Seite 2 von 2

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Donnerstag 18. Oktober 2012, 07:14
von armin.sillaber
Hallo Herr Göbel

Ich arbeite in einem sehr großem Energieunternehmen mit mehr als 15000 Mitarbeitern. Wir haben eine SB Quote von über 6 %. Ich habe noch keinen Nachteil gesehen wenn man sich outet. Wir in unseren SB Vertretungen leben den Umgang so; Ein SB Mensch leistet genausogut seine Arbeit wie ein nicht behinderter Mensch wenn man seinen Arbeitsplatz behindertengerecht ausstattet. Dafür gibt es sogar Hilfen von den Integrationsämtern. Wenn Sie Ihre Vorgesetzten davon überzeugen können wird das kein Hindernis für den SB Menschen sein. Wir waren dieses Jahr sogar auf der REHA Care mit einem eigenem Stand der die Öffentlichkeit darüber informiert dass man als SB Mensch bei uns ohne Probleme voll integriert sein kann.
Ich denke wenn ein noch nicht geouteter neuer Kollege bei Ihnen als SB Vertreter vorspricht können Sie Ihn ja aufklären. Sie haben ja Schweigepflicht erst wenn eine Hilfe im Betrieb benötigt wird muß man sich halt outen.

Mit freundlichen Grüßen

Armin Sillaber


Beitrag editiert: Bitte nicht die vorherigen Beiträge vollständig zitieren. Leider ist in der Voreinstellung das Zitat immer da, deshalb zuerst alles löschen. Danke! Ulrich Römer

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Freitag 19. Oktober 2012, 12:04
von albrecht.zimmermann
Hallo,

nachstehend ein Auszug aus der Schwerbehindertenrichtlinie des Landes Niedersachsen (Richtlinien zur gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen am Berufsleben im öffentlichen Dienst):

"3.6 Einstellungsverfahren

3.6.1 Im Interesse der schwerbehinderten Menschen und der dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen nach dem SGB IX sind die Bewerberinnen und Bewerber, die zu Einstellungsgesprächen eingeladen werden, zu fragen, ob eine Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten vorliegt. Wird diese Frage bejaht, ist der Schwerbehindertenausweis oder der Gleichstellungsbescheid vorzulegen."

Egal, ob sich auf die ausgeschriebene Stelle ein Schwerbehinderter beworben hat oder nicht, die Frage nach einer evtl. vorliegende Schwerbehinderung ist für nds. Dienststellen eine "Pflichtfrage".

Viele Grüße aus Niedersachsen!

Albrecht Zimmermann

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Montag 22. Oktober 2012, 11:22
von Anonymous
"darf der Arbeitgeber nach einem Schwerbehindertenausweis fragen oder ist diese Frage als diskriminierend anzusehen?"

Hallo Herr Reiter,

die Frage nach einer Schwerbehinderung ist grundsätzlich unzulässig. Das ist wohl eher unstreitig. Die Frage bleibt: "Darf der AG in der von Ihnen beschriebenen Situation von dem Grundsatz der Unzulässigkeit abweichen?"

Ich persönlich denke, dass der AG dieses Fragerecht nicht hat, selbst dann, wenn er seine Pflichtquote erhöhen möchte. Um sein Ziel (Einstellung eines schwerbehinderten Bewerbers) zu erreichen, kann bzw. darf er den Bewerbern ja ganz klar vermitteln, dass Schwerbehinderte bevorzugt eingestellt werden. Dem Schwerbehinderten sollte die Offenbarung letztlich freigestellt bleiben.

Denn machen wir uns nichts vor: Der Ausschreibungszusatz "Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt" ist für manchem Personaler und anderen Entscheider nicht zwingend eine "innere Haltung oder Meinung", sondern oft nur eine Vorgabe von oben.

Würde also beispielsweise ein schwerbehinderter Bewerber eingestellt werden, der trotz der Frage nach vorliegender Behinderung, diese wahrheitswidrig verneint hatte und der Arbeitgeber will aufgrund dessen den Arbeitsvertrag später anfechten, so frage ich mich, wie er das bitte begründen möge im Hinblick auf seine angekündigte Absicht, die Pflichtquote erhöhen zu wollen.

