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Darf Dienststellenleiter Wahlvorstand für Zwischenwahl ohne Weiteres bestellen?

Verfasst: Dienstag 26. Juli 2022, 19:19
von Heidi Stuffer
LAG Berlin-Brandenburg, 03.05.2022 - 7 TaBV 1697/21
anhängig bei dem Bundesarbeitsgericht – 7 ABN 57/22
Anmerkung von Schäfer, jurisPR-ArbR 32/2022 Anm. 6

Hallo zusammen,

halte die Bestellung des SBV-Wahlvorstands durch Berliner Dienststellenleiter für generell ausgeschlossen (so schon Cramer, SchwbG 5. Aufl. 1998 § 1 SchwbWO Rn 2) in allen Konstellationen entgegen einer verbreiteten Meinung in der Rechtsliteratur. Die anhängige Nichtzulassungsbeschwerde der 2020 apl. gewählten SBV (BAG – 7 ABN 57/22) bei der „Polizeidirektion Einsatz und Verkehr (Dir E/V)“ dürfte m.E. auch daher extrem geringe Erfolgsaussichten haben. Man darf gespannt sein, ob dieser Siebte Senat noch vor dem Ablauf der verkürzten Amtszeit am 30. Nov. 2022 zu einer Entscheidung kommt bzw. Bestellung als nichtig ansieht – weil ja in keiner denkbaren Konstellation zu einer solchen Bestellung befugt laut Dr. Cramer, Ministerialrat a.D. und langjähriger Referatsleiter u.a. für die Eingliederung sbM auf_dem allgem. Arbeitsmarkt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Cramer sollte das wissen, da für die SchwbWO zum SchwbG sowie für die neue SchwbVWO zuständig im Ministerium bis zu seiner Pensionierung.

1. Kein Bestellrecht analog
Vergl. nun auch die BIH-Wahlbroschüre 2022, Kapitel 1.1.1 Seite 12: „Aufgrund des abschließenden Charakters des § 1 SchwbVWO scheidet auch Bestellung eines Wahlvorstands durch … einen Dienststellenleiter ( gemäß § 22 BPersVG ) aus …“ [ gemeint wohl richtig: § 23 BPersVG n.F. ] Dieser geänderten BIH-Ansicht mit Verweis aufs ArbG Stuttgart, 26.01.2021, 7 BVGa 1/21, ist m.E. klar zuzustimmen. Das mag zwar u.U. angehen für die PR-Wahlen in Berlin (§ 18 PersVG Berlin), dass Dienststellenleiter den Wahlvorstand für PR-Wahlen bestellt – aber unter keinen Umständen für SBV-Wahlen – nicht analog und auch nicht in Abstimmung mit einer GSBV wie hier. Weder GSBV noch Dienststellen­leitung sind in § 1 Abs. 1 SchwbVWO erwähnt und daher jedenfalls nicht selbst befugt zur „Bestellung“. Es ist keine Regelungslücke erkennbar, da im Falle der Nichtexistenz einer örtl. SBV laut § 1 Abs. 1 SchwbVWO der § 1 Abs. 2 SchwbVWO greift mit sogar drei Optionen. Zur Frage der Analogie zum Bestellrecht vergleiche ausführlich Düwell, Einleitung der Wahl bei Nichtvorhandensein einer SBV in Behinderung und Recht, br 1/2021, Seite 5 bis 8. Gemäß § 1 Abs. 2 SchwbVWO wäre bspw der Personalrat befugt gewesen, zur Versammlung zur Wahl des Wahlvorstands einzuladen. Bestellrecht von Dienststellenleitungen wurde nicht in die SchwbVWO übertragen, nicht per Gesetz und nicht per Änderungsverordnung. Dienststellenleiter dürfen daher niemals den SBV-Wahlvorstand bestellen, nicht auf Antrag von (drei) Wahlberechtigten, nicht auf Antrag von Gewerkschaften – sowie schon gar nicht auf Antrag des Personalrats wie hier oder sonst.

Fristversäumnis
Viel zu eng allerdings BIH-Wahlbroschüre, Seite 12 oben, wonach eine noch amtierende SBV nach Ablauf der Acht-Wochen-Frist keinen Wahlvorstand mehr bestellen dürfe - weil nicht begründbar, h.M. Das darf sie – natürlich auch Nachbestellung(en), solange noch im Mandat. So schon Dr. Karpf 2018, sowie kritisch auch diese Diskussion zur fehlerhaften BIH-Wahlbroschüre u.a. laut Prof. Dr. Kohte

