Seite 1 von 1

Wählbarkeit bei Vorbeschäftigung in anderem Betrieb der Firma?

Verfasst: Donnerstag 12. Juli 2018, 14:26
von jada.wasi
Hallo,

in der Wahlbroschüre steht auf der Seite 40 folgendes zur Vorbeschäftigung: "Auf die sechsmonatige Betriebszugehörigkeit werden Zeiten angerechnet, in denen der Beschäftigte unmittelbar vorher­­ einem anderen Betrieb desselben Unternehmens oder Konzerns­ angehört hat."

Bedeutet das auch, dass ein Beschäftigter, welcher jetzt neu in den Betrieb kommt von einem anderen Betrieb des Unternehmens, gleich nach seinem Wechsel für die SBV-Wahlen vorgeschlagen werden kann, wenn er im anderen Betrieb schon länger war?

Gruß Jada Wasi

Re: Wählbarkeit bei Vorbeschäftigung in anderem Betrieb der Firma?

Verfasst: Freitag 13. Juli 2018, 15:15
von magdalena.mayer
Hallo,

aus dem Urteil des BAG vom 10.10.2012 - 7 ABR 42/11 - das in der Broschüre zitiert ist, ergibt sich das offenbar nicht. Da gehts nicht um Wahl, sondern Versetzung bei der Post. Es hat mit Anrechnung nichts zu tun?

Gruß
Magdalena

Re: Wählbarkeit bei Vorbeschäftigung in anderem Betrieb der Firma?

Verfasst: Samstag 14. Juli 2018, 15:36
von Heidi Stuffer
Hallo zusammen,

im § 177 Abs. 3 SGB IX steht im ersten Satz zur Wählbarkeit, dass die Bewerber grundsätzlich "dem Betrieb oder der Dienststelle seit sechs Monaten angehören" müssen am Wahltag. Betrieb steht in der Einzahl.

Da steht aber nicht, dass es ausreichen würde, wenn sie zuvor einem anderen der Betriebe desselben Unternehmens angehörten. Da steht vor allem nichts von Anrechnung. Einzige Ausnahme ist Neugründung im letzten Halbsatz. Daher erscheint mir diese pauschale Aussage zur Anrechnung nicht plausibel, Woraus soll sich das denn ergeben?

Beste Grüße
Heidi Stuffer

Wählbarkeit bei Vorbeschäftigung in ANDEREM Betrieb der Firma?

Verfasst: Samstag 14. Juli 2018, 18:00
von albin.göbel
BIH hat geschrieben:Auf die sechsmonatige Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit wer­den Zeiten an­ge­rech­net, in denen der Beschäftigte unmittelbar vorher­­ einem anderen Betrieb des­sel­ben Unternehmens oder Konzerns­ angehört hat.107)
NEIN Ich denke, dass dieser neue Kol­le­ge die sechs Monate in dem Betrieb erst mal ableisten muss, bevor dieser dort gewählt werden kann zur SBV. Ausreichend ist am Wahltag (Stichtag). Dies deshalb, um sich e­in Mi­ni­mum an Kenntnissen über die be­trieb­li­chen Verhältnisse in dem neuen Be­trieb zu verschaffen, besonders be­deut­sam für Ein-Personen-Vertretung. Das mag an­gehen bei BR-Wahlen gemäß § 8 BetrVG, wo der Gesetzgeber eine Zugehörigkeit zum Organisationsbereich des Un­ter­neh­mens bzw. der Unternehmensgruppe für die Wählbarkeit zum BR genügen lässt (Bors, in: HaKo-BetrVG 2018, § 8 Rn. 8), jedoch nicht bei SBV-Wahlen: Denn in § 177 III 1 SGB IX steht nun mal (1) nichts von der Anrechnung einer (sol­chen) Vor­be­schäf­ti­gung in an­de­ren Be­trie­ben des Un­ter­neh­mers, und es wird auch (2) nicht auf § 8 BetrVG verwiesen – im Unterschied zu § 177 Abs. 3 Satz 2 SGB IX. Folg­lich kann m.E. auch nichts und niemals "an­ge­rech­net" werden, da eine schwer­be­hin­der­ten­recht­li­che An­rech­nungs­be­fug­nis für SBV-Wahlen nirgends existiert (so zu Recht Dr. Sachadae, Die Wahl der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, Diss. 2013, Seite 252, 253, mit überzeugender Auslegung).
Heidi Stuffer hat geschrieben:Daher erscheint die pauschale Aus­sa­ge zur Anrechnung nicht plausibel
:idea: Halte die Aus­le­gung der BIH-Wahl­bro­schü­re auf Seite 40 in diesem Punkt sowohl nach Wortlaut & Zweck des § 177 Abs. 3 Satz 1 SGB IX für zweifelhaft, unter keinem Gesichtspunkt für nachvollziehbar, insoweit wahlrechtlich für missverständlich und würde einen solchen Wahl­vor­schlag als un­gül­tig an­se­hen.Ich vermag insoweit je­denfalls keine Gesetzeslücke in § 177 Abs. 3 Satz 1 SGB IX zu erkennen für eine in Teilen des Fachschrifttums erwogene analoge An­wen­dung. Ich kann auch nicht erkennen, dass der in Endnote 107 auf Seite 157 der BIH-Bro­schü­re zi­tier­te­­ BAG-Be­schluss vom 10.10.2012, 7 ABR 42/11, etwas mit der Rechtsfrage der Anrechnung zu tun hätte, vermutlich rein redaktionelles Fehlzitat !! Sollte BAG, 10.10.2012, 7 ABR 53/11, gemeint sein, so ist hierzu zu sagen, dass es sich um e­in und den­sel­ben Betrieb und gerade nicht um einen an­de­ren Betrieb handelte ("im Betrieb der Arbeitgeberin in A beschäftigt" = Rn. 2) – also e­in direkt vom § 177 Abs. 3 Satz 1 SGB IX erfasster Fall und eben kein anderer Entleiherbetrieb.

