Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist lt. BAR*) die „trägerübergreifende“ rechtliche „Grundlage“ für die StW
Das ist falsch und doppelt daneben:SG Sachsen hat geschrieben:Die StW ist nicht nur formal keine medizinische Rehabilitationsleistung der Krankenkasse, sondern auch materiell …
(LSG Sachsen, 21.09.2022, L 1 KR 340/21)
(LSG Sachsen, 21.09.2022, L 1 KR 365/20)
(LSG Sachsen, 14.10.2022, L 1 KR 320/20)
ICF-Praxisleitfaden 1*)
Dass es bei StW um eine „komplexe“ Leistung med. Reha geht (die sich über mehrere Wochen oder gar Monate hinzieht), hat auch BAR bereits 2015 klargestellt in ihrem ICF-Praxisleitfaden 1, Kapitel 3 (Seite 30*), für niedergelassene Ärzte, Abschn. Leistungen der medizinischen Rehabilitation: »Auch Leistungen im Rahmen der stufenweisen Wiedereingliederung oder Nachsorge zählen zur medizinischen Rehabilitation.« Die BAR widerspricht damit klar der Theorie des LSG Sachsen, 14.10.2022, L 1 KR 320/20, wonach die StW „formal“ und „materiell“ keine medizinische Rehabilitationsleistung der GKV sei. Siehe dazu diese Diskussion. Dieser BAR gehören u.a. alle Rehaträger und alle Länder an.
Die Wiedereingliederung ist ein komplexer Prozess, der sorgfältig geplant und durchgeführt werden muss, um die erfolgreiche Rückkehr der Arbeitnehmenden in ihr Berufsleben nach langwieriger Krankheit zu gewährleisten.
Das LSG Sachsen „verkennt insoweit, dass die stufenweise Wiedereingliederung eine eigenständige Leistung der medizinischen Rehabilitation ist und nicht eine ergänzende Leistung“ (so schon LSG NRW, 05.02.2007, L 3 R 39/06, Rn. 29, bestätigt durch BSG, 29.01.2008, B 5a/5 R 26/07 R, wonach die stufenweise Wiedereingliederung “zum Katalog der medizinischen Reha-Leistungen“ zählt (Rn. 20) – und GKV „nach dem SGB IX für die stufenweise Wiedereingliederung als einer Leistung zur medizinischen Reha“ zuständig ist (Rn. 21) gemäß „§ 6 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 5 Nr. 1 SGB IX“.
Das erscheint grob irreführend und suggestiv:LSG Sachsen hat geschrieben:Leitsatz 2: „Die stufenweise Wiedereingliederung ist im SGB V nicht als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ausgestaltet.“ (AZ: L 1 KR 365/20)
Mag schon sein, dass im Gesetzestext dazu wenig steht: Aber dieser Rechtssatz ist so nicht stichhaltig, weil in AU-Richtlinie detailliert und verbindlich ausgestaltet, welche Leistungen von Vertragsärzten regelmäßig zu der StW zu erbringen sind und weil die AU-Richtlinie bekanntlich auf Ermächtigung im SGB V beruht (§ 74 SGB V i.V. mit § 92 SGB V und der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses = geltendes Leistungsrecht, weil GBA insoweit zur Rechtsetzung befugt. Dieses LSG Sachsen hat diese AU-Richtlinie dennoch weder zitiert – geschweige denn sich damit auseinandergesetzt, so als gäbe es sie gar nicht: Auch die „Sozialgerichtsbarkeit“ in Sachsen ist an die AU-Richtlinie gebunden als geltendes Bundesrecht nach Art. 20 Abs. 3 GG. Diese AU-Richtlinie ist_zwar kein formelles Gesetz, aber ähnlich wie zB. eine Rechtsverordnung oder Satzung dennoch geltendes und allgemeinverbindliches Recht: Das dürfen die Gerichte in Sachsen und Thüringen nicht missachten: AU-Richtlinie ist_Gesetz im materiellen Sinne.
Fehlbeschluss aus Thüringen
Wenn der Gesetzgeber und GBA die StW als Behandlungsmaßnahme vorsehen – so können Instanzengerichte nicht einfach das genaue Gegenteil behaupten, wonach die StW weder med. Rehamaßnahme (so aber das LSG Thüringen, Seite 3 und 5) noch med. Rehaleistung sei. Der gerne von Rehaträgern zitierte Beschluss des LSG Thüringen ist als besonders krasse „Fehlentscheidung“ anzusehen - zumal diese StW unstrittig »im unmittelbaren Anschluss an eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme« erfolgte. Da lagen diese Erfurter Sozialrichter auch sonst weit daneben, wie von_Linda Albersmann detailliert gutachtl. nachgewiesen (Fachbeitrag A5-2022, Seite 6 und 9, Fußnote 19 und 35)
Ergänzende Leistung?
Wenn bei StW grds. Anspruch auf ergänzende Leistung laut § 64 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX besteht, so besteht gleichermaßen grds. auch Anspruch auf ergänzende Leistung gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX: „Reisekosten“ Die Auslegung des LSG Sachsen zur StW wird nicht mal der Überschrift in Kapitel 9 - »Leistungen zur medizinischen Rehabilitation« gerecht. Vgl. dazu „Rechtsvergleich“ in Diskussion vom 03.06.2023, wonach die DRV nach wie vor behauptet – dass die StW vorgeblich bloße ergänzende Leistung sei statt medizinischer Rehaleistung - entgegen h.M. sowie Rspr. Auch der AOK-Bundesverband betrachtet StW im Abschnitt: „Hamburger Modell“ als „medizinische Rehabilitation“ wie folgt: „Diese Form der Wiedereingliederung wird als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation eingeleitet.“
GBA = Selbstverwaltungsorgan
Der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (GBA) ist höchstes Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er ist durch den Gesetzgeber beauftragt, in vielen Bereichen über ➔ Leistungsanspruch der Solidargemeinschaft von über 70 Millionen in Deutschland gesetzlich krankenversicherten Menschen rechtsverbindlich zu entscheiden nach Wikipedia: Dies gilt daher auch für alle StW-Vorgaben zu Leistungen bei StW in der AU-Richtlinie mit verbindlicher Anlage lt. § 7 Abs. 1 der AU-Richtlinie!! Das Plenum des GBA tagt öffentlich mit Livestream und Mediathek. Dieser GBA ist demnach wichtiges Gremium der medizinischen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Das verkennen Sozialgericht Leipzig und LSG Sachsen, sowie das LSG Thüringen 2013. Das ist schwerer Rechtsfehler. Zu dem Selbstverwaltungsrecht vergl. bspw. auch „Vorstandsbeschluss“ DRV Bund v. Mai 2008 mit Rechtsgrundlagen.
*) BAR-Praxisleitfaden, Seite 30