2. Zu großer Wahlvorstand
Aber auch die Bestellung eines 5-köpfigen Wahlvorstands (wie hier) macht die SBV-Wahl regelmäßig anfechtbar laut BIH-Wahlbroschüre, Kap. 8.1 Seite 90: „Es ist für die Wahl der SBV keine Möglichkeit vorgesehen, die Mitgliederzahl des Wahlvorstands zu erhöhen. Damit führt die Einsetzung eines zu großen Wahlvorstandes regelmäßig zur Anfecht­barkeit der Wahl …)“ Entgegen der Unterstellung der SBV schreibt § 1 SchwbVWO nicht lediglich eine „Mindestzahl“ der Wahlvorstandsmitglieder vor laut dem klaren Wortlaut, sondern explizit „drei“ Mitglieder (inkl. Vorsitz). Der Wahl­vorstand ist stets ein dreiköpfiges Grem­i­um­­­­ (Prof. Düwell, Wahl der SBV, 2. Auf­la­ge­­­­ 2018 in Abschnitt 10.3.1). Diese vorgeschobene und sachl. durch nichts zu rechtfertigende Schutzbehauptung zur vorgeblichen Mindestzahl nach § 1 Abs 1 SchwbVWO ist daher völlig „abwegig“ und ziemlich “schräg“. Das mag zwar angehen für PR-Wahlen in Berlin (§ 17 PersVG) - aber niemals für SBV-Wahlen, weil sonst generell anfechtbar wie hier, weil potenziell ursächlich für Wahlergebnis. Dieser Punkt rechtfertigt schon alleine die Anfechtung der Wahl. Der Wahlvorstand besteht aus drei Personen (Düwell/Sachadae, Häufige Fehler bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung, NZA 2014, Seite 1241) Der Wahlvorstand hat – anders als im Regelfall allg. PR-Wahlen – „zwingend aus drei Personen“ zu bestehen. Vergrößerung des Wahlvorstands daher „nicht zulässig“. (Sachadae, LPK-SGB IX, § 1 SchwbVWO Rn. 8, mwN). Ebenso zu Recht auch ein aktuelles Lehrvideo mit FAQ zum_Wahlvorstand auf YouTube: „Er besteht zwingend aus_drei Personen.“ Das ist hilfloser Versuch der SBV zur_Rechtfertigung eines groben Rechtsbruchs. (Prof. Burkhard Boemke, jurisPR-ArbR 13/2012 Anm. 6, zur Anfechtung SBV-Wahl zu LAG München, 12.10.2011, 11 TaBV 29/11: („Wahlvorstand, bestehend aus Herrn B. als Vorsitzenden, Herrn M. als stellvertretenden Vorsitzenden, Frau Ry., Frau Kö. und Herrn Ku. als weitere Mitglieder“)

3. Freiumschläge ohne Absender?
Den beiden Beschlüssen der Vorinstanzen ist im Ergebnis klar zuzustimmen. Die Wahlfehler sind teils so gravierend, dass es „locker“ für mehrere Anfechtungen reichen würde. Soweit LAG BB von „Aushang“ statt richtig Auslegung der Wählerliste spricht (vgl. ArbG Berlin), ist das natürlich ein wahlrechtlicher Unsinn. Dass der Wahlvorstand_von einer der Wahlberechtigten sogar eine eidesstattliche Erklärung verlangt haben soll laut ArbG Berlin – das geht gar nicht. Irreführend auch die Nr. 7 des Wahlausschreibens mit der Behauptung, dass die „Freiumschläge“ dem Wahlvorstand auf dem postalischen Weg zugeschickt werden „müssen“, obwohl u.a. auch persönliche Übergabe zulässig kraft § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr 3 SchwbVWO („absendet oder übergibt“), zitiert von ArbG Berlin, 05.11.2021 - 56 BV 9772/20, Rn. 6, laut beck-online (BeckRS 2021, 52996). Dass der Eingang der Rückumschläge in der Wählerliste „nicht dokumentiert“ wurde (ArbG Berlin, Rn. 9), erscheint intransparent. Zu den Freiumschlägen ohne Absender vgl. auch die mehrjährige Diskussion zu einer (gleichfalls) erfolgreichen Anfechtung (von 2014 bis 2016) bei einer anderen Polizeibehörde. Kein Wahlvorstand ist befugt, per Wahlausschreiben anzuordnen (wie hier), dass die Freiumschläge nur „auf dem Postweg“ eingereicht werden dürften: Das ist „Desinformation“ bzw. eigenmächtige Beschränkung in der Ausübung des aktiven Wahlrechts – an der SBV-Wahlordnung vorbei – und daher Wahlbehinderung. Einreichen kann auch „persönlich“ der Wähler, oder grundsätzlich sein Bote beim Wahlvorstand. Zudem klar widersprüchlich zum BIH-Merkblatt, wonach auch persönliche Übergabe (Nr. 3) zulässig.

Kurzweilige Anmerkung zu zahlreichen Verstößen und Ungereimtheiten erschienen von Schäfer, jurisPR-ArbR 32/2022 Anm. 6. Jeder der o.g. drei Punkte würde eine eigene Wahlanfechtung rechtfertigen laut Literatur bzw. Rechtsprechung.

Beste Grüße
Heidi Stuffer

Wahlbrief (Freiumschlag)

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Rückumschlag ohne Absenderangaben?

Verfasst: Mittwoch 26. Oktober 2022, 20:44
von Heidi Stuffer
LAG BB 2022 hat geschrieben:Leitsatz: Die Wahl zur Vertrauensperson für Schwerbehinderte ist anfechtbar, wenn bei der schriftlichen Stimmabgabe die Rückumschläge nicht mit Absender­angaben versehen sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 SchwbVWO) und dies Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann (Rn. 26)
Hallo zusammen,

der Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg, 03.05.2022, 7 TaBV 1697/21, ist zwischenzeitlich schon rechtskräftig, weil die Nichtzulassungsbeschwerde vom BAG, 29.09.2022 - 7 ABN 57/22 - verworfen wurde – was hier zu erwarten war (Polizeidirektion Einsatz und Verkehr in Berlin) u.a. wg. der Bestellung des Wahlvorstands durch den Dienststellenleiter, wegen zu großem Wahlvorstand und wegen Freiumschläge ohne Absender der Wähler. Zu Rückumschl. (Freiumschlag) bei Briefwahl siehe auch umfangreiche Rspr. hier in dieser Diskussion. Diese Beschwerde wurde demnach wohl als unzulässig angesehen, da Verwerfungsbeschluss. Vgl. auch ArbG Nürnberg vom 18.08.2015 zu Freiumschlägen (rechtskräftig).

Beste Grüße
Heidi Stuffer