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Korrekturbedarf im Wahlrecht der SBV

Verfasst: Donnerstag 30. April 2015, 18:21
von albin.göbel
Korrekturbedarf im Wahlrecht der Schwerbehindertenvertretung

"Die ­ aktuellen ­ Wahlen der Schwerbehinderten­ver­tre­tun­gen haben wieder einmal bewiesen, wie lückenhaft und unausgereift die derzeitigen Wahlvorschriften sind. Dadurch kommt es regelmäßig zu Fehlern bei der Wahldurchführung und in der Folge zu einer immer weiter ansteigenden Zahl von Anfechtungsverfahren."

Vor diesem Hintergrund stellt der Beitrag von Till Sachadae in der Zeitschrift "Die Personalvertretung", PersV 5/2015, exemplarisch dar, wo er vordringlich korrekturbedürftige Problembereiche in der Wahlpraxis sieht und warum diese Defizite im Rahmen der anstehenden Novellierung des SGB IX vom Gesetzgeber und Verordnungsgeber behoben werden sollten (Seite 170 bis 181).

Viele Grüße
Albin Göbel

AW: Korrekturbedarf im Wahlrecht der SBV

Verfasst: Donnerstag 30. April 2015, 18:26
von Ulrich.Römer
Hallo Herr Göbel,
da der Beitrag leider nur kostenpflichtig zu erhalten ist wäre es interessant zu wissen, wo der Autor die größten Probleme sieht. Kennen Sie den Artikel näher?

AW: Korrekturbedarf im Wahlrecht der SBV

Verfasst: Donnerstag 26. Januar 2017, 15:40
von albin.göbel
Ulrich Römer hat geschrieben:wäre interessant zu wissen, wo der Autor die größten Probleme sieht
◾Überörtliche Wahlen?
Sachadae kritisierte vor allem scharf das Ergebnis und die Entscheidungsgründe des praxisfernen Beschlusses des Siebten Senats des BAG vom 23.07.2014, 7 ABR 61/12, wonach bei überörtlicher SBV-Wahl nicht mehr in jahrzehntelang bewährter Weise vereinfacht in Wahlversammlung gewählt werden könne, sofern keine räumliche Nähe bestehe. Das führte u.a. zu einem durch nichts zu rechtfertigenden fehleranfälligen bürokratischen Aufwand, teils zu Wahlabbrüchen, zu unnötigen Anfechtungsrisiken bzw. vielfach auch zu wochenlang vertretungslosen Zeiten bei den letzten SBV-Regelwahlen 2014/2015 (Sachadae, ZBVR online 2/2015, 32-36, und Der Personalrat 2/2017).

Darauf reagierten auch viele Arbeitgeber zu Recht mit viel Unverständnis. Mit dieser "Überraschungsentscheidung" setzte sich der Siebte Senat zudem in Widerspruch zu seiner früheren eigenen Entscheidung (BAG, 24.05.2006, 7 ABR 40/05), ohne dies überhaupt bemerkt zu haben. Dieses bürokratische "Monster" wurde nun - wie von Sachadae vorgeschlagen - korrigiert durch den Gesetzgeber durch § 97 Abs. 7 letzter Halbsatz SGB IX, wonach auch bei einem bundesweiten Wahlbezirk die überörtliche SBV wieder wie zuvor in einer Wahlversammlung gewählt werden kann, sofern die sonstigen Voraussetzungen für vereinfachte Wahlen vorliegen (Dr. Karpf, Behindertenrecht br 2/2017, Seite 30 / 33; BTHG-Handbuch Düwell/Beyer, Das neue Recht für be­hin­der­te Be­schäf­ti­gte, BTHG, Rn. 153 - 157).