Maik Joachim Fischer

Niedersachsen: Darf Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Montag 22. Oktober 2012, 15:15
von albin.göbel
albrecht.zimmermann hat geschrieben: Freitag 19. Oktober 2012, 12:04 Frage nach Schwer­be­hin­der­un­g­ ist für nds. Dienststellen "Pflichtfrage" …
Naja – diese "Richtlinie" des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration stammt vom 09.11.2004, wurde also vor fast acht Jahren beschlossen. Wie das in neueren Teilhaberichtlinien anderer Bundesländer im Einzelnen geregelt ist, siehe hier die Übersicht. Damals wurde weitverbreitet das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz von 1994, in der EU-Gleichbehandlungs-Richtlinie vom 27.11.2000 wegen Behinderung sowie das Verbot der Diskriminierung des § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX wegen Schwerbehinderung, das zum 01.07.2001 in Kraft getreten ist, in diesem Zu­sam­men­hang vielfach jahrelang schlicht "übersehen" bzw. nicht bewusst zur Kenntnis genommen oder sonst. Fazit: Diese „Pflichtfrage“ erscheint mir demnach als klar rechtswidrige Weisung zur diskriminierenden Befragung

:shock: Die Begründung in Nr. 3.6.1 der Richtlinie 2004 zu der gezielten systematischen Ausforschung in Niedersachsen beruht offenbar auf der - durch mehrfache Rechtsänderung - längst obsoleten RSpr. des BAG, 05.10.1995, 2 AZR 923/94, und ist daher m.E. strikt abzulehnen, da klar diskriminierend. Hier sind alle Schwerbehindertenvertretungen gefordert zu intervenieren bei der Landesregierung und auf sofortige ge­setzeskonforme RL-Änderung hinzuwirken!

Grundsätzliche Unzulänglichkeit der Frage
Ein Umdenken setzte in Deutschland in der Fachliteratur sowie in den Betrieben bzw. Dienststellen erst ganz allmählich im Schneckentempo ab dem Jahre 2006 ein mit der Einführung des AGG 2006 und ganz besonders mit dem wegweisenden Urteil des LAG Hamm vom 19.10.2006, 15 Sa 740/06, II.1.a und b, zur Offenbarung einer Schwerbehinderung. Gleichwohl gibt es bis heute leider immer noch vereinzelt veraltete Webseiten von Bundes- und Landesbehörden, in denen pauschal das genaue Gegenteil verbreitet wird, darunter „Desinformation“ der Bundesagentur für Arbeit. Siehe hierzu ausführlich auch Diskussion zum langjährigen Irrweg der Bundesagentur und jurisPK

Die Frage nach einer Schwerbehinderung ist jedenfalls im Einstellungsverfahren und während der Probezeit (6 Monate) grundsätzlich unzulässig. Die Frage nach einer Schwerbehinderung wird allerdings von einem Teil des Schrifttums jedenfalls dann als zulässig angesehen, wenn ihr Ziel und Zweck etwa die Steigerung des Ist-Satzes der Beschäftigungspflicht nach § 71 Abs. 1 SGB IX ist. Das kann durch Zusätze bei der Ausschreibung wie "Be­wer­bun­gen schwerbehinderter Menschen sind erwünscht" oder "Wir wollen unsere Schwer­be­hin­der­ten­be­schäf­ti­gungsquote erhöhen" dokumentiert sowie bekannt ge­macht werden.

Ein solcher entsprechender Zusatz könnte allenfalls, wenn überhaupt, Abschnitt 3.1 der Richtlinie aus Niedersachsen 2004 sein wie folgt: "Bei allen Stellenausschreibungen ist darauf hinzuweisen, dass schwerbehinderte Menschen bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt werden." Ob dieses al­lein schon reicht ist äußerst fragwürdig – weil m. E. im Prinzip ja bloßer Gesetzeshinweis auf § 122 SGB IX zum Vorrang sbM

