Arbeit verrichtet wird, so dürften daher die Räumlichkeiten wahlrechtlich zu Betriebsstätten - und so wohl zu unselbstständigen Teilen des Betriebs in Berlin werden ohne eine „räumliche Nähe“ i.S. des § 18 SchwbVWO. Womögl. befasst sich die wohl demnächst erscheinende BIH-Wahlbroschüre 2022 mit solchen Konstellationen.
Richtig! Das gilt aber nur, solange der (wahlfähige) weitere Standort keinen formlosen „Zuordnungsbeschluss“ fasst lt. § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Sollte demnach (rechtzeitig) ein „Mehrheitsbeschluss“ für die nächste BR-Regelwahl 2022 gefasst werden, d.h. Option für den Hauptbetrieb, so wäre schon deshalb zwingend bei der nächsten SBV-Regelwahl 2022 m.E. förmlich zu wählen in dem dann ja weitläufigen Wahlbezirk. Der SBV-Wahlbezirk folgt grundsätzlich stets dem BR-Wahlbezirk. Achtung: Das mit diesem Beschluss setzt allerdings (kraft Gesetzes) voraus, dass es sich um einen sog Betriebsteil und nicht um einen Betrieb handelt. Darüber lässt sich in Grenzfällen trefflich streiten lt. Rspr. Gruß Jada WasiWHR hat geschrieben: ↑Freitag 4. Februar 2022, 12:44 Es gibt zwar einen weiteren Standort unser GmbH, ähnlich weit entfernt, der aber wohl einen eigenen Betrieb darstellt (eigene Produktionsmittel, Vertrieb, Service, Produkte, Kunden etc.) Hier ist auch "unser" BR nicht zuständig, dort gibt es aber keinen eigenen. Den müssen wir meiner Meinung nach bei der Betrachtung also außen vor lassen.
Re: Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Vielen Dank an Heidi Stuffer, Christian Vedder und Jada Wasi für die Rückmeldungen und differenzierten Einschätzungen.
Jetzt könnte es ein wenig mein Ego beruhigen, dass die Frage tatsächlich nicht so einfach und eindeutig zu beantworten ist, es überwiegt aber deutlich der Wunsch nach einer halbwegs belastbaren Klärung und dem guten Gefühl, das korrekte Wahlverfahren zu nutzen.
Die Idee mit dem Bürgertelefon des BMAS finde ich gut. Nachdem ich die Hotline heute leider trotz mehrfachen Anrufens nicht erreichen konnte (nach einer Weile wird man freundlich aus der Warteschlange geworfen) habe ich die Frage in etwas verallgemeinerter Form (sie dürfen ja keine individuelle Rechtsberatung machen) per Email an das BMAS geschickt. Und weil Ich gerad dabei war, habe ich die Frage dann auch noch einmal per Email an das Integrationsamt Hamburg geschickt, das für uns zuständig ist.
Ich werde hier berichten, sobald ich eine Rückmeldung von einer der beiden Stellen bekomme.
Mein Plan B sieht übrigens vor, mit unserem Arbeitgeber gemeinsam (schriftlich) zur Einschätzung zu kommen, dass in unserem Fall das förmliche Wahlverfahren anzuwenden ist. Ich könnte mir vorstelle, dass spätestens der Hinweis auf die möglicherweise notwendigen Fahrkostenerstattungen und ggfs. Übernachtungskosten sowie der Verlust an Arbeitszeit, wenn ein Wahlberechtigter durch halb Deutschland und zurück reisen muss, nur um seine Stimme abzugeben, so eine Einschätzung begünstigen könnte. Damit wäre dann hoffentlich eine Anfechtung durch den Arbeitgeber aufgrund eines falschen Wahlverfahrens später zumindest erschwert.
Vielen Dank und viele Grüße
WHR
Jetzt könnte es ein wenig mein Ego beruhigen, dass die Frage tatsächlich nicht so einfach und eindeutig zu beantworten ist, es überwiegt aber deutlich der Wunsch nach einer halbwegs belastbaren Klärung und dem guten Gefühl, das korrekte Wahlverfahren zu nutzen.