Preisfrage?
Nicht geklärt bzw. vom BMAS nicht bedacht ist jedoch, was passiert, wenn zwar die gesetzlichen wahlrechtlichen Voraus­setzun­gen des vereinfachten Verfahrens gemäß § 97 Abs. 7 i.V.m. § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX vorliegen (unter 50 Wahl­berechtigte), aber die zu­sätzlichen wahlordnungsrechtlichen Vorgaben des § 22 Absatz 3 SchwbVWO nicht erfüllt sind - so zu Recht Dr. Sachadae, Der Personalrat 2/2017. Diese Normierung wird im Schrifttum als unausgereifter „Pfusch“ angesehen, da widersprüchlich. Verordnet werden darf be­kanntlich von Verfassungs wegen nur, was nicht mit vor­ran­gigem Gesetz kollidiert und wozu ausdrücklich ermächtigt nach Inhalt, Zweck und Ausmaß nach § 100 SGB IX und Artikel 80 Abs. 1 Grundgesetz, da sonst nichtig. Was im Gesetz verbindlich und abschließend festgelegt ist, darf nicht_per „Verordnung“ durch weitere Voraussetzungen sowie Ermessen („kann“) anderweitig geregelt werden.

Solange § 97 Abs 7 SGB IX auf § 94 Abs. 6 Satz 6 HS 1 SGB IX entsprechend verweist (künftig: Artikel 1 BTHG), solange wird sich an der Kollision mit § 22 SchwbVWO nichts ändern. Daher muss folglich der Gesetzgeber ran, zumal im Gesetz keinerlei Ermessen zum Wahlverfahren im_Unterschied zu § 22 Abs. 3 SchwbVWO („kann“):

„Wahlbezogene Änderungen“
Sachadae: „Nicht geklärt ist damit jedoch, was passiert, wenn zwar die Voraussetzungen des vereinfachten Ver­fahrens nach § 97 Abs. 7 i.V.m. § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX n.F. vorliegen, jedoch die zusätzlichen Vorgaben des § 22 Abs. 3 SchwbVWO nicht erfüllt sind.“ (PersR, 2/2017)

◾Übergangsmandat?
Gleichfalls scharf kritisierte Sachadae u.a. das Fehlen eines SBV-Übergangsmandats im SGB IX. Auch dieses wurde nunmehr durch den Gesetzgeber endlich - über 15 Jahre nach den Vorgaben im EU-Recht aus 2001 - jedenfalls für Betriebe der gewerbl. Privatwirtschaft umgesetzt durch die durch Art. 2 BTHG neu eingefügte Verweisungsnorm des § 94 Abs. 8 SGB IX "entsprechend" § 21a BetrVG. Das ist eine teilweise erhebliche Vereinfachung für die Interessenvertretung in der prekären Pha­se der Umstrukturierung von Betrieben.

Wie bei Verwaltungsreformen im öffentlichen Dienst beim Bund und einzelner Bundesländer beim Übergangsmandat zu verfahren ist, ist z.B. in § 29 BPersVG (Bund), in Art. 27a BayPVG (Bayern), in § 32 PersVG (Brandenburg), in § 32 SächsPersVG (Sachsen), in § 26a PersVG LSA (Sachsen-Anhalt) geregelt.

Gesetzesentwurf BReg.
In der BTHG-Begründung ist allerdings nur die Abspaltung ("gespalten") von Betrieben erwähnt, was nicht nachvollziehbar ist. Gilt auch für die apodiktische Begrenzung auf "Betriebsübergang" ­ iSd. § 613a BGB ent­gegen PM des BMAS vom 19.12.2016, weil das BTHG und BetrVG dafür nichts hergeben. ­ In beidem ist der objektive Regelungsgehalt jeweils nur unvollständig, sehr lückenhaft bzw. lediglich punktuell beschrieben sowie § 21a Abs. 2 BetrVG ("zusammengefasst") ausgeblendet (Dr. Karpf, br 2/2017, Seite 30/32).

Das ist eine viel zu enge Sichtweise des BMAS. Denn nicht nur bei lediglich unternehmensübergreifender, sondern auch bei einer nur unternehmensinternen Betriebsänderung kann natürlich Bedarf für örtliches SBV-Übergangsmandat entstehen in atypischen Fällen (vergl. exemplarisch B­IH-Wahlbroschüre 2014, Seite 63 oben). Das kann bei Konstellationen der Fall sein, wenn bei Betriebsänderungen innerhalb eines Unternehmes dort (noch) keine überörtliche SBV existieren sollte. Auch solche Fälle sind von § 94 Abs. 8 SGB IX erfasst über die FAQ des BMAS hinaus (BTHG-Handbuch Düwell/Beyer, Das neue Recht für be­hin­der­te Beschäftigte, 2017, Rn. 65).

