Bürgermeister (Niedersachsen)

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murebeil

Bürgermeister (Niedersachsen)

Beitrag von murebeil »

Guten Morgen,

ich möchte mich vergewissern, dass ich richtig oder auch falsch (?) liege...

Unser Bürgermeister ist schwerbehindert.

Sehe ich das richtig, dass er wählen darf,

aber nicht wählbar ist?

Danke für Info... und Gruß
albin.göbel
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Registriert: Mittwoch 10. November 2010, 14:55

Bürgermeister wahlberechtigt für SBV?

Beitrag von albin.göbel »

murebeil hat geschrieben:Unser Bürgermeister ist schwer­be­hin­dert­. Sehe ich richtig, dass er wählen darf, aber nicht wählbar ist?
Hallo murebeil, eine ebenso spannende wie um­strit­te­ne Rechtsfrage der erste Teil Ihrer Frage nach dem aktiven Wahlrecht. Die Literatur ist un­ein­heit­lich­. Diesen Ersten (hauptamtlichen?) und von den Bürgern gewählten Bürgermeister wird man hier offenbar als den Dienststellenleiter einer Gemeinde oder einer Stadt anzusehen haben in Niedersachsen.

• Bürgermeister ≠ nachgeordnetes Personal
Dieser „Gewählte“ hat keine Vorgesetzten ( anders als Beschäftigte i.S. des § 177 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Abs. 3 SGB IX), die ihm Weisungen nach § 106 GewO erteilen könnten. Auch niemand, der ihn dienstlich beurteilt, außer die Wähler bei der nächsten Wahl, also keine abhängige Beschäftigung. Sie sind keine Zeitbeamte i.S. des § 35 BeamtStG: Dilemma hier ist, dass die SGB IX-Li­te­ra­tur­ ver­brei­tet­­ pauschaliert statt differenziert, so dass das vereinzelt zu "grotesken" bzw. geradezu widersinnigen Resultaten führt:

BIH hat geschrieben:Behördenleiter­... (im Sinne des § 7 BPersVG) sind wahl­be­rech­tigt­.101)
:idea: Dazu vertritt die BIH-Wahlbroschüre in Abschnitt 3.1, Aktives Wahlrecht, Seite 38, unter Verweis auf Pahlen, NPM-SGB IX, § 94 Rn. 23, pauschal sowie un­ein­ge­schränkt­ die apodiktische Ansicht: "Be­hör­den­lei­ter­ und ihre Stellvertreter (im Sinne des § 7 BPersVG) sind wahl­be­rech­tigt­." Ebenso Entscheidungstabellen, S. 22/44. Da schießen beide über das Ziel hinaus. Zu weitgehend auch der reine Wortlaut der wahlordnungsrechtlichen Definition in § 1 Abs. 2 Satz 1 SchwbVWO, da über die gesetzliche Grundnorm des § 177 Abs. 2 SGB IX (“beschäftigten schwerbehinderten Menschen“) hinausgehend. Nach dieser Definition, in der nichts von Beschäftigung steht, dürften auch sb Minister wählen, was ich für abwegig halte. So auch StMI vom 11.02.2014 auf Seite 13 (unten) für PR-Wahlen in Baden-Württemberg, wonach zum Beispiel „Minister“ sowie „Politische Staatssekretäre“ nicht zum Kreis der Beschäftigten gehören. Nach obiger kühner These wäre Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (Rollstuhl) im BMF oder Andrea Nahles (GdB 50) im BMAS aber wahlberechtigt gewesen ???

