albarracin hat geschrieben:die neu geschaffene Pflicht zur Kündigungsanhörung
Neu geschaffen ist die nicht. Diese Pflicht gibt’s schon seit dem SchwbG 1974, also seit Jahrzehnten. Lediglich diese Rechtsfolge von Verstößen wurde endlich geändert.
jada.wasi hat geschrieben:Was ist davon zu halten?
Gar nichts – weil zuständige Ersatzvertretung von Rechts wegen: Die überörtliche SBV ist dann kraft Gesetzes anstelle einer örtlichen SBV zu beteiligen nach
§ 180 Abs. 6 SGB IX und zwar vom Arbeitgeber nach
§ 178 Abs. 2 SGB IX als auch ggf. vom InA gemäß
§ 170 Abs. 2 SGB IX. Das ist schon
seit 44 Jahren so seit SchwbG 1974, also ziemlich "alter Hut" – und das wird m.W. seither auch so von
InÄ unterrichtet in Seminaren.
Ignoriert das ein Arbeitgeber, greift seit Art. 1 und 2 BTHG die Unwirksamkeitsklausel. Sollte auch das Integrationsamt nicht anhören, wäre dessen Entscheidung ggf. schon deshalb regelmäßig angreifbar laut ständiger Rechtsprechung (Düwell, LPK-SGB IX, Rnr. 34 zu § 87 SGB IX a.F. m.w.N). Eben deshalb ist das
InA verpflichtet und gehalten, auch die überörtliche SBV
obligatorisch formblattmäßig abzufragen für Betriebe ohne eine örtliche SBV, so wie z.B. in
Bayern*) und
Hessen. Denn ansonsten könnte InA ggf. nicht wie gesetzlich geboten die überörtliche SBV anhören, was dann regelmäßig eine Zustimmung des InA angreifbar machen würde.
Soweit Dr. Prieschl und Dr. Meißner meinen, dass GSBV nicht zu beteiligen sei, da eine "ortsfremde" SBV nicht den nötigen Einblick in den Betrieb habe, wie es eine örtliche SBV habe, ist das nicht stichhaltig und nicht zwingend und geht ohnehin völlig am Gesetz vorbei, das eben
kein solches Kriterium enthält in § 180 Abs. 1
Satz 2 sowie Abs. 6 SGB IX, und widerspricht zudem klar dem BAG und BVerwG, sowie den Gesetzesmaterialien: Dieses von Prieschl und Meißner frei „erfundene“ Tatbestandsmerkmal gibt es nicht. Dieses Ansinnen von Prieschl und Meißner, das System der SBV-Ersatzvertretung für die Kündigung komplett einzustampfen per Auslegung, ist entgegen deren Ansicht nicht durch den “Sinn und Zweck der Anhörung“ gedeckt. Die Begründung, dass es im BetrVG keine entsprechende Ersatzvertretung des GBR gebe, soweit kein örtl. BR besteht, besagt nichts. Das ist ein Blick durch die „betriebsverfassungsrechtliche Brille“, die hier im SGB IX nur in die Irre führt:
Bedeutsam ist vielmehr einerseits die schwerbehindertenrechtliche Sachkunde beziehungsweise Fachkompetenz der speziell geschulten GSBV, die es einzubringen bzw. sodann zu erwägen gilt. Zweitens gibt es (hier mal "über den Tellerrand" geschaut) bekanntlich standortübergreifende bzw. etwa "unternehmenseinheitliche" Wahl- und
Vertretungsbezirke örtlicher Betriebsräte bzw. Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben gemäß
§ 3 BetrVG, die u.U. ganze Regionen oder gar das gesamte Bundesgebiet umfassen können - etwa von Flensburg bis Freilassing oder Freiburg - und nicht nur einen einzelnen Standort, was aber Prieschl/Meißner u.a. "ausblenden" (vgl nur Wahlbroschüre, Seite 10/11, und Abschnitt 1.4 zur "Ersatzvertretung"
GSBV,
BSBV, HSBV, KSBV, sowie
Düwell/Beyer zum BTHG, Seite 93, wonach "die Frage der
Örtlichkeit keine wesentliche Bedeutung für die Bildung der Vertretungen nach dem Dienststellen- bzw. Betriebsbegriff hat").
