jada.wasi hat geschrieben:Muss auch dann, wenn Gleichstellung beantragt wurde, aber die Arbeitsagentur darüber noch nicht entschieden hat ... dennoch die SBV vom Arbeitgeber gehört werden, obwohl noch kein Gleichstellungsbescheid vorliegt?
Bei der generellen Rechtsfrage, ob SBV
"vorsorglich" zu beteiligen ist, etwa auch bei der Umsetzung im ÖD oder z.B. bei Entlassung eines Beamten oder bei der Ruhestandsversetzung im ÖD, ist arbeits- bzw. verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
offenbar uneinheitlich:
Das
LAG Berlin-Bbg., 09.05.2018 – 23 TaBV 1699/17, verneinte eine SBV-Beteiligung bei einer "Umsetzung" in dem Jobcenter Berlin M.-H. entgegen Vorinstanz, dem
ArbG Berlin Beschluss vom 17.10.2017, 16 BV 16895/15 (Rechtsbeschwerde anhängig unter 7 ABR 18/18 beim
BAG) sowie entgegen
VGH Baden-Württemberg vom 22.02.1995, 4 S 2359/94 zur Umsetzung/Versetzung. Vergl. auch
Joussen/Düwell LPK-SGB IX 2019 § 211 Randnummer 13, wonach die SBV-Beteiligung auch bereits dann in Betracht komme, wenn im Verwaltungsverfahren der
"Beamte auf das laufende Feststellungsverfahren verweist".
Das LAG BB argumentiert mit dem streng formalisierten SBV-Wahlrecht, dass ohne den Gleichstellungsbescheid kein SBV-Wahlrecht besteht und folglich auch kein SBV-Beteiligungsrecht bestehen könne: Zwingend ist der Schluss vom Wahlrecht aufs SBV-Beteiligungsrecht wohl nicht, da
bei lfd. Verfahren z.B. beim Versorgungsamt nach drei Wochen rechtsvergleichend nach h.M. ggf. das besondere gesetzliche Kündigungsschutzverfahren ("zwingend" statt optional!) greift i.S. des § 173 Absatz 3 SGB IX - und sodann folglich gleichfalls zwingend auch die SBV zu beteiligen ist vom InA gemäß § 170 Absatz
2 SGB IX (vergl.
BAG, 01.03.2007, 2 AZR 217/06). Unzutreffend auch das von den Berliner Arbeitsrichtern zitierte Aktenzeichen des BVerwG: richtig 2 B 79
.10 statt 2 B 79
/10
Das
BVerwG, 07.04.2011 - 2 B 79.10 - Rn. 6/11, bejahte aber grundsätzlich die "vorsorgliche" SBV-Beteiligung z.B. bei Ruhestandsversetzung eines Beamten während des laufenden Gleichstellungsverfahrens in einer Nichtzulassungsbeschwerde, auszugsweise wie folgt:
Dies gilt nicht erst nach erfolgter Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen, sondern bereits während eines laufenden Antragsverfahrens. Der Beamte muss den Dienstherrn von dem laufenden Antragsverfahren unterrichten, wenn er den mit der Anhörung der SBV bezweckten Schutz in Anspruch nehmen will. Für diese Fallgruppe besteht die Möglichkeit der vorsorglichen Anhörung der SBV auf Antrag des Betroffenen, der der Vorbehalt immanent ist, dass das Verfahren vor der zuständigen Stelle zu einer Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. zu einer Gleichstellung führt. Vgl. für die Anhörung der Hauptfürsorgestelle, dem heutigen Integrationsamt: BVerwG, 15.12.1988, 5 C 67.85... (Rn. 6)
Wie bereits ausgeführt, hat der Dienstherr, sobald ihn der Beamte über seine Antragstellung unterrichtet, vorsorglich die SBV anzuhören. Ansonsten besteht eine solche Pflicht des Dienstherrn nicht (Rn 11)
Ebenso so schon
OVG NRW 18.03.2010, 6 A 4435/06 (einstimmig) mit lesenswerter und ausführlicher Begründung, womit sich aber das LAG Berlin-Brandenburg gleichfalls nicht (näher) auseinandersetzte, obgleich
BVerwG mehrfach darauf verwies bzw. Beschwerde gegen Nichtzulassung der Revision zurückwies; vgl.
BVerwG, Beschluss vom 02.12.2010 - 2 B 41.10.
Ist der Arbeitgeber aber der Ansicht, ein Beamter, der das Feststellungsverfahren beantragte, sei gar nicht schwerbehindert, mag er ohne Beteiligung der SBV entscheiden, freilich
auf sein Risiko hin, daß seine Entscheidung u.U. in einem Prozess für rechtswidrig erklärt wird, falls der Schwerbehindertenstatus zwischenzeitlich amtl. festgestellt und nachgewiesen wurde; so schon BVerwG 15.12.1988, 5 C 67.85 Rn 21, vor 30 Jahren zum früheren
SchwbG 1979. Es dürfte dabei
im Kern darum gehen,
• ob nur von einer Option ("Möglichkeit") einer Anhörung auszugehen ist, wie der Fünfte Senat des BVerwG 2008 meinte, oder
• ob darüber hinausgehend von einer Verpflichtung ("solche Pflicht"), wie der Zweite Senat des BVerwG 2011 meinte. Zum
|Meinungsstreit in Rechtsprechung sowie Lehre grundlegend
Düwell/Beyer, BTHG:
"Das neue Recht für Behinderte Beschäftigte" - Rn. 145 bis 149, mit zahlreichen Nachweisen. Und von teilweiser
"Lückenhaftigkeit" des Schwerbehindertenrechts sprach das BAG
"wiederholt" ...
Landesrecht (Richtlinien)
In Ländern wie
Brandenburg (4.2 SchwbRl 2005) und
Niedersachsen (1.2 SchwbRl 2016) ist Beschluss von begrenzter Bedeutung: Denn dort ist für die staatlichen Dienststellen dieser Länder angeordnet, dass die Antragsteller bis zur Entscheidung über ihren Antrag unter Vorbehalt als schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte behinderte Beschäftigte „zu behandeln“ sind.
NB In der Rspr. wird pauschal davon ausgegangen, dass die bloße Anhörung des Arbeitgebers durch die Bundesagentur für Arbeit alleine nicht ausreichend sei zur Geltendmachung des Gleichstellungsstatus. Insoweit wurde jedoch bei „Beweiswürdigung“ der Instanzengerichte nie die Tatsache gewürdigt, soweit ersichtlich, dass eine solche Anhörung nur mit Zustimmung der Antragsteller erfolgt und damit
auf deren Veranlassung. Da aber diese „Beweiswürdigung“, die diesen Umstand ausblendete, niemals in Revisionen angegriffen wurde, hat das BAG bisher insoweit stets „durchgewunken“.
Viele Grüße
Albin Göbel