Hilflos und ratlos

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kranzberg

Hilflos und ratlos

Beitrag von kranzberg »

Das Thema liegt mir schwer am Herzen. Es geht um einen schwerbehinderten Kollegen, der durch eine seltene Erkrankung viele Arbeitsunfähigkeitszeiten aufzuweisen hat. Sein letztes BEM hatte er 2012. Nach einem Führungskraftwechsel ist die neue Führungskraft nicht mehr gewillt mit diesem Kollegen weiterzuarbeiten. Der Kollege stellte 2017 zwei Überlastungsanzeigen. Keine Reaktion vom Arbeitgeber. Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung, die 2015 stattgefunden hatte, wurden nicht umgesetzt. Die Gefährdung wurde im Laufe der Zeit noch bedrohlicher. Ein Präventionsverfahren hätte schon 2014 stattfinden müssen, wurde aber auch damals nicht umgesetzt. Jetzt hatte er im Beisein von BR, SBV, IFD und Personal ein Personalgespräch. Resultat war, dass die Führungskraft nicht gewillt ist einen Minderleistungsausgleich zu beantragen, den der Kollege der Führungskraft zur Weiterbearbeitung ausgehändigt hat, sowie überhaupt weiter mit dem Kollegen zusammenzuarbeiten. Andere Stellenmöglichkeiten (Stichwort: leidensgerechter Arbeitsplatz) werden mit den Argumenten, das solche Arbeitsplätze im Unternehmen nicht existierten, vom Arbeitgeber nicht vorgeschlagen. Dem Kollegen bleibt nur der Weg einen solchen Arbeitsplatz einzuklagen. Damit aber ist das Risiko groß, dass das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber gestört ist und man versuchen wird, durch Vergleich und einer eventuellen Abfindung diesen Kollegen in die Arbeitslosigkeit zu schicken, in der er vermutlich dann auch bleiben wird. Wie kann BR und SBV diesen Kollegen vor einen solchen Weg schützen?
albin.göbel
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AW: BEM und seltene Erkrankungen

Beitrag von albin.göbel »

kranzberg hat geschrieben:Es geht um einen schwerbehinderten Kollegen, der durch eine seltene Erkrankung viele Arbeits­un­fä­hig­keitszeiten aufzuweisen hat.
TIPP Es gibt bspw. in Essen eine auf bestimmte seltene Erkrankungen spezialisierte renommierte Uniklinik. Evt. Kontakt suchen. Netzwerk ACHSE.

kranzberg hat geschrieben:... dass die Führungskraft nicht gewillt ist, einen Minderleistungsausgleich zu beantragen.
Ein solcher Ausgleich ist wohl nur bedingt geeignet, wenn hier gehäufte Ausfallzeiten im Vordergrund stehen sollten. Denn dafür ist der Beschäftigungssicherungszuschuss (vormals „Minderleistungsausgleich“ genannt), der einen anderen Zweck hat, nicht gedacht nach Nr. 6.1.1 der B­IH-­Em­pfeh­lun­gen 2018 zu § 27 SchwbAV.

kranzberg hat geschrieben:Andere Stellenmöglichkeiten (Stichwort: lei­dens­ge­rech­ter Arbeitsplatz) werden mit den Argumenten, dass solche Arbeitsplätze im Unternehmen nicht existierten, vom Arbeitgeber nicht vorgeschlagen.

Das ist ziemlich pauschal - hört sich alles eher an nach einem „Ausgliederungsmanagement“ („keine Reaktion; nicht umgesetzt“ 2x) Der Punkt behinderungsgerechter Arbeitsplatz (konkret eruieren unternehmensweit) gehört vorrangig ins Präventions- bzw. BEM-Verfahren gemäß ständiger Rechtsprechung. Genau dafür ist das BEM ja da. Nur auf Vorschläge eines AG zu warten ist m.E. zu kurz gegriffen. Hier sind BR/SBV gezielt gefordert, da diese wie sonst niemand die be­trieb­li­chen Verhältnisse näher kennen sollten. Hat das erwähnte „Unternehmen“ mehrere Betriebe, wäre auch dieses zu erwägen, und sodann in diesen Suchprozess mit einzubeziehen. Mir scheint, dass hier bisher weder professionelles noch ordnungsgemäßes BEM praktiziert wurde. Vergl. grdl. Prof. Düwell, LPK-SGB IX, 5. Auflage 2019 zu § 167.

kranzberg hat geschrieben:Dem Kollegen bleibt nur der Weg einen solchen Arbeitsplatz einzuklagen.

NEIN So pauschal geht dieses m.E. ohnehin nicht! Um welchen konkreten Arbeitsplatz sollte es denn hier nun gehen, welcher geeignet(er) wäre? Der müsste erstmal ausfindig gemacht werden. Vergleiche dazu aktuell das Urteil des ArbG Stuttgart, 14.05.2019 - 9 Ca 135/18

Sollten hier anhaltend gehäufte Krankheitszeiten seit dem letzten BEM 2012 angefallen sein, hätte natürlich „erneut“ BEM als „Suchprozess“ angeboten werden müssen. Das sollte eigentlich auch diese Geschäftsleitung wissen. Zu dieser Rechtsfrage wurde wiederholt schon seit 2012 in diesem Forum mehrfach diskutiert, z.B. hier und hier.

Viele Grüße
Albin Göbel
kranzberg

Re: Hilflos und ratlos

Beitrag von kranzberg »

Hallo Herr Göbel,

ich danke Ihnen sehr für Ihren Beitrag!!!