Quellen:
• Ebenso
Fachlexikon, Stichwort
GSBV:
"Sie vertritt auch die Interessen der sb. Beschäftigten, die in einem Betrieb bzw. einer Dienststelle tätig sind, für die eine SBV entweder nicht gewählt werden kann oder nicht gewählt worden ist." Vgl Düwell, LPK-SGB IX, Rn. 54 zu § 97 SGB IX a.F., HaKo-BetrVG, § 32 Rn. 59, sowie schon BAG vom 28.07.1983, 2 AZR 122/82, zum
"Gesamtvertrauensmann" zum damaligen § 24 Abs. 5 SchwbG a.F.
• Ebenso
Fachlexikon, Stichwort
BSBV:
"Sie nimmt ferner die Interessen der sbM wahr, die in einer Dienststelle tätig sind, für die keine SBV gewählt werden kann oder gewählt worden ist." Dgl. schon
BVerwG, Beschluss vom 08.12.1999, 6 P 11.98, Rn. 25 am Ende, für
"Gesamt-, Bezirks- und Hauptvertrauensleute" unter Hinweis auf das SchwbG 1974 und dessen Gesetzesmaterialien (
BT-Drs. 7/656, 10.05.1973).
• Ferner
ArbG Darmstadt betreffs
KSBV vom 14.11.2017, 9 Ca 249/17, zur Beteiligung einer KSBV als Ersatzvertretung.
• Ferner bereits
BVerwG betreffs
HSBV, Beschluss vom 08.12.1999, 6 P 11.98, Rn. 25 am Ende, für Gesamt-, Bezirks- und
"Hauptvertrauensleute" m.w.N.
• Ferner
BAG, 04.11.2015 - 7 ABR 62/13 -
Rn. 17, zu dem erstreckten Mandat kraft gesetzlichen Auftrags unternehmensweit nach § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F, soweit einer örtlichen SBV das Mandat einer GSBV zufällt. Das gilt auch im ÖD für den sog "Geschäftsbereich" kraft Gesetzes iS. des
§ 180 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (vgl. den grün markierten Gesetzestext). Ebenso Düwell, LPK-SGB IX, Rn. 36 zu § 97 SGB IX a.F, zur
"lückenlosen Vertretung im Unternehmen und Geschäftsbereich"; HaKo-BetrVG, § 32 Rdnr. 59;
Wahlbroschüre, Abschnitt 1.4, zur Ersatzvertretung "kraft gesetzl. Auftrags";
a.A. Esser/Isenhardt,
jurisPK-SGB IX, § 180 Rn. 9, nach deren Ansicht die Klausel nicht für die anderen Betriebe nach § 180 Abs. 1
Satz 2 SGB IX greife entgegen BAG, 04.11.2015 - 7 ABR 62/13 -
Rn. 17, zum Erstreckungskonzept des SGB IX.
Rechtsvergleich
Rechtsvergleichend sind die Gegenargumente von Prieschl/ Meißner und Esser/ Isenhardt ohnehin „Unfug“ für etwa nach
§ 3 BetrVG per TV oder BV gebildete Wahlbezirke, welche bekanntlich sogar bundesweit gebildet werden können. Auch diesen BR-Wahlbezirken folgen die SBV-Wahlbezirke lt. BIH-Wahlbroschüre. Örtl. BR sowie die örtl. SBV müssen folglich mitnichten zwingend ortsnah sein zu den einzelnen landes- oder bundesweit verstreuten Betriebsstätten. Denn diese vereinbarten betriebsratsfähigen „Organisationseinheiten“ etwa per Zuordnungstarifvertrag gelten als Betriebe lt. § 3 Abs. 5 BetrVG - unabhängig von räumlicher Ausdehnung. Hier
_wie dort kommts nicht darauf an, ob es sich um eine „ortsfremde“ Vertretung handelt. Der Begriff „örtliche“ SBV kommt ohnehin nirgends im SGB IX vor.
Viele Grüße
Albin Göbel
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*) Bayern: „Falls im Beschäftigungsbetrieb keine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist, geben Sie bitte (falls vorhanden) die Kontaktdaten der Gesamt-, Bezirks-, Haupt- oder Konzernschwerbehindertenvertretung an.“