◾Prüfung von Wahlvorschlägen?
Nicht korrigiert wurde hingegen BAG vom 20.01.2010, 7 ABR 39/08 - wonach die Prüfung der Wahl­vor­schlä­­­­ge durch den Wahlvorstand nicht unverzüglich erfolgen müsse, sondern auch erst mit Ablauf der zweiwöchi­gen Einreichungsfrist erfolgen könne (im Gegensatz etwa zu BR/PR-Wahlen). Eine umfassende Prüfpflicht, die eingehenden Wahl­vor­schlä­­­­ge auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, bestehe erst mit Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 6 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO. Da ist in aller Regel jedoch der "Zug längst abgefahren" für Nachbesserungen. Die Bestimmungen der SchwbVWO stellten ein "vollständiges und in sich widerspruchsfreies Regelungswerk" dar nach Ansicht des Siebten Senats des BAG, 20.01.2010, 7 ABR 39/08, Rn. 25. Das ist rechtsver­glei­chen­d im Er­geb­nis schwer nachvollziehbar im Un­ter­schied zu vielen anderen Wahl­ord­nungen, weil so die Nachbesserung von un­zu­rei­chen­den Wahl­vor­schlä­­­­gen von vornherein verbaut wird und so die wahl­ord­nungs­recht­li­chen Hürden für gültige SBV-Wahl­vor­schläge ver­gleichs­wei­se nur noch höher gemacht werden. Gleiches gilt für die hohe Zahl der Stützunterschriften, die zB für Großdi­enst­stellen mit bis zu 1.500 sbM nicht auf 50 ge­deckelt­ ist, was m.E. sachlich kaum zu recht­fer­ti­gen ist etwa im Vergleich zur PR-Wahl.

Beides erscheint mir völlig sinnfrei bzw. korrektur­be­dürftig und wird zwangsläufig verstärkt zu ungültigen Wahlvorschlägen führen aus rein formalen Gründen wegen massiv eingeschränkter Nachbesserung der Wahlvorschläge im Rechtsvergleich zu allen BR/PR-Wahlen. Vgl. auch Diskussion 2015 zur umstrittenen Rechtsfrage einer Analogie im Fachschrifttum, wenn Unterschriften gestrichen werden und dadurch die Mindestzahl der Unterstützer un­ter­schrit­ten wird.

Zu diesen Wahlrechtsänderungen
vgl. auch Abschnitt IV.3 und 10 in
jurisPR-ArbR 49/2016 Anm. 1

◾Ruhendes Beschäftigungsverhältnis
Vor allen ist m.E. das BMAS gefordert, endlich eine zeitgemäße SBV-Wahl­ordnung­ zu erlassen für die vereinfachten und förmlichen SBV-Wahlen. Das BMAS könnte sich zB an Baden-Württemberg orientieren, das aufzeigtt, wie (genial einfach) man solche "Probleme" löst in § 9 Abs. 4 LPVGWO*) bei PR-Wahlen für Beurlaubte und "sons­tige" ruhende Beschäftigungsverhältnisse. Das würde zum Ersten zur Erhöhung der Wahlbeteiligung beitragen und Zu­falls­er­geb­nisse eindämmen speziell bei ver­ein­fach­ten Wahlen mit wenigen Wahl­be­rech­tig­ten und engen Wahlergebnissen. Und bei förm­li­chen Wahlen hätten diese die Chance, Wahl­vor­schlä­ge einzureichen. Dadurch könnten verzerrte Wahlergebnisse vermieden werden.

:idea: Zu verbreiteten Unsicherheiten und Rechtsfragen des Datenschutzes (BDSG/DSGVO) wg. Privatanschrift bei vereinfachter Wahl sowie bei förmlicher Wahl, soweit nicht generelle Briefwahl, vergl. ausführlich Diskussion aus 2016; a.A. teils wohl BIH-WahlNavi.

