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Bürokratie, Vorurteile und andere strukturelle Barrieren

Verfasst: Dienstag 14. Februar 2012, 09:48
von CVedder
Hallo Herr Worsek,

die BIH veröffentlicht in Ihren Jahresberichten die Einnahmen- und Ausgabenseiten. Darin ist eindeutig die Zahlenentwicklung zu erkennen. Es kann in den einzelnen Bundesländern aber zu Abweichungen kommen, sprich es auch zu einer Stagnation oder Einnahmeplus führen. In Summe betrachtet haben wir aber derzeit einen Rückgang zu verzeichnen gehabt. Den Jahresbericht können Sie bei der Geschäftsstelle der BIH in Köln anfordern.


Bürokratie, Vorurteile und andere strukturelle Barrieren

Verfasst: Dienstag 27. März 2012, 09:39
von albin.göbel
jürgen.bauch hat geschrieben:Ich glaube, dass Vorurteile den grössten Posten in dem Paket ausmachen...
Hallo Herr Bauch,

da kann man Ihnen nur zustimmen! Deswegen ist auch ein zentraler Punkt von SBV-Grundschulungen und Arbeitgeberveranstaltungen der Integrationsämter, typische hartnäckige Vorurteile (Bremer Studie) bzw. Irrtümer aufzugreifen und diese mit guten Beispielen aus der Praxis sowie konkreten Gegenargumenten zu widerlegen.

Aktuelle Sonderprogramme der Länder zur Förderung der Einstellung schwerbehinderter Menschen finden Sie im letzten Abschnitt bei REHADAT.


Viele Grüße
Albin Göbel

Bürokratie, Vorurteile und andere strukturelle Barrieren

Verfasst: Montag 6. Januar 2014, 12:05
von norbert.nikisch
auf der Internetseite der BIH sind strukturelle Barrieren - etwa bürokratische Hürden oder Vorurteile - ein Grund dafür, dass schwerbehinderte Menschen nur schwer einen Job finden.

Um welche Probleme geht es da genau?

Wie sind Ihre Erfahrungen im Alltag?
Hallo an die Diskussionsrunde,

bei meinem Problem geht es um die Einhaltung bzw. Nicht-Beachtung des § 82 SGB IX.

Ich habe im zurückliegenden Jahr die Erfahrung gemacht, dass selbst eine staatliche Institution, hier die Hamburger Finanzbehörde, sich nicht an die ihr per Gesetz auferlegten Verpflichtungen aus dem § 82 SGB IX gebunden fühlt.

Ein junger Mann, der schwerbehindert ist, hatte sich Anfang 2013 um einen dualen Studienplatz zum Finanzfachwirt bei der Finanzbehörde beworben und obwohl er fachlich geeignet war wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Nach mehren Bitten und Hinweisen, dass gegen den § 82 SGB IX verstoßen wird, war die zuständige Dienstelle nicht bereit ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Im Mai wurde ein Rechtsanwalt beauftragt, welcher Klage beim Arbeitsgericht gegen die Finanzbehörde erhob. Beendet wurde das Verfahren im November mit einem Vergleich. In dem die Finanzbehörde sich ohne Präjudiz bereit erklärte, das dreifache Monatsentgelt eines Anwärters als Entschädigung an den Kläger zu entrichten.

Der Fall im Einzelnen:

Während der ersten Güteverhandlung beim Arbeitsgericht im Mai 2013 hatte der vorsitzende Richter der Finanzbehörde geraten, dem Kläger noch zeitlich passend ein Studienplatz zur Verfügung zu stellen. Da aber die Finanzbehörde keinen entscheidungsbefugten Vertreter zum Verhandlungstermin entsandt hatte, konnte die Gegenseite den richterlichen Rat weder annehmen noch ablehnen. Dann kamen die Sommerferien mit einer langen Pause, in der ebenfalls keine Entscheidung von der Finanzbehörde herbeigeführt werden konnte. Danach wurde behördenintern das Bewerber-Auswahlverfahren für beendet erklärt. Für den Kläger war damit das ursprüngliche Ziel, nämlich die Aufnahme des dualen Studiums, nicht mehr zu erreichen.

