albarracin hat geschrieben: ↑Dienstag 23. Februar 2021, 12:16
ich habe es (ca. 2005) so in Seminaren gelernt in ausdrücklicher Ablehnung der Entscheidung des BVerwG vom 8.12.1999 - 6 P 11.98. Es entspricht auch dem Umgang mit derartigen juristischen Formulierungen, den ich in meinem (nicht abgeschlossenem) Studium vermittelt bekam.
Hallo albarracin,
das mag schon sein. Auslegung von Rechtstexten ist Thema im ersten Semester. Danach gibt’s bekanntlich nicht nur eine einzige gängige jur. Auslegungsmethode,
sondern mehrere Auslegungen. Hier haben die Rechtsgelehrten, Richter und Ministerialräte a.D. laut Kontext bzw.
teleologisch ausgelegt, orientiert an dem Sinn und Zweck der Norm, und eben nicht grammatisch streng nach Wortlaut. Dies offenbar deswegen, damit nicht nur bei Betrieben, sondern auch in Dienststellen
und Gerichten der
Charakter als örtlicher SBV nicht verloren geht durch Zusammenfassungen für die Wahl nach
§ 177 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Die Gegenansicht wäre reine Willkür, völlig sinnbefreit und kompletter Unsinn, der durch nichts zu rechtfertigen wäre. Selbstverständlich auch
nicht ableitbar aus der späteren BAG-Rspr. zu der „räumlichen Nähe“ bei Behörden. Eine buchstabengetreue Anwendung der Norm würde dazu führen, dass der vom Gesetz verfolgte Zweck in
_sein genaues Gegenteil verkehrt würde. Demnach den Seminaranbieter evt wechseln, weil Auslegung geradezu „unterirdisch“.
Das ist nicht „gedankliche Volte“ – sondern professionelle Auslegung gemäß der
juristischen Methodenlehre und der höchstrichterlichen Rspr. Solche „flotten Sprüche“ helfen nicht weiter und können niemals eine korrekte juristische Auslegung ersetzen. Aus welchem (vernünftigen) Grund sollte Gesetzgeber eine solche Differenzierung zwischen Betrieben und Behörden wollen – trotz völlig identischer Interessenlage? Siehe
Kurzeinführung in die juristische Methodenlehre der Uni Würzburg. Daher bei Behörden und
_Gerichten räumliche Nähe für Zusammenfassung zwingend nötig. Der
krasse Fehlbeschluss des
OVG Niedersachsen vom 15.07.1998 – 18 L 4560/96, wurde demnach zu Recht vom BVerwG aufgehoben. Diesem Ergebnis hat sich der beteiligte Oberbundesanwalt zu Recht
_angeschlossen, wonach räumliche Nähe nötig. Ebenso auch amtliches
BIH-Lexikon zur SchwbVWO.
albarracin hat geschrieben: ↑Montag 22. Februar 2021, 18:28
bei Dienststellen derselben Verwaltungsstufe ist gem. § 177 Abs. 1 Satz 4
keine räumliche Nähe notwendig, sprachlich deutlich erkennbar durch das Wort "oder" im Gesetzestext.
Dieser exklusiven haltlosen Einzelmeinung ist energisch zu widersprechen. Solche Thesen ins Forum zu schreiben, die entgegenstehende h.M. einfach hier zu “verschweigen“ und damit zu „suggerieren“, als gäbe es sie nicht, kann ich nicht nachvollziehen. So werden mitlesende Einsteiger nur in die Irre geführt und verunsichert. Ich kenne keinen Kommentar, welcher diese wirklich
schräge Ansicht für den öffentlichen Dienst auch nur ansatzweise teilt - entgegen BIH-Experten (Adlhoch), BAG-Experten (Düwell) sowie BMAS-Experten (Dr. Cramer). Die „richterliche Gesetzesauslegung“ wird bestimmt durch die allgemeinen
Auslegungsregeln nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes – also nicht allein und zwingend nach bloßer sprachlicher Formulierung, die den „
Charakter als örtlicher SBV“ ignoriert für Behörden als auch für Gerichte im letzten Halbsatz.
Hätte dem Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerwG von 1999 für Behörden sowie Gerichte zum SchwbG nicht gepasst, dann hätte er in Kenntnis dieses Beschlusses das SGB IX anders gefasst. Hat er aber nicht – nicht beim SGB IX von 2001 und nicht beim BTHG 2016. Also entsprach die Auslegung des
Bundesverwaltungsgerichtes schon damals der Ansicht und dem Willen des historischen Gesetzgebers. Und daran hat sich offensichtlich bis heute nichts geändert, wäre zudem reine Willkür, weil die Differenzierung sachlich durch nichts zu rechtfertigen wäre. Dem Gesetzgeber kann keine willkürliche Normierung, allenfalls missverständliche Normierung unterstellt werden für Behörden und Gerichte.
Beste Grüße
Heidi Stuffer