◾Fazit
Die gesetzgeberischen Korrekturen fielen vielfach viel zu punktuell und zu knapp aus. „Der immer wieder ange­mahnte Reformbedarf ist durch das BTHG folglich nicht behoben worden“ - so das klare „Fazit“ im Volltext von Dr. Sachadae, Der Personalrat 2/2017.

Viele Grüße
Albin Göbel

...............................................
*) § 9 Abs.4 Satz 1 LPVGWO
(4) Wahlberechtigten Beschäftigten, die für längere Dauer beurlaubt, abgeordnet, zugewiesen oder aus sonstigen Gründen nicht in der Dienststelle beschäftigt sind, soll der Wahlvorstand eine Abschrift des Wahlausschreibens übersenden ...

AW: Korrekturbedarf im Wahlrecht der SBV

Verfasst: Montag 20. März 2017, 14:55
von mxy
Hallo zusammen,

Wahlrecht der SBV, anbei eine kleine Bspl.

Eine erhebliche Anzahl von Gesetzen im Umfeld „Arbeitsrecht“ verweisen auf unterschiedlicher Betriebsbegriffe (Arbeitsrecht/Betriebsverfassung):
Mit unterschiedlicher Anwendung der verschiedenen gesetzlichen betriebsratsfähigen Einheiten (§1 und §4, § 3 BetrVG)

ArbG argumentiert das der Direktionsrecht wird ausgeübt von Divisionsleiter (früher in viele Standorte/Geschäftstellen verteilt). Jetzt sind die Divisionsleiter in Berlin zugeordnet, daraufhin sind plotzlich 1800 wahlberechtigte von alle Standorte/GS für das BR Wahl in Berlin zugelassen

Erklärtes Ziel der Unternehmensleitung ist es, die bisherigen lokalen Betriebsratsstrukturen durch einen Unternehmensbetriebsrat abzulösen. Damit verbunden ist die Abkehr von einer bisher föderalistischen zu einer zentralen Struktur der Betriebsräte. Ich sehe hier unter anderem die große Gefahr, dass die jetzige Nähe der Betriebsräte zu den MitarbeiterInnen zukünftig schwindet, und damit verbunden auch die Betriebsratsarbeit sich zusehends von den Bedürfnissen der Belegschaft entfernt.

Wie steht hier die SBV Wahl bei Bundesteilhabegesetz? Ist das eine überörtlicher SBV-Wahl oder bleibt es bei lokalen SBV Wahlen?

VG
mxy

AW: Neuer Wahlbezirk?

Verfasst: Montag 20. März 2017, 16:30
von albin.göbel
mxy hat geschrieben:Wie steht hier die SBV Wahl bei BTHG? Ist das eine überörtlicher SBV-Wahl oder bleibt es bei lokalen SBV Wahlen?
Siehe die Antwort von Ulrich Römer vom 03.05.2016, wonach "die Struktur der SBV an die Struktur des BR gebunden" ist. Da werden GBR/Betriebsräte zu klären haben, ob bzw. ab wann exakt (Datum) die neuen betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen(Wahlbezirk) - offensichtlich - gelten, unter Umständen unter Hinzuziehung externen Sachverstands (AiB 2/2017, Seite 14-16).

mxy hat geschrieben:Ist das überörtliche SBV-Wahl oder bleibt es bei lokalen SBV-Wahlen?
Keines von beiden: Es wäre eine "örtliche" SBV-Wahl i.S.d. § 94 SGB IX und zwar selbst dann, wenn sich Wahlbezirk über ganzes Bundesgebiet erstrecken würde (Wahlbroschüre, S. 10/11). Maßgeblich für die SBV-Wahl ist hier der be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Betriebsbegriff laut Verweisungsnorm des § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, wonach der Begriff des Betriebes i.S.d. Teils 2 sich nach dem Be­triebs­ver­fas­sungsgesetz bestimmt. Insoweit hat sich nichts geändert durch das BTHG.

Allerdings wurde die Frage eines SBV-Übergangsmandats neu normiert durch das BTHG (siehe oben). Näheres dazu BTHG-Handbuch Düwell/Beyer, Das neue Recht für be­hin­der­te Be­schäf­ti­gte, Seite 51-57).

Viele Grüße
Albin Göbel