COVID 19: Einheitlicher neuer Arbeitsschutzstandard für Betriebe und Dienststellen

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Ulrich.Römer
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COVID 19: Einheitlicher neuer Arbeitsschutzstandard für Betriebe und Dienststellen

Beitrag von Ulrich.Römer »

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung Dr. Stefan Hussy haben am 16.4.2020 mit einer Pressemitteilung des BMAS (Pressemitteilung Nr. 17) den neuen Arbeitsschutzstandard COVID 19 vorgestellt.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Wer in diesen besonderen Zeiten arbeitet, braucht auch besonderen Schutz. Wichtig ist, dass wir bundesweit klare und verbindliche Standards haben. Auf diese Standards können sich alle verlassen und an diese Standards müssen sich auch alle halten.“
Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung: „Die Unfallversicherungsträger werden ihre Expertise einsetzen, um den allgemeinen Coronavirus-Arbeitsschutzstandard mit branchenspezifischen Informationen und Beratungsangeboten zu konkretisieren und weiterzuentwickeln. Im Fokus stehen dabei vor allem die kleinen Betriebe, denn anders als Großbetriebe, die oft auf eigene Spezialisten zugreifen können, sind diese stärker auf unsere Hilfe angewiesen.“

Die Bundesregierung empfiehlt daher einen neuen Arbeitsschutzstandard SARS-CoV-2 mit folgenden Eckpunkten:

"1. Arbeitsschutz gilt weiter - und muss bei einem schrittweisen Hochfahren der Wirtschaft zugleich um betriebliche Maßnahmen zum Infektionsschutz vor SARS-CoV-2 ergänzt werden!
Wenn sich wieder mehr Personen im öffentlichen Raum bewegen, steigt das Infektionsrisiko - und damit das Risiko steigender Infektionszahlen und Überlastung des Gesundheitswesens. Dazu ist ein hoher Arbeitsschutzstandard notwendig, der dynamisch an den Pandemieverlauf angepasst wird.
2. Sozialpartnerschaft nutzen, Arbeitsschutzexperten einbinden, Angebot arbeitsmedizinischer Vorsorge ausweiten!
Eine gelebte Sozialpartnerschaft in den Betrieben hilft gerade jetzt, die notwendigen Schutzmaßnahmen wirksam im betrieblichen Alltag zu verankern. Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit beraten den Arbeitgeber bei der Umsetzung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards und unterstützen bei der Unterweisung. Die Betriebe bieten ihren Beschäftigten zusätzliche freiwillige, ggf. telefonische, arbeitsmedizinische Vorsorge an.
3. Der Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Metern wird universell auch bei der Arbeit eingehalten - in Gebäuden, im Freien und in Fahrzeugen!
In den Betrieben werden entsprechende Absperrungen, Markierungen oder Zugangsregelungen umgesetzt. Wo dies nicht möglich ist, werden wirksame Alternativen ergriffen.
4. Abläufe werden so organisiert, dass die Beschäftigten möglichst wenig direkten Kontakt zueinander haben!
Schichtwechsel, Pausen oder Anwesenheiten im Büro werden durch geeignete organisatorische Maßnahmen entzerrt, Kontakte der Beschäftigten untereinander werden im Rahmen der Schichtplangestaltung auf ein Minimum reduziert.
5. Niemals krank zur Arbeit!
Personen mit erkennbaren Symptomen (auch leichtes Fieber, Erkältungsanzeichen, Atemnot) verlassen den Arbeitsplatz bzw. bleiben zu Hause, bis der Verdacht ärztlicherseits aufgeklärt ist. Hier sind auch die Beschäftigten gefragt, ihre gesundheitliche Situation vor Arbeitsbeginn zu prüfen, um ihre Kolleginnen und Kollegen nicht in Gefahr zu bringen.
6. Zusätzlichen Schutz bei unvermeidlichem direkten Kontakt sicherstellen!
Wo Trennung durch Schutzscheiben nicht möglich ist, werden vom Arbeitgeber Nase-Mund-Bedeckungen für die Beschäftigten und alle Personen mit Zugang dessen Räumlichkeiten (wie Kunden, Dienstleister) zur Verfügung gestellt.
7. Zusätzliche Hygienemaßnahmen treffen!
Waschgelegenheiten bzw. Desinfektionsspender werden vom Arbeitgeber bereitgestellt, um die erforderliche häufige Handhygiene am Ein-/Ausgang und in der Nähe der Arbeitsplätze zu ermöglichen. Kurze Reinigungsintervalle für gemeinsam genutzte Räumlichkeiten, Firmenfahrzeuge, Arbeitsmittel und sonstige Kontaktflächen verbessern den Infektionsschutz weiter. Auf die verbindliche Einhaltung einer „Nies-/Hustetikette“ bei der Arbeit wird besonders geachtet!
8. Arbeitsmedizinische Vorsorge nutzen; Risikogruppen besonders schützen!
Viele bangen um ihre Gesundheit. Arbeitsmedizinische Vorsorge beim Betriebsarzt ermöglicht individuelle Beratung zu arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Auch Vorerkrankungen und Ängste können hier besprochen werden. Wird dem Arbeitgeber bekannt, dass eine Person einer Risikogruppe angehört, ergreift er die erforderlichen individuellen Schutzmaßnahmen.
9. Betriebliche Beiträge zur Pandemievorsorge sicherstellen!
Um schnell auf erkannte Infektionen reagieren zu können, erarbeiten Arbeitgeber betriebliche Routinen zur Pandemievorsorge und kooperieren mit den örtlichen Gesundheitsbehörden, um weitere möglicherweise infizierte Personen zu identifizieren, zu informieren und ggf. auch isolieren zu können. Beschäftigte werden angehalten, sich bei Infektionsverdacht an einen festen Ansprechpartner im Betrieb zu wenden.
10. Aktive Kommunikation rund um den Grundsatz „Gesundheit geht vor!“
Der Arbeitgeber unterstützt aktiv seine Beschäftigten. Führungskräfte stellen vor Ort klar, dass Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten Priorität haben. Alle zusätzlichen betrieblichen Infektionsschutzmaßnahmen und Hinweise werden verständlich erklärt und ggf. erprobt und eingeübt."
Ulrich Römer