Viele Grüße
Albin Göbel

Re: Wählbarkeit bei Vorbeschäftigung in anderem Betrieb der Firma?

Verfasst: Montag 16. Juli 2018, 10:12
von Ulrich.Römer
Hallo zusammen,
ich gehe auch davon aus, dass es sich um einen redaktionellen Fehler in der Broschüre handelt. Das in der Broschüre zitierte Urteil hat überhaupt nichts mit der Anrechenbarkeit zu tun. Das in diesem Zusammenhang richtige Urteil hat Herr Göbel in seinem Beitrag schon genannt: BAG, 10.10.2012, 7 ABR 53/11
Da es im Urteil 7 ABR 53/11 um die Anrechnung von Zeiten eines Leiharbeiters im gleichen Betrieb ging, würde ich das Urteil auch nur für diese Frage des passiven Wahlrechts von ehemaligen Leiharbeitern zitieren. Ehemalige Leiharbeiter die zum Wahlzeitpunkt ein Arbeitsverhältnis in dem Betrieb haben, in dem sie vorher als Leiharbeiter beschäftigt waren sind dann als Betriebsrat wählbar, wenn sie in Summe bisher insgesamt 6 Monate dort beschäftigt waren.

Für SBV gilt:
1) Die Wählbarkeit ist in § 177 Abs. 3 Satz 1 SGB IX abschließend geregelt.
2) Die Nichtwählbarkeit ist in § 177 Abs. 3 Satz 2 SGB IX mit Verweis auf das entsprechende Personalvertretungsrecht geregelt.

Bei den Vorrausetzungen der Wählbarkeit nach § 177 Abs. 3 Satz 1 SGB IX wird ausdrücklich nicht auf die personalvertretungsrechtlichen Vorschriften verwiesen, das BetrVG ist deshalb für die Frage der Betriebszugehörigkeit bei einem bestehenden Betrieb nicht anwendbar. Anders sieht es bei einem neu gegründetem Betrieb innerhalb des ersten Jahres aus. Hier gelten dann keine Mindestbeschäftigungszeiten nach SGB IX sondern nur die Wählbarkeit nach BetrVG bzw. Personalvertretungsrecht.
Die Vorschriften des BetrVG sind bei privaten Arbeitgebern aber grundsätzlich für Nichtwählbarkeit nach § 177 Abs. 3 Satz 2 SGB IX anwendbar.

Wählbarkeit bei Vorbeschäftigung in ANDEREM Betrieb der Firma?