Die Idee mit dem Bürgertelefon des BMAS finde ich gut. Nachdem ich die Hotline heute leider trotz mehrfachen Anrufens nicht erreichen konnte (nach einer Weile wird man freundlich aus der Warteschlange geworfen) habe ich die Frage in etwas verallgemeinerter Form (sie dürfen ja keine individuelle Rechtsberatung machen) per Email an das BMAS geschickt. Und weil Ich gerad dabei war, habe ich die Frage dann auch noch einmal per Email an das Integrationsamt Hamburg geschickt, das für uns zuständig ist.
Ich werde hier berichten, sobald ich eine Rückmeldung von einer der beiden Stellen bekomme.
Mein Plan B sieht übrigens vor, mit unserem Arbeitgeber gemeinsam (schriftlich) zur Einschätzung zu kommen, dass in unserem Fall das förmliche Wahlverfahren anzuwenden ist. Ich könnte mir vorstelle, dass spätestens der Hinweis auf die möglicherweise notwendigen Fahrkostenerstattungen und ggfs. Übernachtungskosten sowie der Verlust an Arbeitszeit, wenn ein Wahlberechtigter durch halb Deutschland und zurück reisen muss, nur um seine Stimme abzugeben, so eine Einschätzung begünstigen könnte. Damit wäre dann hoffentlich eine Anfechtung durch den Arbeitgeber aufgrund eines falschen Wahlverfahrens später zumindest erschwert.
Vielen Dank und viele Grüße
WHR
Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Leider ist die Gesetzeslage in diesem Punkt alles andere als glücklich. Hoffe, das endet nicht damit: „Zwei Juristen – drei Meinungen“ … und alle Fragen offen?
Die örtlichen SBV-Wahlen werden in BAG, 23.07.2014 – 7 ABR 61/12, Rn. 22 (am Ende) behandelt: Durch „räumliche Nähe wird dafür gesorgt, dass die Wahlberechtigten die vorgeschlagenen Kandidaten typischerweise bereits kennen (können).“ Das ist typischerweise gerade nicht der Fall etwa bei den Außendienstlern oder bei „Telearbeit“ (§ 5 Absatz 1 Satz 1 BetrVG), die nicht regelmäßig, sondern nur selten z.B. 1x bis 2x pro Jahr in der Zentrale in Hamburg erscheinen, also z.B. monatelang nicht am Hauptstandort in Hamburg sind, folglich i.d.R. räumlich getrennt. Gruß Jada Wasi
Re: Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Hallo,
gibts evt schon Reaktionen vom Integrationsamt Hamburg bzw. BMAS, und mit welchem Ergebnis zu Ihren Anfragen vom Februar 2022 zum Wahlverfahren? Es soll jetzt wohl doch keine Homeoffice-Angebotspflicht kommen, aber die Rechtsfrage ist dennoch wohl von allgemeinem Interesse, weil bisher weit über 7000 Zugriffe. Und in der neuen BIH-Wahlbroschüre 2022 ist die Frage noch „ausgeklammert“. Danke! Jada Wasi
Re: Vereinfachtes oder förmliches Wahlverfahren bei Telearbeit (Homebase/Homeoffice)?
Hallo,
ja, sowohl das Integrationsamt Hamburg als auch das BMAS haben mir geantwortet. Wie befürchtet konnte mir aber niemand hier eine für mich eindeutige und verbindliche Antwort auf meine Frage geben.
Eine freundliche Mitarbeiterin des Integrationsamts Hamburg hat mir geantwortet, konnte mir aber nur ihre persönliche Einschätzung mitteilen. Danach wäre das vereinfachte Wahlverfahren anzuwenden (wenn die restlichen Voraussetzungen gegeben sind), da die Telearbeitsplätze nicht als eigenständige Betriebsteile zu werten wären.
Die Antwort des BMAS war noch etwas ausführlicher:
ja, sowohl das Integrationsamt Hamburg als auch das BMAS haben mir geantwortet. Wie befürchtet konnte mir aber niemand hier eine für mich eindeutige und verbindliche Antwort auf meine Frage geben.
Eine freundliche Mitarbeiterin des Integrationsamts Hamburg hat mir geantwortet, konnte mir aber nur ihre persönliche Einschätzung mitteilen. Danach wäre das vereinfachte Wahlverfahren anzuwenden (wenn die restlichen Voraussetzungen gegeben sind), da die Telearbeitsplätze nicht als eigenständige Betriebsteile zu werten wären.