Rechtsänderung
Arbeitgeber sind „nicht berechtigt“ - sich tätigkeitsneutral nach dem Bestehen einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn sie damit keine positive För­der­maß­nah­me verbinden wollen (BAG, 13.10.2011, 8 AZR 608/10, Rn. 43)

dieter.kötter hat geschrieben: Mittwoch 17. Oktober 2012, 16:27 Dann sehe ich die Rechtsprechung bezüglich der Frage nach einer vorliegenden Behinderung im Vorstellungsgespräch als Rechtsfreien Raum … Warum sollte der Arbeitgeber nicht mit meinem Handicap umgehen können? Es gibt genug Möglichkeiten ein Handicap zu kompensieren …
Rechtsfreier Raum ist das nicht, ganz im Gegenteil, da geregelt im Grundgesetz und endlich auch in anderen Gesetzen sowie im verspätet umgesetzten EU-Recht …

Schön für Sie und Glückwunsch - wenn Sie so einen verständigen Arbeitgeber gefunden haben sollten zur beiderseitigen Zufriedenheit.

Viele Grüße
Albin Göbel

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Dienstag 23. Oktober 2012, 16:16
von agathe.bauer
Hallo,

bedeutet dies nun, dass im Einstellungsverfahren die Schwerbehinderung auf Nachfrage im Vorstellungsgespräch bei allen Arbeitgebern mit derartigen "Richtlinien", die zum Ziel die "Steigerung des Ist-Satzes" der Beschäftig von schwerbehinderten Menschen haben, zwingend angegeben werden muss, auch wenn die Behinderung für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit ohne Bedeutung ist?

Danke - A. Bauer

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Donnerstag 25. Oktober 2012, 14:59
von michael.falkenhagen
Hallo zusammen,

nach § 71 Abs. 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, mindestens 5% der Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzen und nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist er verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt werden können. Wie soll das alles gehen, wenn Bewerber nicht nach Ihrer Schwerbehinderung gefragt werden dürften? Die an einen Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht nach § 71 Abs. 1 SGB IX anknüpfende Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX dürfte wohl rechtlich kaum haltbar sein, wenn nicht gleichzeitig für den Arbeitgeber die Möglichkeit bestünde, die Einhaltung der Verpflichtung zu steuern. Schon im Interesse der nicht bei der Agentur für Arbeit gemeldeten (weil zum Beispiel aktuell anderweitig beschäftigten) Schwerbehinderten kann hier auch nicht der Verweis auf die Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit als alleiniges Hilfsmittel angesehen werden. Letztlich kann es also nur so sein, dass der (potentielle) Arbeitgeber auch nach einer Schwerbehinderung fragen darf. Natürlich darf dann nach einer solchen Frage keine Benachteiligung erfolgen und jeder Arbeitgeber ist gut beraten, seine Auswahlentscheidung so gut zu begründen und zu dokumentieren, dass auch gar nicht erst der Anschein einer Benachteiligung aufkommt.

Gruß

Michael Falkenhagen

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Freitag 26. Oktober 2012, 12:51
von Clara
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 16.2.2012 (6AZR553/10) entschieden, dass eine solche Frage in einem bestehendem Arbeitsverhältnis jedenfalls nach 6 Monaten zulässig ist. Hier ging es um die Vorbereitung von Kündigungen in einem insolventen Unternehmen, insbesondere aus der Pflicht zur Sozialauswahl, wozu der Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft kennen müsse. In diesem Fälle wäre es keine unangemessene Benachteiligung und deswegen läge auch kein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor.

Darf der Arbeitgeber bei Einstellungen nach einer Schwerbehinderung fragen?

Verfasst: Mittwoch 31. Oktober 2012, 15:30
von Anonymous
Hallo Holger,
in der Probezeit darf es jeder weiterhin verschweigen, danach greift ja der besondere Kündigungsschutz.Siehe:Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - und dann darf der AG nicht nur fragen, die Frage muss jeder danach auch Wahrheitsgemäß beantworten.Eben wegen der Ausgleichsabgabe, Zusatzurlaub etc.

Dem Arbeitgeber ist es bei der Einstellung nur gestattet nach einer Schwerbehinderung zu fragen bei bestimmten Berufen oder wenn eine eventuelle Schwerbehinderung zu einer Gefährdung des Mitarbeiters und/oder Dritter kommen könnte.

Es kommt halt auf die Fragestellung an ( Sehen Sie eine Gefährdung durch eine eventuell vorhandene Schwerbehinderung in Ihrer angestebten Tätigkeit sollte ok sein, eine pauschale Frage nach einer Schwerbehinderung verstößt weiterhin gegen SGB IX und AGG ).

Gruß aus NRW