Sehe diese etwas weitgehende Ein­schät­zung­ skeptisch­ zumindest für Erste Bür­ger­meis­ter (aber zum Beispiel auch etwa für Landräte­ sowie für Dienststellenleitungen von Staatskanzleien sowie Landes/Bun­des­mi­nis­ter­ien u.s.w.). Vergleiche zu ➔Ausnahmen Kattenbeck/Bugiel/ Wipijewski, BayPVG, 12. Aufl, Erläuterung zu Art. 4 BayPVG, wonach zu den Beschäftigten zwar grund­sätz­lich auch die Dienst­stel­len­lei­ter gehören – nicht jedoch "z.B. gesetzliche Ver­tre­ter­­­­ von Körperschaften" wie folgt: „Zu den Beschäftigten gehört grundsätzlich auch der Dienststellenleiter (Ausnahmen z.B. Kabinettsmitglieder, gesetzliche Vertreter von Kör­per­schaf­ten), allerdings sind ihm bestimmte Rechte (z. B. passives Wahlrecht) entzogen.“ Die Gemeinde ist eine Ge­biets­kör­per­schaft. Wie wird das in anderen Gemeinden sowie Bun­des­län­dern­­ gesehen bzw. praktiziert? ­ Und wie bewertet Ihr Integrationsamt in Nie­der­sach­sen denn diese spannende Rechtsfrage? Kennt jemand aktuelle Beispielsfälle?

:idea: ­ Die BIH vertritt ferner im Abschnitt 1.2.3 zum Beschäftigungsverhältnis, Seite 18, unter Verweis auf Düwell, LPK-SGB IX, § 94 Rn. 16, folgende generelle Ansicht: "Dienststellenleiter und ihre Vertreter im öffentlichen Dienst sind Beschäftigte und zählen bei der Bestimmung der Min­dest­zahl­­­ mit.59)" Diese pauschale An­sicht­­­­ kann ich dem in der ­­­­­ ­­­­­Endnote 59) zi­tier­ten­­­ LPK-SGB IX, § 94 Rn 16, nicht entnehmen. Fer­ner­­­­ ablehnend, aber zu weitgehend, auch Esser/Isenhardt, jurisPK-SGB IX, § 177 Rn. 12, und Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Rn. 31 zu § 94 SGB IX a.F., welche den Dienststellenleitungen wohl generell ein Wahlrecht absprechen.

murebeil hat geschrieben:Unser Bürgermeister ist schwer­be­hin­dert­. ­ Sehe ich das richtig, dass er nicht wählbar ist?
Korrekt, nicht wählbar als Dienst­stel­len­lei­­ter. So zu Recht auch B­IH-Wahlbroschüre, S. 42/44, da von Wählbarkeit zum Per­so­nal­rat­ als Dienststellenleiter aus­ge­schlos­sen­­ laut § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 NPersVG.

Aber zudem schon deshalb nicht wählbar, da m.E. nicht Beschäftigter iSd § 177 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, da er weder per­sön­lich abhängige noch fremdbestimmte Diens­te­ zu erbringen hat als Grundvoraussetzung für diesen ei­gen­stän­di­gen und ggü. den unterschiedlichen 17 Per­so­nal­ver­­tre­tungs­ge­set­­zen teilweise zwangsläufig abweichenden Beschäftigtenbegriff wie folgt:

Dr. Sachadae hat geschrieben:Im Sinne des § 94 SGB IX be­schäf­tigt ist, wer auf Grund eines pri­vat­recht­li­chen Vertrags, auf Grund ei­nes frei­wil­lig eingegangenen Son­der­sta­­tus­ver­hält­nis­ses oder auf Grund ei­nes diesen beiden For­men gleich­ge­stell­­ten­ Rechts­ver­hält­­nis­ses ver­pflich­tet ist, persönlich ab­hän­gi­ge­, fremd­be­stimm­­te Dienste zu er­brin­gen. ( Dis­ser­tat­­ion 2013, 171) rehadat-forschung.de
Sein Dienst ist nicht fremdbestimmt, weil es eben keinen „Bestimmer“ über ihm gibt wie sonst grds. bei (allen) Beschäftigten, welche - weisungsgebundene - Dienste erbringen laut ­ Direktionsrecht ihres Ar­beitgebers­­ (vergl. dazu § 35 BeamtStG bzw. § 106 i.V.m. § 6 Abs. 2 GewO). Und dieser einheitliche Beschäftigtenbegriff aller SBV-Wahlen in § 177 Abs. 1 bis 3 SGB IX hängt nicht etwa vom jeweiligen LPVG ab, wie von Prof. Düwell im DVfR-Fach­forum nachgewiesen, weil in­so­weit in § 177 ge­rade­­­ nicht darauf verwiesen wird. Dem steht auch nicht entgegen, dass_es eine staatliche Rechts- und Fachaufsicht gibt (im_eigenen bzw. im übertragenen Wirkungskreis).

