Mitarbeitergespräche statt Eingliederungsmanagement?

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magdalena.mayer
Beiträge: 88
Registriert: Dienstag 2. November 2010, 11:14

Mitarbeitergespräche statt Eingliederungsmanagement?

Beitrag von magdalena.mayer »

Hallo zusammen,

welche möglichen Konsequenzen hat es, wenn der Arbeitgeber die schwerbehinderten Beschäftigten zu "Mitarbeitergesprächen" einbestellt, anstatt wie gesetzlich vorgegeben ein BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX anzubieten, und darüber weder den Personalrat noch die Schwerbehindertenvertretung informiert?

Darf das der Arbeitgeber überhaupt? Und muß der Beschäftigte an solchen "Mitarbeitergesprächen" teilnehmen?


Viele Grüße

Magdalena Mayer
Ulrich.Römer

Mitarbeitergespräche statt Eingliederungsmanagement?

Beitrag von Ulrich.Römer »

Hallo Frau Mayer,

das Mitarbeitergespräch (Abkürzung: MAG) zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist ein Instrument, in dem die Beteiligten regelmäßig (üblicherweise jährlich mit zusätzlichen Review-Terminen) oder bei Bedarf spezifische und damit anlassbezogene Inhalte (wie etwa Zielvereinbarungen, Leistungsbeurteilungen, Weiterbildung, persönliche Rückmeldungen, Entwicklungsmöglichkeiten, offene Fragen etc.) besprechen. Soweit die Gespräche papiergebunden erfolgen, orientieren sie sich häufig an Personalbögen, Leitfäden, Checklisten und/oder Formularen, die auch als Struktur für die Gesprächsführung durch die Führungskraft dienen. Alternativ kann auf softwaregestützte Systeme (meist webbasiert) zurückgegriffen werden.(aus Wikipedia)
Es hat damit eine ganz anderen Charakter und eine andere Zielsetzung als Gespräche im Rahmen des BEM.

Das BEM-Gespräch gibt es widerum nur dann, wenn die Voraussetzung nach § 84 Abs. 2 SGB IX (6 Wochen AU) vorliegt.

Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist für den Betriebsrat und damit auch für die SBV leicht zu prüfen: das BAG hat in einem Beschluss vom 7.2.2012 (1 ABR 46/10) entschieden, dass der Betriebsrat Anspruch darauf hat, dass ihm der Arbeitgeber quartalsweise ein Verzeichnis mit Namen der Arbeitnehmer aushändigt, die im zurückliegenden Jahreszeitraum länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren. Dies gilt auch, wenn diese der Weitergabe nicht zugestimmt haben.

Die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebs-/Personalrat sind nur bei den BEM-Gesprächen in denen es der Betroffene ausdrücklich ablehnt nicht dabei. Der Gesetzgeber schreibt dann lediglich ein ergebnisoffenes BEM-Verfahren vor, regelt aber nicht die einzelnen konkreten Schritte.

Das "normale" Mitarbeitergespräch ist also nicht mit dem BEM-Gespräch vergleichbar oder zu verwechseln.

Grüße
Ulrich Römer

magdalena.mayer
Beiträge: 88
Registriert: Dienstag 2. November 2010, 11:14

Mitarbeitergespräche statt Eingliederungsmanagement?

Beitrag von magdalena.mayer »

Danke für Ihre ausführliche Antwort.

Ich habe dazu eine Nachfrage: Der Arbeitgeber bietet, obwohl alle BEM-Voraussetzungen vorliegen, prinzipiell kein Eingliederungsmanagement an, sondern bittet stattdessen in solchen Fällen (unter Umgehung der Interessenvertretungen) zu Vier-Augen-Gesprächen, die er als Mitarbeitergespräche "etikettiert", obwohl es sich inhaltlich um nichts anderes als BEM-Gespräche handelt. In der Vorladung gibt es keinerlei Hinweise zur Freiwilligkeit und auch keine Hinweise nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, obwohl zusammen sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit im letzten Jahr erreicht wurden.

Darf er das einfach und besteht überhaupt Teilnahmepflicht, wenn der Arbeitgeber wie hier zu Mitarbeitergesprächen auffordert, bei denen es sich aber tatsächlich um reine Ersatzgespräche für das BEM handelt?

Viele Grüße

Magdalena Mayer
albin.göbel
Beiträge: 701
Registriert: Mittwoch 10. November 2010, 14:55

Mitarbeitergespräche statt Eingliederungsmanagement?

Beitrag von albin.göbel »

magdalena.mayer hat geschrieben:In der Vorladung gibt es keinerlei Hinweise zur Freiwilligkeit und nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX...
Hallo Frau Mayer,

der AG hat keine Befugnis, das Gesetz zu umgehen. Ich sehe das als einen typischen Umgehungstatbestand und eine Verletzung gesetzlicher Arbeitgeberpflichten an, also rechtswidrig. Die Transparenzvorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX, wonach - vorab - z.B. auf Freiwilligkeit und den gesetzlich garantierten Beteiligungsanspruch betrieblicher Interessenvertretungen, wenn der Betroffene das will, sowie den Zweck und den Beschäftigtendatenschutz hinzuweisen ist, sind keine unverbindlichen Empfehlungen, sondern zwingende Verfahrensvorschriften nach der Rechtsprechung. Kein Arbeitgeber darf diese zum Schutz der Beschäftigten erlassenen Verfahrensvorschriften bzw. Informationspflichten einfach aushebeln (BAG, 24.03.2011, 2 AZR 170/10; BAG, 07.02.2012, 1 ABR 46/10, Rn. 12/19).

Hier sind die Interessenvertretungen zusammen mit dem Beauftragten des Arbeitgebers von Rechts wegen aufgerufen, darauf hinzuwirken, dass der Arbeitgeber solche eher intransparente Praktiken abstellt. Gelegenheit dazu bietet z.B. das nächste Monatsgespräch. Und außerdem ist eine Vorladung sbM zu solchen wie auch immer von der Personalverwaltung "etikettierten" BEM-Gesprächen, Mitarbeitergesprächen, Personalgesprächen, Sozialgesprächen, Präventionsgesprächen bzw. Kranken-Rückkehrgesprächen "hinter dem Rücken" der Schwerbehindertenvertretung regelmäßig als ordnungswidrig anzusehen (§ 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX), sanktioniert bei Vorsatz mit Geldbuße bis zu 10.000 Euro für jeden Einzelfall.

Viele Grüße
Albin Göbel
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