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Ulrich.Römer
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Re: COVID 19: Einheitlicher neuer Arbeitsschutzstandard für Betriebe und Dienststellen

Beitrag von Ulrich.Römer »

Dazu gibt es bereits einen Kommentar von Professor Franz Josef Düwell:

Schwerbehindertenvertretungen können sich auf diesen neuen Arbeitsschutzstandard berufen, auch wenn dieser nur Empfehlungen enthält. Schwerbehindertenvertretungen wachen gemäß §178 Abs. 1 Satz 2 SGB IX über die Einhaltung der zu Gunsten der schwerbehinderten Menschen geltenden Gesetze und Verwaltungsanordnungen sowie über die den Arbeitgebern nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX obliegenden Pflichten zur individuellen behinderungsgerechten Beschäftigung. Zu den einzuhaltenden Gesetzen gehört auch § 618 BGB. Diese gesetzliche Bestimmung gibt dem Arbeitgeber auf Schutzmaßnahmen gegen Gefahr für Leben und Gesundheit zu ergreifen, "soweit die Natur der Dienstleitung es gestattet". Die vom BMAS und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung veröffentlichten Empfehlungen stellen eine Konkretisierung dessen dar, was nach dem aktuellen Erkenntnisstand der Experten allgemein in den Betrieben und Dienststellen an notwendige Schutzmaßnahmen von Arbeitgebern vorzunehmen ist.

Soweit ein schwerbehinderter Beschäftigter mitteilt, dass er zu einer Risikogruppe gehört, sind weitere Schutzmaßnahmen zu prüfen. Die dann vorzunehmende Prüfung betrifft eine Angelegenheit, die einen schwerbehinderten Menschen berührt. Folglich muss der Arbeitgeber nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unverzüglich und umfassend die SBV unterrichten. Der Arbeitgeber hat dann in einem zweiten Schritt die SBV dazu anzuhören, welche erforderlichen individuellen Schutzmaßnahmen er zu ergreifen beabsichtigt. Die beabsichtigten Maßnahmen müssen über den allgemeinen Schutzstandard hinausgehen. Nachdem die SBV dem Arbeitgeber ihre Stellungnahme abgegeben hat, muss der Arbeitgeber der SBV in einem dritten Schritt die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen. Die unverzügliche Mitteilung hat regelmäßig vor Durchführung der Maßnahme zu erfolgen, damit die SBV dem Betroffenen bei Durchführung der Maßnahme Beistand leisten kann.

Die vorsätzliche oder fahrlässige Nichteinhaltung des ersten und zweiten Schrittes stellt nach § 239 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX eine Ordnungswidrigkeit dar. Als für derartige Unterlassungen verantwortliche Personen sind auf Arbeitgeberseite stets anzusehen: Die Betriebs- und Dienststellenleiter sowie die Inklusionsbeauftragten. Personalleiter kommen als Verantwortliche in Betracht, wenn sie im Einzelfall beauftragt sind, die Zusammenarbeit mit der SBV zu organisieren. Die Ordnungswidrigkeit kann nach § 238 Abs. 2 SGB IX mit einer Geldbuße bis 10 000 EUR geahndet werden. Zuständige Behörde ist die Bundesagentur für Arbeit.

Die SBV kann ihr Beteiligungsrecht aus § 178 Abs. 2 Satz1 SGB IX im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gegen jeden privaten oder öffentlichen Arbeitgeber durchsetzen. Zuständig sind nach § 2a Abs.1 Nr. 3a ArbGG ausschließlich die Gerichte für Arbeitssachen
Einzelheiten siehe dazu: Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 128 ff
Ulrich Römer

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