Ulrich Römer hat geschrieben:wäre interessant zu wissen, wo der Autor die größten Probleme sieht
Überörtliche Wahlen?
Sachadae kritisierte vor allem scharf das Ergebnis und die Entscheidungsgründe des praxisfernen Beschlusses des Siebten Senats des
BAG vom 23.07.2014, 7 ABR 61/12, wonach bei überörtlicher SBV-Wahl nicht mehr in jahrzehntelang bewährter Weise vereinfacht in Wahlversammlung gewählt werden könne, sofern keine räumliche Nähe bestehe. Das führte u.a. zu einem durch nichts zu rechtfertigenden
fehleranfälligen bürokratischen Aufwand, teils zu Wahlabbrüchen, zu unnötigen Anfechtungsrisiken bzw. vielfach auch zu wochenlang vertretungslosen Zeiten bei den letzten SBV-Regelwahlen 2014/2015 (Sachadae, ZBVR online 2/2015, 32-36, und
Der Personalrat 2/2017).
Darauf reagierten auch viele Arbeitgeber zu Recht mit viel Unverständnis. Mit dieser "Überraschungsentscheidung" setzte sich der Siebte Senat zudem in Widerspruch zu seiner früheren eigenen Entscheidung (
BAG, 24.05.2006, 7 ABR 40/05), ohne dies überhaupt bemerkt zu haben. Dieses bürokratische "Monster" wurde nun - wie von Sachadae vorgeschlagen - korrigiert durch den Gesetzgeber durch
§ 97 Abs. 7 letzter Halbsatz SGB IX, wonach auch bei einem bundesweiten Wahlbezirk die überörtliche SBV wieder wie zuvor in einer Wahlversammlung gewählt werden kann, sofern die sonstigen Voraussetzungen für vereinfachte Wahlen vorliegen (Dr. Karpf, Behindertenrecht
br 2/2017, Seite 30 / 33; BTHG-
Handbuch Düwell/Beyer, Das neue Recht für behinderte Beschäftigte, BTHG, Rn. 153 - 157).
Preisfrage?
Nicht geklärt bzw. vom BMAS nicht bedacht ist jedoch, was passiert, wenn zwar die gesetzlichen
wahlrechtlichen Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens gemäß § 97 Abs. 7 i.V.m. § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX vorliegen (unter 50 Wahlberechtigte), aber die zusätzlichen wahlordnungsrechtlichen Vorgaben des
§ 22 Absatz 3 SchwbVWO nicht erfüllt sind - so zu Recht Dr.
Sachadae, Der Personalrat 2/2017. Diese Normierung wird im Schrifttum als unausgereifter „Pfusch“ angesehen, da widersprüchlich. Verordnet werden darf bekanntlich von Verfassungs wegen nur, was nicht mit vorrangigem Gesetz kollidiert und wozu ausdrücklich ermächtigt nach Inhalt, Zweck und Ausmaß nach
§ 100 SGB IX und
Artikel 80 Abs. 1 Grundgesetz, da sonst nichtig. Was im Gesetz verbindlich und abschließend festgelegt ist, darf nicht
_per „Verordnung“ durch weitere Voraussetzungen sowie
Ermessen („kann“) anderweitig geregelt werden.
Solange § 97 Abs 7 SGB IX auf
§ 94 Abs. 6 Satz 6 HS 1 SGB IX entsprechend verweist (künftig: Artikel 1 BTHG), solange wird sich an der
Kollision mit
§ 22 SchwbVWO nichts ändern. Daher muss folglich der Gesetzgeber ran, zumal im Gesetz
keinerlei Ermessen zum Wahlverfahren im
_Unterschied zu
§ 22 Abs. 3 SchwbVWO („kann“):
►
„Wahlbezogene Änderungen“
Sachadae:
„Nicht geklärt ist damit jedoch, was passiert, wenn zwar die Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens nach § 97 Abs. 7 i.V.m. § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX n.F. vorliegen, jedoch die zusätzlichen Vorgaben des § 22 Abs. 3 SchwbVWO nicht erfüllt sind.“ (PersR, 2/2017)
Übergangsmandat?
Gleichfalls scharf kritisierte Sachadae u.a. das Fehlen eines SBV-Übergangsmandats im SGB IX. Auch dieses wurde nunmehr durch den Gesetzgeber endlich - über 15 Jahre nach den Vorgaben im EU-Recht aus 2001 - jedenfalls für Betriebe der gewerbl. Privatwirtschaft umgesetzt durch die durch Art. 2 BTHG neu eingefügte Verweisungsnorm des
§ 94 Abs. 8 SGB IX
"entsprechend" § 21a BetrVG. Das ist eine teilweise erhebliche Vereinfachung für die Interessenvertretung in der prekären Phase der Umstrukturierung von Betrieben.
Wie bei Verwaltungsreformen im öffentlichen Dienst beim Bund und einzelner Bundesländer beim Übergangsmandat zu verfahren ist, ist z.B. in
§ 29 BPersVG (Bund), in Art. 27a BayPVG (Bayern), in § 32 PersVG (Brandenburg), in § 32 SächsPersVG (Sachsen), in § 26a PersVG LSA (Sachsen-Anhalt) geregelt.
Gesetzesentwurf BReg.
In der BTHG-Begründung ist allerdings nur die Abspaltung
("gespalten") von Betrieben erwähnt, was nicht nachvollziehbar ist. Gilt auch für die apodiktische Begrenzung auf
"Betriebsübergang" iSd.
