Beteiligung des Integrationsamtes bei
Entlassung von schwerbeh. Beamten?
Der Gesetzgeber hat die InA-Beteiligung u.a. bei Entlassungen schwerbehinderter Beamter 2004 abgeschafft (§ 128
Abs. 2 SGB IX). Dieses und anderes sieht aber der
EuGH, Urteil vom 09.03.2017, C-406/15, vergleichsweise kritisch. In diesem EuGH-Verfahren [Milkova] ging es zwar um eine schwerbehinderte Beamtin aus Bulgarien. Das erscheint aber auch für Deutschland bedeutsam. Dieses besonders bei schwerbehinderten Beamten auf Probe sowie bei schwerbehinderten
Widerrufsbeamten, welche ja
„jederzeit entlassen“ werden können nach § 23 Abs. 4
Satz 1 BeamtStG:
• Grundlegende Anmerkung Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG a.D., jurisPR-ArbR 16/2017 Anm. 4, wonach dieses Urteil des EuGH [Milkova] für die Verhältnisse in Deutschland "
große Bedeutung" entfalte: Danach seien bis auf weiteres (d.h. so lange der dt. Gesetzgeber nicht reagiere) nach der Auslegung der Art. 20 f. GRCh i.V.m. Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG die
§§ 85 ff. SGB IX zum Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer
gleichfalls anzuwenden. Folglich dürften daher unter anderm zum Beispiel Beamten-Entlassungen sowie Ruhestandsversetzungen von schwerbeh. Beamten wegen einer Dienstunfähigkeit grundsätzlich "nur mit Zustimmung des Integrationsamtes" (spezialisierte Stelle) verfügt werden. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat sich mit dieser
Rechtsfrage bislang noch nicht näher befasst, soweit ersichtlich. Vergleiche von Roetteken/Rothländer,
BeamtStG, § 26 BeamtStG Rn. 584, und in Hessisches Bedienstetenrecht,
Teil IV, § 36 HBG Rn. 386.
• Dies sei aber vom Sechsten Senat des BAG verkannt worden, welcher sich nicht mit diesen EU-Vorgaben auseinandersetzte (
BAG, 24.05.2012, 6 AZR 679/10, für DO-Angestellte zum SGB IX; ablehnend m.w.N. von Roetteken, jurisPR-ArbR 44/2012 Anm. 2; a.A.
BAG-Urteil vom 20.10.1977, 2 AZR 688/76, für DO-Angestellte zu dem SchwbG;
Neumann in NPM-SGB IX, § 92 Rn 7 m.w.N.). Soweit BAG meine, durch die Versetzung in den Ruhestand werde das Beschäftigungsverhältnis nicht beendet, gehe dies an der klaren Regelung in
§ 21 Nr. 4 BeamtStG vorbei wie folgt:
"Das Beamtenverhältnis endet durch Versetzung in den Ruhestand." Die BAG-Rspr. des Sechsten Senats könne keinen Bestand mehr haben, weil jedenfalls nicht konform mit EU-Recht.
• Zustimmend
Prof.
Schubert/Jerchel
in:
EuZW 14/2017, 551, 557
• Zustimmend
Dr. Laura
Schmitt
in:
BB 2017, 2293 bis 2300
Aufsatz: "Aktuelle Rechtsfragen bei der Kündigung schwerbehinderter Menschen" Sie hält die Beschränkung des personellen Anwendungsbereichs auf Arbeitnehmer für unionsrechtswidrig und befürwortet daher eine
analoge Anwendung der Schutzvorschriften auf die Entlassungen von schwerbehinderten Beamten sowie auf die sogenannten „Dienstordnungsangestellten“. Diese Beschränkung erscheine
"in höchstem Maße zweifelhaft"; a.A. BIH, welche keinen Handlungsbedarf sieht (Behindertenrecht, br 7/2017, Seite 179 bis 181), obgleich es bei evtl. „Reaktivierung“ bekanntlich zwingend einer erneuten Ernennung (Aushändigung einer Ernennungsurkunde unter Berufung in das Beamtenverhältnis) bedarf – egal, ob es sich etwa um eine „einstweilige“ oder dauerhafte Versetzung in den Ruhestand handelte:
Vgl. rechtsvergleichend zur Ruhestandsversetzung und evt. späterer Reaktivierung auch
Diskussion von Ulrich Römer zur Frage der „Wahlberechtigung im Ruhestand“ sowie die
Diskussion von Dr. Michael
Karpf.
• Zustimmend
Dr. Stefanie
Porsche
ZESAR 10/ 2017, 451-456
• Zustimmend
Dr. Stefanie
Porsche
in:
RP Reha 1/2018, 11-17
Aufsatz: "Da der Sonderkündigungsschutz nach § 168 SGB IX (§ 85 SGB IX aF.)
vergleichbar der bulgarischen Regelung ausgestaltet ist, ist die Entscheidung Milkova auch für das deutsche Recht bedeutsam."
•
Zustimmend
PD Dr. Tim
Husemann
in:
RdA 5/2020, 257-264
• Siehe dazu auch
Prof. Dr. Christian
Rolfs
unter
community.beck.de
Viele Grüße
Albin Göbel