dpolg-bayer hat geschrieben: ↑Sonntag 15. November 2015, 07:42
Insgesamt wurde sowohl die Wahl der VP, als auch die Wahl der Stellvertreter durch das Arbeitsgericht für ungültig erklärt. Auf eine NICHTIGKEIT der Wahl wurde allerdings nicht erkannt.
Hallo dpolg-bayer,
wenn Stelliwahlen „nicht angefochten“ wurden sowie nicht auf „Nichtigkeit“ erkannt wurde, dann
hätten niemals die Stelliwahlen für ungültig erklärt werden dürfen spätestens seit BAG vom 29.07.2009 – 7 ABR 91/07 – wonach keine
„einheitliche Wahl“, sondern mehrere
„getrennte“ Wahlen sowie demnach selbstverständlich getrennt anfechtbare Wahlen. Da hat das ArbG Nürnberg aber weit übers Ziel hinausgeschossen und sich mit BAG-Rspr. nicht vertraut gemacht. Das geht überhaupt nicht, unanfechtbare SBV-Stelliwahlen (arbeitsgerichtlich) für ungültig zu erklären – obwohl gar keine Nichtigkeitsfeststellung nach BAG und Ministerialrat a.D. Roger Hohmann: Dieses wäre nur bei Nichtigkeit in Betracht gekommen! Demnach insoweit ein äußerst grober und viel zu weitgehender offensichtlicher Fehlbeschluss mit
Divergenz zu BAG 2009. Vergl. Prof. Düwell,
LPK-SGB IX, 4. Aufl. 2014, § 94 Rn. 92, wonach insoweit „die für Betriebsratswahl geltenden Grundsätze nicht
_übertragbar“ sind auf SBV-Wahlen: Die Nürnberger Richter hätten das halt nicht nur durch ihre BetrVG-Brille betrachten dürfen – sondern das eigenständige „SGB IX-Wahlrecht“ schlicht anwenden müssen!
dpolg-bayer hat geschrieben:Keine Kontrolle / Abgleich mit dem Wählerverzeichnis nach dessen Rücksendung.
Wenn hier vom Wahlvorstand tatsächlich keinerlei (?) Stimmabgabe-Vermerke ins Wählerverzeichnis eingetragen worden sein sollten, dann sind schon deshalb die Wahlen als
intransparent anzusehen und zwar alle beide Wahlen (vergleiche sinngemäß § 12
Abs. 1 Satz 2 SchwbVWO über den
"Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten").
dpolg-bayer hat geschrieben:Keine Absenderangabe auf den Rücksendekuverts...
Genau um solche schweren "Formfehler" bei den Briefwahlen zu vermeiden, hat die BIH einen Mustervordruck dieses Kuverts (Freiumschlag) in ihrer Wahlbroschüre auf Seite 91 als Arbeitshilfe abgebildet und als Druckvorlage im Wordformat zusätzlich ins Internet gestellt (§ 11 Absatz 1
Satz 1 Nr. 4 SchwbVWO). Dass ein Wahlvorstand derartige seit Jahrzehnten gleichermaßen auch für Personalrats-Wahlen geltende
Mindeststandards trotz BIH-Arbeitshilfen einfach ignoriert, ist unverständlich: Der Vorstand kann nicht einfach zwingende und nicht zu seiner Disposition stehende Wahlvorschriften außer Kraft setzen (
OVG Lüneburg vom 19.02.1986, 17 B 23/85). Das erscheint weder besonders professionell noch vertrauenswürdig.
Es wurde dabei noch nicht einmal der Versuch unternommen, die Wahlkuverts einem Wähler zuzuordnen, geschweige denn ein Vermerk über die Wahl im Wählerverzeichnis vorgenommen. Dies hätte wegen der fehlenden Absenderangabe auch nur noch durch die Unterschrift auf der Erklärung erfolgen können, falls diese leserlich gewesen wäre.
JA, sehr ungeschickt vom Wahlvorstand, eine lange Kette des Versagens. Der Wahlvorstand hat hier ja nicht einmal "Schadensbegrenzung" versucht, weil er die Stimmabgabe-Vermerke hier nicht wenigstens aufgrund der
leserlichen Unterschriften auf den "Erklärungen" hilfsweise vorgenommen hat, obwohl geboten. Stattdessen hat er den 300 Absender-Fehlern bei der Versendung nochmals weitere 245 Fehler bei der Auszählung draufgesattelt statt bereinigt. Um solche Fehler zu vermeiden, enthält das BIH-Muster der Wählerliste eigens die Spalte "Stimmabgabe" für Briefwähler.