Ich vergaß zu erwähnen, dass der Beschäftigungssicherungszuschuss deshalb vom Kollegen an die Führungskraft übergeben wurde, da er die von der Führungskraft vorgegebene Schlagzahl an zu bearbeitenden Vorgängen nicht mehr schafft. Die Folge ist Burn-out verbunden mit hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Den nicht behinderten Kolleginnen und Kollegen geht es zwar nicht besser aber der von mir erwähnte Kollege hat es ganz schwer getroffen, verbunden mit der Angst vor Arbeitslosigkeit. Das Unternehmen reagiert nicht und wartet auf einen verhaltensbedingten Grund diesen Kollegen vor das Arbeitsgericht zu bringen. Jetzt wird zwar ein Präventionsverfahren von Personal in die Wege geleitet, leider, finde ich, viel zu spät. Führungskräfte anderer Abteilungen, die man bzgl. eines leidensgerechten Arbeitsplatzes anspricht, ducken sich weg mit dem Argument es existiere kein leidensgerechter Arbeitsplatz bei ihnen und eine Verminderung der Arbeitsmenge ist überhaupt nicht möglich, auch wenn das Inklusionsamt den Beschäftigungssicherungszuschuss gewähren würde. Seine neue Führungskraft hat ihn deutlich zu verstehen gegeben, nicht mehr mit ihm weiter zu arbeiten.

Herzliche Grüße
Kranzberg
SchmeixFliege

Re: Hilflos und ratlos

Beitrag von SchmeixFliege »

Wie Herr Göbel bereits erwähnt hat, kennen ja BR und SBV die Betriebsabläufe sehr genau und können meist sehr gut abschätzen, welche Alternativen im Betrieb möglich wären, wenn es am jetzigen Arbeitsplatz zu fortwährenden und gesundheitsschädigenden Problemen kommt. Ein Vorgesetzter, der einen bei der Arbeitsleistung schwächeren Mitarbeiter loswerden will, findet genügend Möglichkeiten, diesen zu demoralisieren und in die Ecke zu treiben, bis dieser wie ein getretener Hund dann irgendwann zu zwicken anfängt (z.B. Überlastungsanzeige) bzw. was Unangemessenes sagt, das man gegen ihn verwenden kann und ihn dadurch loswerden kann.

Eine Firma kann nicht als reines Wohlfahrtsunternehmen am Markt bestehen, aber ohne ein soziales Betriebsklima, wird eine Firma meist auch nicht auf Dauer erfolgreich sein.
Hier ist die Kunst und Aufgabe des BR und der SBV die Schwierigkeiten der (einzelnen) Mitarbeiter dem Arbeitgeber, der ja primär nur seine eigene Sprache/Sichtweise kennt, ebenso "verständlich" zu machen, damit das Ganze besser funktioniert, und nicht darauf zu warten oder vertrauen, dass der Arbeitgeber von selbst zu den erforderlichen Erkenntnissen gelangt. Für den Arbeitgeber ist es schon auch wichtig, dass ein Vorgesetzter auch die Fähigkeiten hat seine Leute zu motivieren und mitzunehmen, und er ebenfalls fähig ist für Schwierigkeiten seiner Mitarbeiter keine betriebsklimaschädliche Lösung zu suchen. Der BR und die SBV muss die Wichtigkeit eines guten Betriebsklimas wie ein Mantra dem Arbeitgeber ständig vorbeten, denn der Mitarbeiter allein steht auf verlorenem Posten. Und Vorgesetzte wissen sehr gut, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn sie die Unternehmensphilosophie auch mittragen.

Eines ist klar, wenn ein Mitarbeiter über lange Zeit schon stark angeschlagen ist, dann wird es beim gleichen Vorgesetzten wohl meist nur noch tiefer nach unten gehen.
Also muss der Arbeitgeber in diesem Fall von der SBV, dem BR und dem BEM-Team mit guten und aller Voraussicht nach auch funktionierenden Lösungsvorschlägen ordentlich versorgt werden.
Genau dafür wurden vom Gesetzgeber diese Stellen eingerichtet und es ist nicht die Aufgabe des Mitarbeiters selbst aus lauter Verzweiflung seinem Arbeitgeber eine Lösungsoption durch einen Antrag auf Minderleistungsausgleich aufzuzeigen.

Je mehr die Interessensvertretungen (BR und SBV) sich hier permanent einschalten und vor den Schwerbehinderten stellen, umso weniger gerät der Mitarbeiter in die Gefahr hier unbedacht oder im Affekt selbst Munition zu liefern.

Da die Gesetze hier sowieso nur Grundlegendes bzw. Mindeststandards regeln (können), sind insbesondere Inklusionsvereinbarungen das Mittel der Wahl, um auch die betrieblichen Gegebenheiten und Schwierigkeiten besser aufgreifen und regeln zu können.

Alle geeigneten, gebotenen und vereinbarten Maßnahmen zum Erhalt des Arbeitsplatzes, die der Arbeitgeber nachweislich nicht aufgegriffen bzw. nicht ordentlich durchgeführt hat (Prävention, BEM, Gefährdungsbeurteilung, Inklusionsvereinbarungen) und die von den Interessenvertretungen gut dokumentiert sind, kann man ihm dann auch bei einem späteren Zustimmungsantrag zur Kündigung an den Kopf werfen und werden sich für ihn dann (hoffentlich) als Bumerang erweisen. Und selbst wenn es nur die Abfindungssumme für einen Vergleich, der zwar meist ein Übel ist, aber in manchen Fällen sogar das kleinere Übel sein kann, nach oben treibt.
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