§ 613a BGB entgegen PM des BMAS vom 19.12.2016, weil das BTHG und BetrVG dafür nichts hergeben. In beidem ist der objektive Regelungsgehalt jeweils nur unvollständig, sehr lückenhaft bzw. lediglich punktuell beschrieben sowie § 21a Abs.
2 BetrVG
("zusammengefasst") ausgeblendet (Dr.
Karpf, br 2/2017, Seite 30/32).
Das ist eine viel zu enge Sichtweise des BMAS. Denn nicht nur bei lediglich unternehmensübergreifender, sondern auch bei einer nur unternehmensinternen Betriebsänderung kann natürlich Bedarf für örtliches SBV-Übergangsmandat entstehen in atypischen Fällen (vergl. exemplarisch BIH-
Wahlbroschüre 2014, Seite 63 oben). Das kann bei Konstellationen der Fall sein, wenn bei Betriebsänderungen innerhalb eines Unternehmes dort (noch) keine überörtliche SBV existieren sollte. Auch solche Fälle sind von § 94 Abs. 8 SGB IX erfasst über die FAQ des BMAS hinaus (BTHG-
Handbuch Düwell/Beyer, Das neue Recht für behinderte Beschäftigte, 2017, Rn. 65).
Prüfung von Wahlvorschlägen?
Nicht korrigiert wurde hingegen
BAG vom 20.01.2010, 7 ABR 39/08 - wonach die Prüfung der Wahlvorschläge durch den Wahlvorstand nicht unverzüglich erfolgen müsse, sondern auch erst mit Ablauf der zweiwöchigen Einreichungsfrist erfolgen könne (im Gegensatz etwa zu BR/PR-Wahlen). Eine umfassende Prüfpflicht, die eingehenden Wahlvorschläge auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, bestehe erst mit Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des
§ 6 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO. Da ist in aller Regel jedoch der "
Zug längst abgefahren" für Nachbesserungen. Die Bestimmungen der SchwbVWO stellten ein
"vollständiges und in sich widerspruchsfreies Regelungswerk" dar nach Ansicht des Siebten Senats des BAG, 20.01.2010, 7 ABR 39/08,
Rn. 25. Das ist rechtsvergleichend im Ergebnis schwer nachvollziehbar im Unterschied zu vielen anderen Wahlordnungen, weil so die Nachbesserung von unzureichenden Wahlvorschlägen von vornherein verbaut wird und so die wahlordnungsrechtlichen Hürden für gültige SBV-Wahlvorschläge vergleichsweise nur noch höher gemacht werden. Gleiches gilt für die hohe Zahl der Stützunterschriften, die zB für Großdienststellen mit bis zu 1.500 sbM nicht auf 50 gedeckelt ist, was m.E. sachlich kaum zu rechtfertigen ist etwa im Vergleich zur PR-Wahl.
Beides erscheint mir völlig sinnfrei bzw. korrekturbedürftig und wird zwangsläufig verstärkt zu ungültigen Wahlvorschlägen führen aus rein formalen Gründen wegen massiv eingeschränkter Nachbesserung der Wahlvorschläge im Rechtsvergleich zu allen BR/PR-Wahlen. Vgl. auch Diskussion 2015 zur umstrittenen Rechtsfrage einer Analogie im Fachschrifttum, wenn Unterschriften gestrichen werden und dadurch die Mindestzahl der Unterstützer unterschritten wird.
Zu diesen Wahlrechtsänderungen
vgl. auch Abschnitt IV.3 und 10 in
jurisPR-ArbR 49/2016 Anm. 1
Ruhendes Beschäftigungsverhältnis
Vor allen ist m.E. das BMAS gefordert, endlich eine zeitgemäße SBV-Wahlordnung zu erlassen für die vereinfachten und förmlichen SBV-Wahlen. Das BMAS könnte sich zB an Baden-Württemberg orientieren, das aufzeigtt, wie
(genial einfach) man solche "Probleme" löst in
§ 9 Abs. 4 LPVGWO*) bei PR-Wahlen für Beurlaubte und "sonstige"
ruhende Beschäftigungsverhältnisse. Das würde zum Ersten zur Erhöhung der Wahlbeteiligung beitragen und Zufallsergebnisse eindämmen speziell bei vereinfachten Wahlen mit wenigen Wahlberechtigten und engen Wahlergebnissen. Und bei förmlichen Wahlen hätten diese die Chance, Wahlvorschläge einzureichen. Dadurch könnten verzerrte Wahlergebnisse vermieden werden.
Zu verbreiteten Unsicherheiten und Rechtsfragen des Datenschutzes (BDSG/DSGVO) wg. Privatanschrift bei vereinfachter Wahl sowie bei förmlicher Wahl, soweit nicht generelle Briefwahl, vergl. ausführlich
Diskussion aus 2016;
a.A. teils wohl BIH-
WahlNavi.
Fazit
Die gesetzgeberischen Korrekturen fielen vielfach viel zu punktuell und zu knapp aus. „Der immer wieder angemahnte Reformbedarf ist durch das BTHG folglich nicht behoben worden“ - so das klare „Fazit“ im
Volltext von Dr.
Sachadae, Der Personalrat 2/2017.
Viele Grüße
Albin Göbel
...............................................
*)
§ 9 Abs.4 Satz 1 LPVGWO
(4) Wahlberechtigten Beschäftigten, die für längere Dauer beurlaubt, abgeordnet, zugewiesen oder aus sonstigen Gründen nicht in der Dienststelle beschäftigt sind, soll der Wahlvorstand eine Abschrift des Wahlausschreibens übersenden ...