„…nach meiner Auffassung handelt es sich bei Homeoffice-Arbeitenden um keine eigenständigen Betriebsteile […] Ich habe das eben noch einmal recherchiert und bin dabei auf eine Definition des Begriffs „Betriebsteil“ durch das Bundesarbeitsgericht gestoßen:
Danach ist ein Betriebsteil eine abgrenzbare organisatorische Einheit eines Betriebes, die einen betrieblichen Teilzweck verfolgt. Die Identität der Einheit ergibt sich dabei auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. (BAG, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 8 AZR 455/10 –, BAGE 139, 309-322, Rn. 37)“
Die Antwort des BMAS war noch etwas ausführlicher:
Leider wird auf diese Frage auch in der aktuellen ZB Spezial SBV Wahl 2022 nicht eingegangen. Ich habe die Frage auch im Rahmen einer Schulung zur SBV Wahl in den Raum gestellt, aber auch hier gab es keine wirklich eindeutige Meinung. Ich vermute aber weiterhin, dass diese Frage faktisch in vielen Betrieben gestellt werden müsste, evtl. aber nicht immer thematisiert wird. Wir müssen hier wohl auf erste Urteile warten, um Rechtssicherheit zu bekommen.„Ihre Frage bezieht sich darauf, ob auch die wahlberechtigten Mitarbeiter, deren erster Arbeitsort an ihrem teils hunderte Kilometer entfernten Wohnort liegt, dem Betrieb zuzurechnen sind und ob ein Betrieb in einem solche Fall aus räumlich auseinanderliegenden Teilen im Sinne des § 18 Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO) besteht.
Ich möchte Sie zunächst darauf hinweisen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales keine individuelle Rechtsberatung anbietet. Daher kann ich Ihnen keine Antwort auf die Frage geben, welches Wahlverfahren in Ihrem Fall anwendbar ist. Ich kann allerdings allgemeine Hinweise zu dem von Ihnen angesprochenen Themenkreis erteilen.
Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung ist in den §§ 177 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) iVm. der SchwbVWO geregelt. Gemäß § 177 Abs. 6 Satz 3 SGB IX, § 18 SchwbVWO ist das vereinfachte Wahlverfahren anwendbar, wenn der Betrieb oder die Dienststelle nicht aus räumlich weiter auseinanderliegenden Teilen besteht und dort weniger als fünfzig wahlberechtigte schwerbehinderte Menschen beschäftigt sind.
Die Zuordnung zum „Betrieb“ bzw. der „Dienststelle“ entspricht im Wesentlichen dem § 5 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Daher zählen zu dem Betrieb auch die in Telearbeit, sowie die im Außendienst Beschäftigten (vgl. etwa Pahlen, in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Auflage 2020, § 177 Rn. 5).
Die Konkretisierung des Begriffs der „räumlich weit auseinanderliegende Teile von Betrieben“ im Sinne des § 18 SchwbVWO ist der Rechtsprechung überlassen. Solche liegen nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) vor, wenn die Wahlberechtigten die im förmlichen Wahlverfahren vermittelten Kenntnisse über den Ablauf der Wahl und über die Wahlbewerber und ihre Eignung für das zu vergebende Amt wegen der Entfernung der Betriebsteile voneinander und den damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme nicht erlangen können. Zweck der Vorschrift ist, zu gewährleisten, dass die Verständigung der Wahlberechtigten über Art und Inhalt der Wahl trotz der gegenüber dem förmlichen Wahlverfahren erheblich kürzeren Vorbereitungszeit möglich ist. Nicht entscheidend hierfür ist das Vorliegen einer bestimmten räumlichen Entfernung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG oder eine Zeitspanne, innerhalb derer Mitarbeitende aus einem Betriebsteil den anderen Betriebsteil erreichen können (BAG, Beschluss vom 07.04.2004 - 7 ABR 42/03 = NZA 2004, 745).
Liegen die Voraussetzungen des § 18 SchwbVWO nicht vor, findet das vereinfachte Wahlverfahren keine Anwendung. Selbst durch Vereinbarung aller Wahlberechtigten kann das vereinfachte Wahlverfahren nicht vereinbart werden. Eine dennoch nach dem vereinfachten Verfahren durchgeführte Wahl ist anfechtbar (Pahlen, in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Auflage 2020, § 18 SchwbVWO Rn. 2 f.). Das Wahlrecht begründet jedoch keine Verpflichtung der Wahlberechtigten, an der Wahl teilzunehmen.“