Alle Freiumschläge ohne Absender mit unlesbarer Unterschrift auf der Erklärung hätten hier strikt
aussortiert werden müssen und hätten nicht gezählt werden dürfen nach ständiger
Rechtsprechung (VGH Mannheim vom 25.10.1994, PL 15 S 1057/94). Der Wahlvorstand hätte die Ungültigkeit dieser keinem aktiv Wahlberechtigten konkret und
namentlich zuzuordnenden Stimmabgabe in jedem Einzelfall zwingend
beschließen und die Briefwahlunterlagen jeweils zu den Wahlakten nehmen müssen. Und die dazugehörigen Wahlumschläge mit Stimmzetteln hätten niemals geöffnet werden dürfen. Sie hätten daher in der Sitzungsniederschrift auch nicht als abgegebene gültige Stimmzettel gewertet werden dürfen (
§ 13 Abs. 4 SchwbVWO).
"Die Stimmabgabe der Wähler kann in zulässiger Weise nicht auf andere Weise als durch die Vermerke in der Wählerliste festgestellt oder bewiesen werden. Eine
spätere Ergänzung der Stimmabgabe-Vermerke ist von der Wahlordnung nicht vorgesehen." (vgl. grundlegend
BAG vom 12.06.2013, 7 ABR 77/11). Insoweit ist nun auch in diesem Punkt hier nichts mehr zu retten, also unheilbares
KO-Kriterium.
Vgl. z.B. sinngemäß
VG Wiesbaden vom 18.03.2009, 8 K 466/08.WI, bezüglich Wahlbrief (Freiumschlag) zur Wahl einer Gleichstellungsbeauftragten m.w.N.:
"Auch hier muss der Wahlvorstand selbst oder ein Wahlhelfer Namen und Anschrift der Wahlberechtigten auf den Freiumschlag setzen und darf dies nicht den Wahlberechtigten überlassen." Ferner
ArbG Hamburg, 21.09.2012, 14 BV 31/11, zur fehlenden Privatanschrift (Absender) auf dem Freiumschlag bei BR-Wahl.
Verspäteter Aushang (Email war nicht ausreichend) des Wahlausschreibens und dadurch unzulässige Verkürzung der Frist für Wahlvorschläge
Allein dieser Punkt sollte ausreichen, die Wahlen für unwirksam zu erklären nach ständiger Rechtsprechung. Da hätte das Arbeitsgericht sich und den Beteiligten viel Arbeit und Zeit sparen und wohl viel früher entscheiden können (vgl. z.B.
VG Berlin, 03.05.2013, 5 K 441.12, sowie besonders
BAG vom 05.05.2004, 7 ABR 44/03). Hat eine Behörde (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IX i.V.m.
Art. 6 BayPVG) wie hier
mehrere Stellen an mehreren Standorten, dann
muss der Vorstand das Wahlausschreiben regelmäßig in -
allen - diesen Stellen (auch Nebenstellen oder Teile einer Dienststelle!) mit dort wahlberechtigten schwerbehinderten Beschäftigten am "Schwarzen Brett" aushängen (lassen), und danach diese Wahlunterlagen zur Wahlakte nehmen als Beweismittel dafür, ob und in welchen Zeiträumen in allen Beschäftigungsstellen ausgehängt wurde (
BVerwG, 27.06.2007, 6 A 1.06, Rn 54).
Die
Nichterweislichkeit ordnungsgemäßer Aushänge in allen Beschäftigungsstellen kann zur Wahlanfechtung berechtigen (vgl. OVG Münster, 24.06.1979, CB 2/70 = PersV 1971, 219).
Vgl. sinngemäß BAG vom 05.05.2004, 7 ABR 44/03, zur BR-Wahl in Betrieben mit
"mehreren Betriebsstätten"; ebenso BIH-Wahlrechtsbroschüre, Seite 34/35. Die Bekanntgabe mit IuK-Mitteln kann den Aushang wahlrechtlich
nicht ersetzen (vgl. ausführlich Dr. Till
Sachadae in
PersV, Heft 05/2015, Seite 176/177, zum SBV-Wahlrecht mit zahlreichen Literatur-Nachweisen). Dies gilt selbst dann, wenn alle Wahlberechtigten über einen eigenen PC-Anschluss verfügen sollten, solange der Verordnungsgeber die Wahlordnung nicht endlich zeitgemäß novelliert, wie von Wahlrechtsexperten wiederholt gefordert.
Viele Grüße
Albin Göbel
Wahlbrief (Freiumschlag)