Heidi Stuffer hat geschrieben:Kann diese zweifelhafte Auslegung des LAG Nürnberg als überholt angesehen werden?
Ja, hinfällig und rechtswidrig:
Hallo zusammen, halte die gesamte Argumentation des
LAG Nürnberg für ziemlich
schief und nicht ansatzweise für nachvollziehbar sowie für einen kompletten Irrweg, wogegen jedoch keine Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt wurde, obgleich vom LAG zugelassen. Das LAG
München 2014 und LAG
Stuttgart 2015, LAG
Hamm 2015, OVG
Münster 2012, Rn 30/31, sind dem nicht unkritisch gefolgt in einem halben Dutzend Beschlüssen, da das LAG Nürnberg das Anfechtungsrecht gesetzwidrig eingeschränkt hatte; sie haben alle das genaue Gegenteil rechtskräftig beschlossen.
Die ganze wahlordnungsrechtliche Argumentation des LAG Nürnberg ist scharf daneben, weil die Wahlordnung über Anfechtungen gar nichts regeln kann, weil in der Verordnungsermächtigung ja nichts darüber steht (
§ 183 SGB IX, zuvor § 100) und daher "gesetzeskonform" auszulegen ist: Die Wahlordnung als Rechtsverordnung ist gegenüber dem Gesetz die klar schwächere Rechtsnorm (
§ 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m.
§ 19 BetrVG
sinngemäß*) und nicht umgekehrt. Da hat es sich das LAG Nürnberg zu leicht gemacht mit seinen "Unterstellungen" bezüglich "missbräuchlichem" Verhalten bzw dem vorgeblichen "Zweck" der Wahlordnung. Darüber zu befinden ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
Heidi Stuffer hat geschrieben:Gilt das ebenso für SBV-Wahlen?
Ja, gilt auch für SBV-Wahlen:
Diese Rechtsprechung ist auch sinngemäß übertragbar auf förmliche SBV-Wahlen wg. vergleichbarer Rechts- bzw Interessenlage lt. dem Fachschrifttum (ausführlich
Knittel, SGB IX, § 94 Rn 104/104a mit zahlreichen Nachweisen; so auch ausdrücklich schon das LAG
München, 28.05.2014, 8 TaBV 34/12, für SBV-Wahlen;
a.A. die BIH, Wahlbroschüre, Seite 93) für Betriebe, Dienststellen, Gerichte, was jedoch strikt abzulehnen ist laut der ständigen höchstrichterlichen Rspr. - zuletzt
BVerwG, 21.07.2009 – 1 WB 18.08,
Rn. 30, sowie
BAG, 02.08.2017 – 7 ABR 42/15,
Rn. 20. Vgl. dazu auch
Diskussion aus 2017 mit Rspr. BVerwG seit 1968.
Es kommt somit nicht darauf an – ob bzw. warum kein Einspruch innerhalb der wahlordnungsrechtlichen
Frist oder erst danach oder nur mündlich eingelegt wurde, da das im förmlichen Gesetz
gerade nicht vorgesehen ist laut h.M. als Voraussetzung für Anfechtung wg. fehlerhafter Wählerliste (abweichend von der dem LAG Nürnberg folgenden BIH-Wahlbroschüre, Seite 93). Daher können Anfechtungen wg. fehlerhafter Wählerliste nicht mehr rein formal abgewehrt werden mit dem bloßen Hinweis, es sei kein Einspruch eingelegt worden nach
§ 4 SchwbVWO: Wahlvorstände sind folglich gut beraten, die Wählerliste mit großer Sorgfalt zu erstellen, ggf. zu
aktualisieren und auf dem Laufenden zu halten und zwar durchgängig bis zum Tag vor der Wahl.
Die Wahlvorstände sollten sich nicht "blind" darauf verlassen, welche Daten sie vom Arbeitgeber erhalten, sondern vielmehr dessen "Rohmaterial" zumindest einer kritischen Plausibilitätsprüfung unterziehen, etwa anhand der
"Entscheidungstabelle" der Wahlbroschüre, Abschnitt 3.3.
Der Wahlvorstand könnte sich z.B. fragen: Wurden
ruhende Beschäftigungsverhältnisse gemeldet wie Elternzeit u.a? Wurden
geringfüg Beschäftigte gemeldet? Wurden
Leiharbeitnehmer gemeldet - die anders als bei BR-Wahlen schon ab dem ersten Tag wahlberechtigt sind? Wurden etwaige
Probebeschäftigte gemeldet.
TIPPS Gezielt und ausdrücklich bei Ihrem Arbeitgeber nach solchen Beschäftigungsverhältnissen fragen, die gerne mal vergessen bzw übersehen werden und ansonsten "durchrutschen" könnten, wie der Fall des LAG Nürnberg u.a. zeigen. Weitere Tipps zur gezielten Anfrage siehe
hier.
Viele Grüße
Albin Göbel
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*) Ebenso
Düwell, Handbuch zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung, 2. Auflage 2018, Abschnitt 10.3.2;
Knittel, SGB IX, § 94 Rn. 104/104a;
Sachadae, 11.01.2017, jurisPR-ArbR 2/2017 Anm. 6;
Hohmann in Wiegand/Hohmann, SchwbVWO, Rn. 61 der Einleitung unter Hinweis auf ständige Rechtsprechung des
BVerwG seit einem halben Jahrhundert ab 1968 für PR-Wahl; Prof. Dr.
Brors, HaKo-BetrVG, 5. Auflage 2018, § 19 Rn 15, für BR/SBV-Wahl, und
Sachadae, § 4 WO-BetrVG, Rn. 3 m.w.N.