Nachdem nun die Frage zur Aufnahme des Studiums für den Kläger abschlägig beantwortet wurde, ging es jetzt in einer weiteren Vergleichsverhandlung um die Höhe des Schadenersatzes, der von der Finanzbehörde für die nicht erfolgte Einladung gem. § 82 SGB XI in Verbindung mit § 15 AGG zu entrichten war. Sie bot dem Kläger für die Rücknahme der Klage einen Geldbetrag in Höhe eines einfachen Anwärter-Monatsgehaltes an.
Der Kläger lehnte dieses Angebot ab. Er wollte in Absprache mit seinem Rechtsanwalt ein Urteil erwirken, in dem die Finanzbehörde wegen ihrer Versäumnisse gerügt wird. Darüber hinaus erhoffte sich der Kläger, dass die Behörde ihre bisherige Einstellungspraxis überdenken würde. Und zwar in dem Sinne, dass diese sich die bislang fehlende Sensibilität gegenüber Benachteiligungen schwerbehinderter Bewerber und Bewerberinnen eingesteht und ihr Verhalten entsprechend ändert. Darüber hinaus hätte ein Urteil sicherlich auch Signalwirkung auf die Einstellungspraxis aller Hamburger Behörden gehabt.

Nachdem die Finanzbehörde das zweifache Monatsgehalt angeboten hatte und der Kläger dieses wiederum ausschlug, kam es zu einem dritten Vergleichsangebot. Um einer drohenden Verurteilung zu entgehen, bot die Finanzbehörde jetzt dem Kläger das dreifache Anwärter-Monatsgehalt an. Dies entspricht der oberen Grenze einer Entschädigungsleistung gem. § 15 AGG. Mit dem Angebot der vollen Entschädigung, entfiel allgemein die Begründung zur Klage und das zweite Ziel des Klägers, nämlich die Verurteilung der Finanzbehörde in der Absicht eine Korrektur der Einstellungspraxis herbeizuführen, war somit auch nicht mehr zu erreichen.

Welche Erfahrungen für die tägliche Praxis im Umgang mit dem SGB IX lassen sich nun für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretungen daraus ableiten?

1. Trotz politischer Beteuerungen, wie Inklusionsinitiativen des Hamburger Senates, gibt es in Behörden und Ämtern immer noch erheblich Widerstände und Vorbehalte gegenüber den im SGB IX definierten sozialpolitischen Zielen. Es hat den Anschein, als sei bei vielen Entscheidungsträgern gerade die sozial verpflichtende Direktive des Gesetzes noch gar nicht ins Bewusstsein gerückt.

2. Für die Schwerbehindertenvertretungen in Hamburg zeigt sich, dass man bei der Verfolgung des Ziels zur Einhaltung von Rechten aus dem SGB IX fortwährend auf Widerstände stößt. Dabei ist es umso bedauerlicher, dass insbesondere junge behinderte Menschen, die sich neben nicht behinderten Bewerben um eine Stelle bewerben müssen, häufig ins Hintertreffen geraten. Sie werden in Bewerbungsverfahren trotz nachgewiesener Eignung gar nicht erst eingeladen bzw. hinten angestellt. Wie der beschriebene Fall aufzeigt, hat sich hier die Finanzbehörde mit Hilfe eingeübter juristischer Praxis aus der Affäre ziehen können. Dabei ist gerade sie als öffentlicher Arbeitgeber per Gesetz aufgefordert, die ihr obliegende besondere sozialpolitische Verantwortung zu übernehmen.

Auch im Hamburger Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN Behindertenkonvention wird sie als Arbeitgeber und Dienstherr dazu verpflichtet sich vorbildlich bei der Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu verhalten.

Auch bittet der erste Bürgermeister Hamburgs Olaf Scholz im Vorwort zum Hamburger Teilhabeerlass die Mitarbeiter seiner Verwaltungen darum, alle die zugunsten schwerbehinderter Menschen getroffenen Bestimmungen großzügig und wohlwollend auszulegen. Wie aber der angeführte Fall zeigt, wehrt sich die Finanzbehörde mit Händen und Füßen, anstatt den Bewerber einfach nur zu einem Gespräch einzuladen.

3 Weiter stellt sich anhand dieses Falles die Frage, wie es mit dem Leitgedanken der Inklusion sowie der Anerkennung und Stärkung von Rechten der SBV zukünftig weitergehen wird. Aktuell finde ich zwar im neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung einige Hinweise dazu. Wie aber sollen sich diese in die Praxis umsetzen lassen, wenn man allen Beteuerungen zum Trotz wieder einmal feststellen muss vor verschlossenen Türen zu stehen.

Anmerkung:
Wer rechtlich noch detaillierter in den Sachverhalt einsteigen möchte, dem empfehle ich auf die Internet-Seite www.rechtsanwalt-wittkuhn.de zu gehen. Dort hat dieser unter der Rubrik Hinweise den Fall aus seiner Sicht eingehend beschrieben.

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Nikisch