Viele Grüße
Albin Göbel
CVedder
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Re: Bürgermeister (Niedersachsen)

Beitrag von CVedder »

Das BIH Papier weißt an verschiedenen Stellen, auf etwaige länderspezifische Abweichungen hin. Für Baden-Württemberg besteht aus der Warte des Integrationsamtes tatsächlich die Wahlberechtigung des Bürgermeisters. Siehe hierzu folgende Einschätzung von Frau Ulrike Kayser, KVJS Integrationsamt BW:

Aktives Wahlrecht für Bürgermeister in Baden-Württemberg
Beschäftigtenbegriff

Düwell schreibt im Kommentar LPK-SGB IX §177 Rn. 13: „Nach § 177 Abs. 2 sind sämtliche im Betrieb oder einer Dienststelle beschäftigten schwerbehinderten Menschen und gleichgestellte behinderte Menschen im Sinne von § 151 Abs. 3 wahlberechtigt.

Die Stellung als Beschäftigter im Sinne von § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB IX setzt ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber nicht voraus. Das ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut. Anders als § 5 BetrVG knüpft § 94 Abs. 3 SGB IX nicht an den Arbeitnehmerbegriff, sondern an dem Begriff des Beschäftigten und damit an die Beschäftigung an (BAG vom 25.10.2017 – 7 ABR 2/16 –. Eine Beschäftigung liegt vor, soweit und solange eine rechtliche Verpflichtung zur Erbringung von weisungsgebundener Arbeitsleistung besteht (Sachadae, Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung, 2013, Seite 154-172).

Da für das aktive Wahlrecht nicht die Voraussetzung aufgestellt ist, dass ein Arbeitsverhältnis besteht, ist es auch folgerichtig, dass ein Wahlberechtigter kein Arbeitnehmer im Sinne von § 5 BetrVG sein muss. Deshalb sind auch leitende Angestellte wahlberechtigt, sofern sie schwerbehindert oder gleichgestellt sind. Ihre mit der Leitungsfunktion verbundene Nähe zum Arbeitgeber ist für die Interessenvertretung durch die SBV unerheblich.

Schenk im Kommentar „Landespersonalvertretungsgesetz für Baden – Württemberg von Rooschüz /Bader 15. Auflage wird unter § 4 Rn. 8 beschrieben:
Vom neuen Beschäftigtenbegriff sollen nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung zum Änderungsgesetz 2013 insbesondere erfasst werden:
– Ehrenbeamter nach § 91 des Landesbankengesetzes wie zum Beispiel ehrenamtliche Bürgermeister, ehrenamtliche Amtsverweser und ehrenamtliche Ortsvorsteher.

In der Negativliste der Beschäftigten, die nicht wahlberechtigt sind, in § 4 Abs. 2 LPVG werden die Hauptamtlichen Bürgermeister nicht genannt. Alle anderen sind somit Beschäftigte und damit wahlberechtigt.

In demselben Kommentar heißt es unter Rn. 9 zu § 4 LPVG: „Dienststellenleiter sind Beschäftigte im Sinne des LPVG.“

Anwendung auf Bürgermeister:

Nach § 24 GemO BW ist der direkt gewählte Gemeinderat das Hauptorgan der Gemeinde. Nach § 42 GemO BW ist der Bürgermeister Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Gemeindeverwaltung.

In Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohnern ist der Bürgermeister Ehrenbeamter auf Zeit; in Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern kann durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass er hauptamtlicher Beamter auf Zeit ist. In den übrigen Gemeinden ist der Bürgermeister hauptamtlicher Beamter auf Zeit.

Der Bürgermeister hat keinen Dienstvorgesetzten. Er hat aber die Kommunalaufsicht beim Regierungspräsidium als Dienstaufsicht. Diese entscheidet zum Beispiel über Dienstaufsichtsbeschwerden.



Viele Grüße
Christian Vedder
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