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SBV-Schulung mit Kinderbetreuung?

Verfasst: Donnerstag 1. März 2012, 17:16
von lydia.sonnenschein
Hallo zusammen,

ich habe als Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen in den Sommerferien im August ein Wochenseminar bei einem Bildungsträger in Hessen beantragt. Ebenso die Übernahme der (Betreuungs-) Kosten für meine zwei Kinder (Kleinkind und grundschulpflichtiges Alter).
Nun schreibt mir mein Arbeitgeber, dass ich mich aus wirtschaftlichen Gründen (unverhältnismäßig hohe Reisekosten) doch für das gleiche Seminar in Bayern anmelden soll, welches vier Monate später im Dezember 2012 stattfindet. Eine Übernahme der Betreuungskosten für meine Kinder lehnt er explizit ab.

Eine Betreuungsmöglichkeit für die beiden Kinder bietet der Träger des Seminars am Tagungsort in Hessen an, am Tagungsort in Bayern ist dies nicht sichergestellt. Das grundschulpflichtige Kind kann bei dem Termin im Dezember nicht teilnehmen, da ja Schulpflicht besteht.

Ist der Arbeitgeber berechtigt, die Übernahme der Kinderbetreuungskosten einfach abzulehnen und mich auf das Seminar Anfang Dezember zu verweisen ?


Viele Grüße
Lydia Sonnenschein

SBV-Schulung mit Kinderbetreuung?

Verfasst: Montag 5. März 2012, 14:33
von Anonymous
Hallo Frau Sonnenschein,

als Vertrauensperson können Sie an Seminaren teilnehmen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit als SBV erforderlich sind. Ihr Arbeitgeber muss Sie diesbezüglich von Ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgeldes oder der Dienstbezüge freistellen (§96 Abs. 4 SGB IX). Ihr Arbeitgeber ist auch zur Kostenübernahme verpflichtet (§96 Abs. 8 SGB IX).
Ihr Arbeitgeber kann aber aus wirtschaftlichen Gründen (z.B. hohe Reisekosten) Sie aufzufordern, sich an einem gleichen Seminar zu einem anderen Zeitpunkt anzumelden.
Der Arbeitgeber ist nach SGB IX nicht verpflichtet, die Kinderbetreuungskosten zu übernehmen.

AW: SBV-Schulung mit Kinderbetreuung?

Verfasst: Donnerstag 5. April 2012, 12:14
von albin.göbel
Anonymous hat geschrieben: Montag 5. März 2012, 14:33 … Arbeitgeber ist nach SGB IX nicht verpflichtet, die Kinderbetreuungskosten zu übernehmen.
Hallo zusammen,

die Familienfreundlichkeit lässt teils in Betrieben immer noch zu wünschen übrig. Insbesondere alleinerziehenden Arbeitnehmerinnen fällt es häufig schwer, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Unterstützung kommt vom Bundesarbeitsgericht (BAG). Die Erfurter Richter haben - im Gegensatz zur Vorinstanz - entschieden, dass der Arbeitgeber im erforderlichen Umfang die Kosten erstatten muss, die einer alleinerziehenden Betriebsrätin während einer mehrtägigen auswärtigen Betriebsratstätigkeit durch die Fremdbetreuung ihrer minderjährigen Kinder entstehen, also Aufwendungsersatz zusteht. Dem Betriebsratsmitglied darf durch die gleichzeitige Erfüllung beider Pflichten kein Vermögensopfer entstehen. Dieses Ergebnis mag nicht jedem Arbeitgeber passen, entspricht aber der Rechtslage.

Die pauschale Auffassung im anonymisierten Forumsbeitrag vom 05.03.2012, wonach die notwendigen Kinderbetreuungskosten wegen eines Seminarbesuchs stets von der Schwerbehindertenvertretung zu tragen seien und nicht vom Arbeitgeber, widerspricht dem § 96 Abs. 8 SGB IX, dem Verfassungsrecht und nachfolgender höchstrichterlicher Rechtsprechung des BAG, die analog auch für die Schwerbehindertenvertretung gilt und natürlich auch für Schulungenen nach § 96 Abs. 4 SGB IX entsprechend anwendbar ist wegen vergleichbarer Rechts- und Interessenlage:

"Leitsatz des BAG: Ein alleinerziehendes Betriebsratsmitglied kann vom Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG in angemessener Höhe die Erstattung der Kosten verlangen, die ihm durch die erforderliche Fremdbetreuung seines minderjährigen Kindes während einer mehrtägigen auswärtigen Betriebsratstätigkeit entstehen."
BAG, Beschluss vom 23.06.2010 - 7 ABR 103/08


Maßgeblich für die verfassungskonforme Auslegung des Bundesarbeitsgerichts waren dabei u.a. folgende Überlegungen, Gesichtspunkte bzw. Interessenabwägungen:

"Die Antragstellerin muss die durch die Fremdbetreuung ihrer minderjährigen Kinder entstandenen Mehrkosten nicht selbst tragen. Unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG handelt es sich nicht um Aufwendungen, die dem nicht erstattungsfähigen Bereich der persönlichen Lebensführung zuzuordnen wären. Vielmehr befand sich die Antragstellerin in einer Pflichtenkollision zwischen ihren betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten und der durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG privilegierten Pflicht zur Betreuung ihrer Kinder. Diese Pflichtenkollision durfte sie durch die Inanspruchnahme einer fremden Betreuungsperson zu angemessenen Kosten zugunsten der Erfüllung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben lösen..."

Viele Grüße
Albin Göbel