Verfasst: Mittwoch 18. Juli 2018, 12:50
von albin.göbel
Berücksichtigungsfähig wäre eine solche Vor­be­schäf­ti­gung ausnahmsweise in ei­nem "anderen Betrieb" allenfalls dann, so­fern es sich um einen der Betriebe handeln würde, die für die Wahlen 2018 zu sog. ge­mein­sa­men Wahlbetrieb zusammengefasst wurden nach § 177 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Denn in einem derartigen Fall gelten diese Betriebe wahlrechtlich alle als ein Betrieb, weil gemeinsamer Wahlbezirk.

Viele Grüße
Albin Göbel

Wählbarkeit bei unterstützter Vor­be­schäf­ti­gung im selben Betrieb?

Verfasst: Donnerstag 29. November 2018, 16:00
von albin.göbel
NACHTRAG
zur "Anrechnung"

• Unterstützte Beschäftigung (Phase 1)
(Individuelle betriebliche Qualifizierung = InbeQ-UB)
In der ­­ Sache wohl ­doppelt „daneben“ bzw. „irreführend“ Schell, SGB IX, § 55 Rz. 47, wonach ­ "eine Anrechnung der Zeit der „individuellen betrieblichen Qualifizierung“ in demselben Betrieb im Gesetz nicht vor­ge­se­hen", und die InbeQ-UB keine Be­schäf­tigung­ sei: ­

:idea: ­­ Zum einen ist eine solche „be­trieb­li­che“ InbeQ-Qualifizierung ( entgegen Schell ) eine "Beschäftigung" i.S.d. § 177 SGB IX laut Fachschrifttum, da es eben nicht auf den "Arbeitnehmerstatus" an­kom­me­­ laut h.M. ­ sowie nach BAG. Vergl. dazu auch hier Diskussion m.w.N. von Adlhoch, Prof. Düwell, Dr. Wendt; ebenso Kaps/Ko­wal­czyk u.a, UB 2018, 17; ferner FKS-SGB IX 2018, § 55 Rn. 36 sowie § 177 Rn. 22 für InbeQ-Phase m.w.N. ­ zum aktiven SBV-Wahlrecht. Vgl. auch ZB-Archiv 2/2012, in der die Rolle der SBV hervorgehoben wird. Kurzvideo zur UB von der BA für Arbeit, wonach „vier Tage in der Woche im Betrieb“ und sozialversichert in der Qua­li­fi­zierung­ durch Einarbeitung in geeigneten Tä­tig­keits­be­reichen und betrieblichen Alltag. Das erfolgt (unmittelbar) auf einem kon­kreten Arbeitsplatz in den Betrieben.

So schon Düwell, jurisPR-ArbR 5/2009 Anm. 6 wie folgt:
V. Individuelle betriebliche Qualifizierung:
"Soweit bei den behinderten Teilnehmern eine Schwerbehinderung oder Gleich­stel­lung vorliegt, werden die Interessen dieser Beschäftigten auch dann, wenn kein Ar­beits­ver­hält­nis besteht, nach § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX von der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung vertreten (zu der Rechts­stel­lung der Rehabilitanden: BAG, 27.06.2001, 7 ABR 50/99, Behindertenrecht 2001, 203). Folgerichtig muss diesen schwer­be­hin­der­ten Menschen auch das Wahlrecht zur Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung nach § 94 Abs.2 SGB IX zustehen ..."


a.A. aber BIH-Wahlbroschüre, Seite 36: „Die Unterstützte Beschäftigung (§ 55 SGB IX) setzt sich aus zwei Phasen zusammen. Phase 1 ist die individuelle berufliche Qua­li­fi­zie­rung. In Phase 1 sind Personen in der Förderung nach § 55 SGB IX Teilnehmer einer Rehabilitationsmaßnahme und gelten nicht als Beschäftigte und sind somit auch nicht wahlberechtigt. In der Phase 2 besteht ein so­zial­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ges Beschäftigungsverhältnis mit individueller beruflicher Begleitung; es besteht aktives Wahlrecht. Das widerspricht aber BIH, Seite 45, wonach für beide Phasen aktives Wahlrecht besteht.

• Vor allem aber ( entgegen Schell ) ohnehin kein Fall irgendeiner An­rech­nung, wenn in "demselben" Betrieb, wie schon oben von Ulrich Römer im Beitrag vom Juli 2018 ­ fundiert herausgearbeitet, mit Verweis auf BAG, 10.10.2012 - 7 ABR 53/11, II 2 a aa, zur Zugehörigkeit zum selben Betrieb!

Viele Grüße
Albin Göbel